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Potsdams neue Mitte am Alten Markt. Dort wohnt Olaf Scholz.
© Andreas Klaer

SPD gewinnt Bundestagswahl: Potsdam, die Kanzlerstadt?

Wenn Olaf Scholz tatsächlich Angela Merkel beerbt, könnte das auch für Brandenburgs Landeshauptstadt einiges bedeuten. Aber was? Die PNN haben sich umgehört.

Potsdam - Es könnte Wirklichkeit werden: So nah wie lange nicht mehr steht die SPD davor, erstmals nach 16 Jahren den Regierungschef zu stellen. Sollte der Sozialdemokrat Olaf Scholz zum Nachfolger Angela Merkels (CDU) gewählt werden, kann seine Wahl-Heimatstadt Potsdam, Stadt der Preußen-Könige, sich mit dem Ehrentitel „Die Kanzler-Stadt“ schmücken. 

Die Wahl von Scholz könnte der Landeshauptstadt „einen richtigen Schub geben“, sagte Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) den PNN. Wegen der Nähe zwischen seiner Potsdamer Wohnung und dem Kanzleramt hätte Scholz zudem einen praktischen Vorteil: „Er könnte Heimschläfer bleiben.“ Wie ein Soldat, der zu Hause übernachten darf statt in der Kaserne.

Schubert wäre „richtig stolz, wenn einer unserer Bürger Kanzler werden würde“, sagte er. Man mag ihm sogar glauben, dass er als Oberbürgermeister genauso empfunden hätte, wenn nicht sein Parteifreund Scholz, sondern die Potsdamer Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ins Kanzleramt hätte einziehen können - was nach dem Wahlergebnis nun so gut wie ausgeschlossen ist. Doch Schubert spekuliert: „Es ist ja auch möglich, dass am Kabinettstisch zwei Politiker aus Potsdam sitzen werden, auch wenn Olaf Scholz die Regierung führt.“ Er spielt auf die Möglichkeit einer Bundesregierung mit Beteiligung von SPD und Grünen an: „Wenn die Grünen dann ihre Spitzenkandidatin Annalena Baerbock für ein Ministeramt vorsehen, wäre das so. Das würde die ganze Stadt mit Stolz erfüllen“.

Gute Stimmung bei der SPD-Party in Potsdam - auch Oberbürgermeister Mike Schubert und Wissenschaftsministerin Manja Schüle jubeln.
Gute Stimmung bei der SPD-Party in Potsdam - auch Oberbürgermeister Mike Schubert und Wissenschaftsministerin Manja Schüle jubeln.
© Ottmar Winter

Lebensmittelpunkt von Hamburg nach Potsdam verlegt

Fast immer haben die Wohn- und Geburtsorte der Kanzler große Beachtung gefunden – auch weil einige gern ausländische Staatsmänner zu sich nach Hause einluden. Gerade Potsdam hat dafür viel zu bieten: Der Kanzler Scholz könnte für seine Gäste eine Rundtour zum Schloss Sanssouci mit ein paar Schritten auf den spektakulären Terrassen, weiter zum Neuen Palais mit kurzer Führung und dann zum Schloss Cecilienhof organisieren lassen. Und gleich neben seinem privaten Zuhause am Alten Markt liegt Hasso Plattners Museum Barberini, bereits jetzt immer wieder Ziel internationaler Gäste. Kürzlich war Scholz bereits mit den europäischen Finanzministern dort.

Bei einem Gang durch den Neuen Garten würde sich ein Abstecher zum Schloss Cecilienhof anbieten. 
Bei einem Gang durch den Neuen Garten würde sich ein Abstecher zum Schloss Cecilienhof anbieten. 
© Andreas Klaer

Olaf Scholz und Britta Ernst (SPD) sind seit 1998 verheiratet. Als beide 2018 ihren Lebensmittelpunkt von Hamburg nach Potsdam verlegten, war nicht absehbar, dass Scholz Kanzlerkandidat werden würde. Scholz wurde Bundesfinanzminister und Vizekanzler, seine Frau, die schon seit 2014 drei Jahre lang in Kiel Bildungsministerin war, wechselte 2017 ins brandenburgische Ministerium für Bildung, Jugend und Sport. Für beide war der Weg zur Arbeit nun kurz.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz mit seiner Ehefrau Britta Ernst, der brandenburgischen Bildungsministerin.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz mit seiner Ehefrau Britta Ernst, der brandenburgischen Bildungsministerin.
© AFP

Sie lebten sich ein, sie fanden Restaurants, in denen sie sich am Abend entspannten. Sandra Desinger, Chefin der Garage du Pont nahe der Glienicker Brücke, fiel auf, „dass die beiden sich immer viel und angeregt“ unterhielten. Und immer waren zwei Bodyguards präsent.

Das Paar schätzt in Babelsberg die Piazza Toscana und den feinen Italiener Al Dente. Einmal profitierte es vom stillen Glück der Prominenz: das Restaurant Kongsnaes in der kaiserlichen Matrosenstation am Jungfernsee war ausgebucht, als die beiden eintrafen. Prompt überließ der frühere Bild-Chef Kai Diekmann ihnen seine Plätze, wie er jüngst dem "Spiegel" anvertraute.

