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Was früher nicht mehr verkauft werden konnte, findet mit der App noch einen Abnehmer.
© Ottmar Winter

„Too Good to Go“ in Potsdam: Per App gegen Lebensmittelverschwendung

Jetzt ist auch Bäcker Braune dabei: Was über den Tag nicht verkauft wurde, können Kunden in Potsdam mit der Smartphone-App „Too Good to Go“ am Abend günstiger abholen. 

Potsdam - Drei Euro kostet die Überraschungstüte. Was drin ist, entscheidet sich erst kurz vor der Übergabe. Gegen 17.45 Uhr schaut sich Werner Gniosdorz, Chef der Bäckerei Braune in der Friedrich-Ebert-Straße, im Laden um. Zwei kleine Mohnzöpfe, zwei Kornspitze, zwei Zwiebelbrötchen, zwei Müsli-Quarkspitze, ein Schinkenspitz, ein Dreisaatbrötchen und zwei Plundertaschen packt er ein. Kurz vor sechs betritt Robert Haack den Laden, das Smartphone in der Hand. Ein Tippen auf das Telefon und die Ware ist bezahlt. Er kann die Überraschungstüte mitnehmen. Die App „Too Good to Go“ – zu deutsch: zu gut zum Wegwerfen – nutze er erst seit kurzem, erzählt der 36-Jährige: „Und hier zum ersten Mal.“ Aber als Potsdamer kenne er die Traditionsbäckerei natürlich.

Bäckermeister Werner Gniosdorz übergibt Nutzer Robert Haack die neue Überraschungstüte.
Bäckermeister Werner Gniosdorz übergibt Nutzer Robert Haack die neue Überraschungstüte.
© Ottmar Winter

Die Ware wird bargeldlos bezahlt

Auch Braune ist erst seit kurzem mit dabei bei der Initiative gegen Lebensmittelverschwendung. Per Smartphone kann an den fünf Öffnungstagen der Bäckerei eine Überraschungstüte mit Übriggebliebenem bestellt und jeweils kurz vor Ladenschluss abgeholt werden. Die kostenlose App „Too Good to Go“, die in Dänemark entwickelt wurde und mittlerweile in neun Ländern angeboten wird, ermöglicht es Lebensmittelhändlern sowie Handwerks- und Gastronomiebetrieben, übrig gebliebene Lebensmittel, die sonst im Müll landen, vergünstigt zu verkaufen. Kunden bezahlen die Ware bargeldlos. In Deutschland sind rund 2500 Betriebe in 400 Städten dabei, wie Franziska Lienert, Sprecherin des in Berlin beheimateten Unternehmens, den PNN sagte. Kurz vor Weihnachten habe man die Marke von einer Million angemeldeter Kunden geknackt.

In Potsdam ist das Angebot noch sehr übersichtlich: Neben Braune nehmen das Eiscafé am Brandenburger Tor, Yoko Sushi in der Großbeerenstraße sowie die Nordsee-Filialen im Stern-Center und in den Bahnhofspassagen teil. Zum Vergleich: In Berlin machen 370 Betriebe mit. Bei Nordsee hatte es auch Robert Haack schon probiert. Es gehe ihm weniger um das gesparte Geld als um den Gedanken der Müllvermeidung, sagt er: „Ich finde die Idee gut.“ Rund 500 Kunden sind derzeit in Potsdam registriert, sagt Franziska Lienert. 850 Mahlzeiten seien hier bislang „gerettet“ worden – das entspreche zwei Tonnen eingespartem Kohlendioxid. Denn, so argumentieren die App-Macher: Weggeworfenes Essen bedeutet eine Umweltbelastung, weil es umsonst produziert wurde. 18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen Schätzungen zufolge jährlich in Deutschland im Müll.

