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Untreue-Verdacht bei den Potsdamer Stadtwerken: Offene Fragen – jetzt an Jakobs

Neue Details zum Ausmaß des Stadtwerke-Skandals kommen ans Tageslicht. Doch Oberbürgermeister Jann Jakobs greift nicht ein. Es ergeben sich viele drängende Fragen.

Potsdam - Es geht um 476 091 Euro. Diese Summe, fast eine halbe Million Euro, hat die ehemalige Prokuristin der Stadtwerke-Tochter Stadtentsorgung Potsdam (Step), Petra V., über einen Zeitraum von zehn Jahren von ihrem Arbeitgeber Step ausgezahlt bekommen – an allen Gremien vorbei, die über die Höhe ihres Gehalts, über Prämien, Gratifikationen, Zulagen, Einmalzahlungen und Vorteile hätten entscheiden müssen. Und unter sechs verschiedenen kaufmännischen Geschäftsführern der Step, die den Bereich Personal jeweils verantworteten. Das ist eine Kernaussage eines Prüfberichts zu den Vorgängen um die ehemalige Prokuristin, den die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Beeh & Happich GmbH aus Frankfurt (Main) mit Standort in Potsdam im Auftrag der Stadtwerke erstellte. Der hochbrisante, vertrauliche Bericht, der den PNN vorliegt, datiert vom 15. März 2016.

Alle Akteure müssen gewusst haben, dass Petra V. unrechtmäßig eine halbe Million Euro erhalten hat 

Seitdem also muss Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), muss seine Beigeordnete Elona Müller-Preinesberger (parteilos), muss Stadtwerke-Geschäftsführer Wilfried Böhme – dem Jakobs und Preinesberger seinen Vertrag als Stadtwerke- Chef erst vor vier Tagen um zwei Jahre verlängert haben –, seitdem müssen sie es alle gewusst haben: dass Petra V. unrechtmäßig, also ohne dass die Verantwortlichen im Aufsichtsrat und der Gesellschafterversammlung davon gewusst haben, fast eine halbe Million Euro erhalten hat.

Die Gremien darüber zu informieren, wäre die Pflicht aller kaufmännischen Step-Chefs seit 2004 gewesen. Denn am 30. März 2004 trat die erste Geschäftsordnung für die Geschäftsführung der Step in Kraft. Darin ist bis heute ganz klar geregelt: Jeder Abschluss, jede Änderung, jede Beendigung von Anstellungsverträgen, die ein 50 000 Euro übersteigendes festes Jahresgehalt vorsehen, muss von der Gesellschafterversammlung genehmigt werden – nach Empfehlung des Aufsichtsrats. Das ist im Fall Petra V. aber nie geschehen – so stellen es jedenfalls die Wirtschaftsprüfer in ihrem aktuellen Bericht unmissverständlich fest.

Harter Verdacht der Untreue

Daraus ergeben sich mehrere drängende Fragen. Die wichtigsten: Ist es nicht ein harter, sehr harter Verdacht auf Untreue, wenn ein kaufmännischer Geschäftsführer der Step über sechs Jahre die nicht genehmigten Zahlungen in beträchtlicher Höhe anweist? Und ist es nicht die Pflicht des Gesellschafters, also der Stadtwerke Potsdam und auch der Stadt Potsdam unter Führung von Oberbürgermeister Jakobs, bei Kenntnis dieses Umstandes Strafanzeige gegen den betreffenden Geschäftsführer – in diesem Falle Holger Neumann – zu stellen, um die Vorgänge aufzuklären? Und damit dafür zu sorgen, dass Neumann als verantwortlicher Geschäftsführer zur Verantwortung für sein Handeln gezogen wird? Und sind die ausführlich dokumentierten und belegten Vorwürfe nicht schwerwiegend genug, als dass man – wie Juristen in einem weiteren aktuellen Bericht feststellen – annehmen kann, dass die mutmaßlichen Verfehlungen Neumanns bei der Step auch auf seine Tätigkeit als Chef der Stadtwerke-Tochter Energie und Wasser Potsdam (EWP) durchschlagen und eine fristlose Kündigung rechtfertigen würden – Fristablauf dafür am heutigen Mittwoch?

Das alles ist nicht geschehen. Die Stadtwerke und auch die Stadt haben nach jetzigem Stand der Auskünfte keine Strafanzeige gestellt. Warum? Die Antwort auf diese Frage der PNN blieben Jakobs und Stadtwerke-Chef Böhme am Dienstag schuldig. Jakobs hat Neumann von Verfehlungen als EWP-Chef freigesprochen, er wurde für das Geschäftsjahr 2015 entlastet, sein Vertrag wurde nicht verlängert – was de facto heißt, dass er bis Ende September 2017 bei vollen Bezügen freigestellt ist. Jahresgehalt: rund 200 000 Euro.