Von Scholz ist bekannt, dass er auf Anraten seiner Frau regelmäßig joggt, ob er von der neuen Wohnung des Paars in einem 2016 im Renaissancestil neu errichteten Palazzo in Nachbarschaft des Museums Barberini loslegt, ist nicht bekannt. Immerhin: Der Ärger der Nachbarn über die Sicherheitsleute am und im Haus sei „nun bereinigt“, versicherte ein Nachbar den PNN. Scholz hat schon jetzt die höchste Sicherheitsstufe, er hat Personenschutz rund um die Uhr und darf nur in gepanzerten Autos fahren. Auch am Montagmorgen nach der Wahl standen zwei Polizisten vor der Einfahrt der Tiefgarage, ihr Wagen gegenüber das Hauses am Landtag geparkt.

Hand in Hand zum Wahllokal

Zum Wahllokal in der Potsdamer Dortu-Grundschule liefen Scholz und Ernst am Sonntag demonstrativ Hand in Hand, und auch schon im letzten Jahr wurde Brandenburg Zeuge einer liebevollen Geste von Scholz für seine Ehefrau: Am 22. August, einem Sonntag, saß er in Brandenburg an der Havel in Jeans und schwarzem T-Shirt unter dem Sonnenschirm einer Gaststätte und wartete geduldig auf sie. Britta Ernst nahm dort an einer auswärtigen Kabinettssitzung teil, sie dauerte deutlich länger als geplant. 

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und seine Ehefrau Britta Ernst, Brandenburgs Bildungsministerin, vor der Stimmabgabe.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und seine Ehefrau Britta Ernst, Brandenburgs Bildungsministerin, vor der Stimmabgabe.
© Andreas Klaer

Werden Scholz und Ernst in Potsdam wohnen bleiben? Die Chancen stehen gut. Im Kanzleramt steht zwar ein 178 Quadratmeter großes Appartement bereit, aber der Raum für den Kanzler misst nur 28 Quadratmeter, der Rest dient Repräsentationszwecken. Angela Merkel blieb deswegen in ihrer privaten Wohnung Am Kupfergraben 6 in Berlin-Mitte.

Welche Spuren haben Merkel, aber auch ihre Vorgänger in ihren (Wahl-)Heimatstädten hinterlassen? Helmut Schmidt war in Hamburg sehr populär, weil er 1962 während der Flutkatastrophe als Innensenator die Bundeswehr zu Hilfe gerufen hatte, obwohl es dafür keine gesetzliche Grundlage gab. SPD-Fraktionschef im Bundestag, Verteidigungsminister, Finanzminister und Kanzler – „Schmidt-Schnauze“ war hoch angesehen an der Elbe, auch als „Elder Statesman“. Als Schmidt 2015 kurz vor seinem 97. Geburtstag starb, säumten Abertausende den Weg vom Gottesdienst im Hamburger Michel bis zum Ohlsdorfer Friedhof.

Oggersheim gelangte durch Kohl zu Weltruhm

Sein Nachfolger Helmut Kohl pflegte seine Heimatverbundenheit wie kaum ein anderer. Lange wurde er auch von Schmidt als provinziell verspottet („der Oggersheimer“), seine Vorliebe für das Traditionsrezept Saumagen und sein Wohnort Oggersheim, ein kleiner Stadtteil von Ludwigshafen am Rhein, mussten als Belege herhalten.

Bis heute aber ist er etwa im Deidesheimer Hof, 23 Kilometer von Oggersheim entfernt, eine Ikone. Zahlreiche Staatsgäste führte er in das Landhotel der Winzerstadt Deidesheim. „Oggersheim und Deidesheim sind durch Helmut Kohl zu Weltruhm gekommen“, sagte Juniorchefin Luisa Hahn den PNN. Kohl sei „für die ganze Region ein Glücksfall gewesen“.

Der CDU-Kanzler habe in Oggersheim „regelmäßig internationale Gäste vom Format eines Bill Clinton, Jacques Chirac, Al Gore, Shimon Peres, Georg Schulz oder Dan Quayle empfangen“, erinnert der Ludwigshafener Stadtsprecher Florian Bitter, vielen weiteren wie Michail Gorbatschow, Francois Mitterrand und Maggie Thatcher habe er seine pfälzische Heimat gezeigt.

Aber auch die damalige Hauptstadt Bonn wurde durch Kohl geschichtsträchtig. Am Abend des 14. Juni 1989 saß er mit dem russischen Staatsoberhaupt Michail Gorbatschow über der Rheinuferpromenade im Garten des Kanzler-Bungalows, Spaziergänger trauten ihren Augen kaum, „Gorbi, Gorbi“-Rufe ertönten. Kohl erzählte darüber, er habe Gorbatschow nahe gebracht, dass die deutsche Einheit ebenso wenig aufzuhalten sei wie der Fluss des Rheins. Vier Monate später sollte ihm die Geschichte Recht geben.

Wird in Potsdam bald die große Politik verhandelt?

