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Mitreißen. Bianca Schmidt soll Führungspersönlichkeit sein.
©  Manfred Thomas

Turbines Umgang mit der Krise: Normalität in der Ausnahmesituation

Trotz der sportlichen Misere wird beim Potsdamer Frauenfußball-Bundesligisten am Bewährten festgehalten. Konzepte des Trainings und der Taktik werden nicht über den Haufen geworfen, stattdessen wird an einige Spielerinnen appelliert, mehr Führungsqualitäten zu zeigen. Ein Sportpsychologe erklärt, wie dies auf dem Platz aussehen sollte.

Es sollte noch einmal ein besonderes Jahr werden. So eines wie früher. Zum Abschluss seiner Trainertätigkeit bei Turbine Potsdam wollte Bernd Schröder um den deutschen Meistertitel spielen, ihn bestenfalls zum siebten Mal gewinnen.

Doch davon ist der polarisierende 73-Jährige mit seiner Elf momentan meilenweit entfernt. Nach vier von 22 Bundesliga-Spieltagen und bereits neun Punkten Rückstand auf die Spitzenplätze des Klassements taumelt Turbine durch den Tabellenkeller. „Das ist ein Dilemma, das uns alle belastet“, sagt der Coach vor dem wichtigen Auswärtsspiel am Samstag bei Bayer Leverkusen. Der Vorletzte empfängt den Drittletzten.

Anführerin Elsig ist verletzt - wer geht jetzt voran?

Am vergangenen Sonntag, als die Potsdamerinnen mit 0:2 gegen Sand unterlagen und damit ihre dritte Saisonpleite kassierten, hatte Bernd Schröder nach dem Abpfiff eine zentrale Ursache für die derzeitige Misere ausgemacht: Die vermeintlichen Führungsspielerinnen werden ihrer Rolle nicht gerecht. Keine gehe voran, wenn es nicht läuft. Keine reiße mit. „Bei uns haben in solchen Situationen alle nur mit sich selbst zu tun“, hat er beobachtet. Aufgrund des Ausfalls der am Kreuzband verletzten Abwehrchefin Johanna Elsig sei in der Vorbereitung die wichtigste Stütze in Sachen Mentalität weggebrochen. Das Gebilde wurde instabil.

Um dieses wieder zu festigen, appelliert Schröder seitdem vehement an andere Akteurinnen, die Leader-Funktion zu übernehmen. Vor allem Tabea Kemme, Lia Wälti und Bianca Schmidt hat er da im Blick. Mit Abstrichen auch Elise Kellond-Knight, die nach ihrem Wechsel aus Australien nach Potsdam jedoch noch nicht so recht im neuen Umfeld angekommen sei.

Kleine psychologische Hilfe: ja. Zu viel reden: nein.

Die Führungsqualität einzufordern, ist das eine. Doch wie versuchen er und sein Trainerstab, dies auch zutage zu fördern? Psychologische Aufbauarbeit? Viele intensive Einzelgespräche? Kaum! „Wir haben natürlich mit ihnen gesprochen. Aber nicht mehr als sonst und somit auch nicht überdimensioniert“, erklärt Bernd Schröder. Seine Begründung: „So etwas muss sich von innen, aus dem Teamgefüge heraus entwickeln. Wenn wir von außen nur auf die Mädels einreden, wird das doch auch nicht besser.“

Diesen Ansatz findet Gordon Mempel grundsätzlich richtig. „Viel reden bringt nicht immer auch viel“, meint der Berliner Sportpsychologe, der die als Führungskräfte auserwählten Kickerinnen aber auch nicht gänzlich sich selbst überlassen würde. „Eine leichte Anleitung wäre hilfreich. Der beste Weg, Stärke zu demonstrieren, ist hierbei die Körpersprache. Diese nonverbale Kommunikation ist zumeist auf dem Platz wichtiger als die verbale. Dafür müssten nun zwei oder drei Spielerinnen bei Turbine sensibilisiert werden. “, erläutert er.

Schröder: "Wir arbeiten hier alle ganz normal weiter"

Mit jederzeit entschlossener Haltung – aufrecht, gehobener Kopf, Muskelspannung – könne eine Ausstrahlung erreicht werden, die das eigene Team bestärkt und den Gegner beeindruckt. „Diese Fähigkeit kann man sich aneignen. Allein schon durch das Zeigen und Besprechen von Fotos oder Videos aus Spielszenen, in denen die Körpersprache gut oder schlecht ist, können wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, die das Auftreten nachhaltig verbessern“, sagt Gordon Mempel. 

In der aktuellen Lage besteht also die Kunst darin, selbstbewusst zu wirken, obwohl das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit lädiert ist. Cheftrainer Bernd Schröder, der vergangenes Jahr mit Meisterschaftsplatz vier die schwächste Bilanz seit dem Jahr 2000 verbuchen musste und noch nie nach vier Bundesliga-Saisonpartien schlechter dastand als jetzt, ist deshalb bemüht, positive Signale zu senden: „Ich bin davon überzeugt, dass die Mannschaft, die wir zusammenhaben, das Format hat, in der oberen Tabellenregion mitzuhalten. Und weil wir auch von unserer Arbeit überzeugt sind, werden wir uns nicht von dieser Linie abbringen lassen.“

Ruhe bewahren und nicht alles gleich infrage stellen, ist sein Credo. Er bezieht es auf die Kritik an der Trainingsgestaltung, dem taktischen Konzept – und seinen Führungsqualitäten. „Wir arbeiten hier alle ganz normal weiter.“ Ob das in einer für Turbine unnormalen Situation der richtige Weg ist, wird sich am Samstag in Leverkusen zeigen.

Bayer Leverkusen gegen Turbine Potsdam, Samstag, Anpfiff 12 Uhr, live bei Eurosport

Nach Johanna Elsig hat sich nun bereits die zweite Turbine-Spielerin in dieser Saison einen Kreuzbandriss zugezogen. Mehr dazu: hier.

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