Wer ist dafür verantwortlich, dass Petra V. diese Gelder bekommen hat?

Auch viele weiteren Fragen stellen sich: Wer oder was ist über die Jahre dafür verantwortlich, dass Petra V. diese Gelder bekommen hat? Wer oder was hat derartigen Einfluss auf die kaufmännischen Geschäftsführer der Step genommen, dass sie die Zahlungen an V. über Jahre freigezeichnet haben – ohne sie genehmigen zu lassen? Wer hat von diesen Zahlungen gewusst? Und wer hat dafür gesorgt, dass niemand in Verantwortung erfährt, dass die Zahlungen in dieser Höhe an Petra V. nicht ordnungsgemäß genehmigt sind?

Man muss wissen: Seit 2012 liegen sogenannte Bezügeberichte für die Step vor, erstellt von der renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Darin stehen die Gehälter der beiden Step-Chefs – kaufmännisch und technisch –, die Vergütungen der Aufsichtsräte sowie Petra V.s Bezüge. Die Berichte aus den Jahren 2012 und 2014 liegen den PNN vor. Beide weisen aus, dass alle Bezüge „entsprechend den Beschlüssen der Gesellschafterversammlung und den dienstvertraglichen Regelungen gewährt“ wurden. Das ist im Fall von Petra V. ausweislich des Prüfberichts von Beet & Happich eindeutig falsch. Wer hat dafür gesorgt?

Offen, wie viel Geld Petra V. eigentlich verdient hätte

Aus letzterem Bericht geht auch hervor, dass es keine zuverlässigen Erkenntnisse darüber gibt, wer den Bezügebericht überhaupt bekommen hat. Step- und EWP-Aufsichtsratschefin Müller-Preinesberger dementierte auf PNN-Anfrage, je einen der Bezügeberichte gesehen zu haben. Auch Stadtwerke-Chef Böhme will von ihnen, ausweislich eines weiteren Prüfberichts, nichts gewusst haben.

Offen ist freilich, wie viel Geld Petra V. für ihre Tätigkeit eigentlich verdient hätte. Dazu gibt es einen Anhaltspunkt. Eine Aussage von Burkhardt Greiff, dem neuen kaufmännischen Geschäftsführer der Step. Greiff folgte auf Neumann, er kam von außen dazu, ist seit März 2015 Chef und wurde vom Step-Minderheitengesellschafter, der privaten Remondis GmbH & Co KG, installiert. Greiff sagte, bei Remondis verdiene ein Mitarbeiter mit vergleichbaren Aufgaben wie Petra V. rund 50 000 Euro pro Jahr – inklusive Sonderleistungen.

100.000 Euro Abfindung für Wechsel von Stadtwerken zu Step

Über den 50 000 Euro lag Petra V. schon wenige Monate nach ihrer Einstellung bei der Step. Rechnet man das normale Entgelt auf zehn Jahre hoch, hätte Petra V. in diesem Zeitraum insgesamt 500 000 Euro verdienen müssen. Bekommen hat sie nach den Aufstellungen der Wirtschaftsprüfer in dem vertraulichen Bericht rund 892 000 Euro – ohne die üppigen Zuschläge. Darin wird außerdem festgestellt, dass der Betriebsrat beim Wechsel von Petra V. von den Stadtwerken zur Step im Jahr 2003 ihrer Einstellung seine Zustimmung verweigert hat. Zudem ist in der Personalakte von Frau V. keine Dokumentation zu den stetigen Gehaltserhöhungen vorhanden. Die Prüfer erinnern auch daran, dass Petra V. bei ihrem Wechsel von Stadtwerken zu Step 100 000 Euro Abfindung bekommen hat – obwohl bei Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags ihr neuer Step-Vertrag schon bestand.

Am Dienstag äußerte sich zu den Vorgängen um Petra V. auch der ehemalige Stadtwerke-Chef Peter Paffhausen. Für die Zahlungen an Petra V. habe es gute Gründe gegeben, sagte er den PNN. Die in den Gutachten hergestellten Zusammenhänge – soweit er dies aus den Medienberichten erkennen könne – seien falsch. Und weiter: „Sie hat einen guten Job gemacht.“ Bei Verhandlungen zum Rückkauf des einst privatisierten Wasserbetriebs sei V. nicht beteiligt gewesen, sagte Paffhausen weiter. V. war damals von dem ehemaligen Privatbetreiber „Eurawasser“ zum Wasserbetrieb gekommen. Hintergrund sind Spekulationen, ob die auffälligen Zahlungen an V. auch mit dem einstigen Rückkauf durch Paffhausen und den damaligen Oberbürgermeister Matthias Platzeck zu tun haben könnten.

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