Pro Tag gibt es bei Braune eine Überraschungstüte

Werner Gniosdorz war anfangs eigentlich skeptisch, erzählt er. Denn viel weggeworfen werde bei Braune ohnehin nicht: „Ich versuche eigentlich so zu arbeiten, dass nicht viel übrigbleibt.“ Als es aber hieß, dass er auch mit kleinen Mengen teilnehmen kann, habe er zugesagt. Eine Überraschungstüte pro Tag bietet die Bäckerei nun seit einigen Wochen über die App an, selten – wie am gestrigen Dienstag – sind es auch mal zwei. Für drei Euro bekomme der Kunde Waren im Wert von etwa acht Euro, sagt Gniosdorz. „In der Regel Brötchen, gelegentlich auch Kuchen – das, was in den letzten zehn Minuten unserer Ladenöffnung noch da ist.“ Wenn es an einem Tag einmal gar nichts geben sollte, dann muss Gniosdorz das spätestens eine Stunde vor dem Abholtermin per Mail mitteilen.

Das Angebot werde gut angenommen, sagt er. Als Kunde könne man 24 Stunden im Voraus eine Tüte reservieren – und das werde rege genutzt: Bis 18.30 Uhr sei die Tüte für den nächsten Tag in der Regel reserviert. „Da ist die Ware noch gar nicht gebacken.“ Es seien nicht seine klassischen Stammkunden, die das Angebot nutzten, sondern junge Erwachsene, Studierende, auch Potsdamer bis um die 50 Jahre. „Vielleicht gewinnt man dadurch den einen oder anderen neuen Kunden.“

Das Eiscafé am Brandenburger Tor ist seit Oktober dabei

In der Bäckerei achte er ohnehin auf einen sparsamen Umgang mit Ressourcen, sagt Gniosdorz: Nicht verkaufte Semmeln und Weißbrot würden zu Semmelmehl verarbeitet, Brot vom Vortag gebe er an ein Altersheim ab, Kuchenreste und Randstreifen können zur Produktion von Rumkugeln genutzt werden. Müllvermeidung fängt für Gniosdorz schon bei der Planung an: „Ich disponiere in der Regel recht knapp“, erklärt der 62-Jährige: „Weil es mir zuwider ist, viel wegzuschmeißen.“ Die 240-Liter-Mülltonne der Bäckerei werde in einer normalen Woche nicht einmal halb voll von dem, was tatsächlich weggeworfen wird.

Auch das Eiscafé am Brandenburger Tor hat mit der App gute Erfahrungen gemacht. Seit Oktober ist man dabei, wie Chefin Sandra Zeisberg erzählt. Ein Mitarbeiter war auf das Konzept gestoßen. „Eis wird ja nicht schlecht – aber für unsere Kuchen und Torten ist das eine perfekte Lösung“, sagt Sandra Zeisberg. Zwischen einer und zehn Portionen pro Tag kann sie über die App verkaufen, jeweils 3,50 Euro kostet das. Die Nachfrage steige. „Es muss sich aber noch rumsprechen.“ Andere Wege zur Weiterverwendung für übrig gebliebenen Kuchen, etwa über die Potsdamer Tafel, hätten sich als nicht praktikabel erwiesen – für wenige Stücke Kuchen lohne sich für die Tafel der Abholaufwand nicht. Die App sei daher genau richtig, sagt die Café-Chefin: „Ich fühle mich auch viel wohler, wenn der Kuchen nicht im Mülleimer landet.“

Im Sommer will das Café Plastik verbannen

In ihrem Betrieb sei das Thema Müllvermeidung insgesamt wichtiger geworden, berichtet die 49-Jährige. Zu Weihnachten hätten die Mitarbeiter Bäume geschenkt bekommen – über die Webseite treedom, die Bauern in Entwicklungsländern beim Pflanzen unterstützt. „Kakao und Mango, das passt zu uns“, sagt Zeisberg. 15 Mitarbeiter sind es im Winter, in der Saison rund 80, Minijobber inklusive. In diesem Sommer wolle man Plastik aus dem Café verbannen und auf Mehrweg umstellen. Denn man habe eine Verantwortung: „Wir haben nur eine Welt.“

Die App „Too Good to Go“ kann hier für iOS und hier für Android heruntergeladen werden.

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