Einmal mehr wurde klar, wie schöne Plätze internationale Politik zum Guten befördern können. Solche Orte hat auch Potsdam zu bieten. Die Bundesregierung könnte Günther Jauchs Villa Kellermann für einen Staatsbesuch mieten. Scholz und US-Präsident Joe Biden könnten im Sommer auf der Terrasse über die Zukunft der Nato und den deutschen Beitrag dazu sprechen; Bill Clinton hatte Potsdam 1998 besucht, er traf Kohl vor Sanssouci, gespeist wurde im Schloss - das wohl einzige Mal in der Neuzeit überhaupt.

Der damalige US-Präsident Bill Clinton umarmte Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, als er ihn im April 1999 mit der Freiheitsmedaille ehrte.
Der damalige US-Präsident Bill Clinton umarmte Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, als er ihn im April 1999 mit der Freiheitsmedaille ehrte.
© AFP

„Die Augen der Welt werden auf Potsdam gerichtet sein, wenn Olaf Scholz Kanzler wird“, orakelt Burkhard Scholz, Inhaber des Inselhotels in Hermannswerder. Er könnte Recht haben: Warum sollten der chinesische Präsident Xi Jinping und Kanzler Scholz nicht im Garten seines Vier-Sterne-Hotels mit Blick auf den Templiner See die Menschenrechtsproblematik erörtern? Und warum sollte nicht das Belvedere auf dem Pfingstberg ein solcher Ort sein? Dort, wo die Aussicht am schönsten ist, gibt es zwar kein Restaurant – aber exzellente Caterer könnten helfen.

Kanzler-Städte als Tourismus-Magneten?

Die meisten Kanzler-Städte ziehen zuhauf Besucher an. Auch Unkel, die Rotweinstadt am Rhein, profitiert bis heute davon, dass der Sozialdemokrat Willy Brandt, Kanzler von 1969 bis 1974, dort die letzten 13 Jahre seines Lebens verbrachte, bevor er 1992 starb. „Die 13.000 Bürger sind stolz darauf, dass er hier gelebt hat. Jeder kannte ihn, er kam zum Weinfest“, sagte Bürgermeister Gerhard Hausen (SPD) den PNN. Das Willy-Brandt-Forum, ein zeitgeschichtliches Museum, hat jährlich rund 8000 Besucher. Das ebenfalls von der Brandt-Stiftung betriebene Willy-Brandt-Haus in seiner Geburtsstadt Lübeck zählte 2019, vor Corona, rund 64.000 Besucher, 2020 sank die Zahl auf 23.479.

Nicht überall profitieren Städte vom Kanzlerbonus. Gerhard Schröder pries seine Heimatstadt so laut er konnte – vergeblich. Die tageszeitung sprach von der „langweiligsten Stadt des Landes“ das Internetportal buzzfeed von der „überflüssigsten“.

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Merkel blieb Templin immer verbunden

Schröder blieb, auch wenn er mehrmals heiratete, der Stadt treu, wurde zwischenzeitlich Aufsichtsratschef von Hannover 96. Die Stadt ehrte ihn zu Beginn seiner Kanzlerschaft mit einer Eintragung ins Goldene Buch, 2005, kurz nach dem Ende seiner Kanzlerschaft, wurde er Ehrenbürger. Insgesamt aber hat sich seine Kanzlerschaft kaum bemerkbar gemacht. „Eine verifizierbare (dauerhafte) Imageveränderung hat nicht stattgefunden / wäre nicht belegbar“, heißt es in einer Erklärung der hannoverschen Pressestelle auf Anfrage der PNN.

Die Verbundenheit mit der 16.000 Einwohner zählenden Stadt Templin in der Uckermark, in der sie aufgewachsen ist, hat Kanzlerin Angela Merkel nie verloren. Am 8. Februar 2019 wurde ihr dort die Ehrenbürgerwürde verliehen. „Vieles, was ich heute sein kann, ist hier in Templin entstanden“, sagte sie.

In der Villa Kellermann könnte Scholz mit seinen Gästen speisen und die Aussicht genießen.
In der Villa Kellermann könnte Scholz mit seinen Gästen speisen und die Aussicht genießen.
© Manfred Thomas Tsp

Es hindert Bürgermeister Detlef Tabbert nicht, von der Christdemokratin zu schwärmen, obwohl er der Linkspartei angehört. „Ich ziehe den Hut vor ihrer Leistung. Außerdem ist sie ein so angenehmer, bescheidener Mensch. Will ihr jemand bei einem Empfang ein Glas Wasser holen, sagt sie: Danke, ich gehe selbst. Als Bundeskanzlerin!“ Für die Stadt, in der der Tourismus blüht, sei Merkel „ein Imagegewinn, ein nicht zu unterschätzender Marketingfaktor“. Bei Hotelbuchungen würden die Rezeptionisten oft gefragt: „Ist Templin nicht die Stadt, in der Angela Merkel großgeworden ist?“

Es wird wohl noch dauern, bis Potsdamer Stadtführer solche Fragen nach Scholz beantworten müssen.

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