zum Hauptinhalt
Sollte Potsdam die Innenstadt rund um die Brandenburger Straße bis 2024 zur autofreien Zone erklären, werden auch in der Friedrich-Ebert-Straße Autos und Motorräder verbannt und nur noch Fahrräder, E-Bikes und E-Roller erlaubt sein.
© Andreas Klaer

Händler in Sorge: Nicht nur Zustimmung für autofreie Innenstadt in Potsdam

Die geplante teils autofreie Innenstadt bekommt Zustimmung von Umweltlobbyisten. Bei vielen Geschäftsleuten gibt es zu den rot-grün-roten Plänen jedoch große Vorbehalte.

Potsdam - Mit weitreichenden Plänen will die neue Rathauskooperation von SPD, Grünen und der Linken die brandenburgische Landeshauptstadt in den nächsten fünf Jahren modernisieren. Doch insbesondere Vorhaben zu einer ökologischen Verkehrswende wie die teils autofreie Innenstadt finden nur ein geteiltes Echo. Umweltlobbyisten sind dafür, Sprecher der Wirtschaft warnen vor Einschränkungen für den Handel und den Tourismus.

In ihrer 25-seitigen Kooperationsvereinbarung hatten SPD, Grüne und Linke am Dienstag wie berichtet unter anderem angekündigt, „ein Konzept der autoarmen Stadt“ voranzutreiben. Gemeint ist insbesondere die Innenstadt rund um die Brandenburger Straße zwischen Bassinplatz und Brandenburger Tor.

Bis 2024 sollen Autos aus diesem Teil der Innenstadt schrittweise verbannt werden. Zudem solle geprüft werden, ob Kinder und Jugendliche Busse und Bahnen künftig kostenlos nutzen können.

Freude bei Radfahrern

Es überrascht nicht, dass der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC) einen Politikwechsel dieser Art geradezu feiert. Wie sein Sprecher Ulf Hildebrand den PNN auf Anfrage sagte, sei die Nutzung der Fahrradständer rechts und links der Fußgängerzone in der Brandenburger Straße ein Beleg dafür, „dass der Handel gewinnen könnte“.

„Potsdam autofrei!“, ein im Januar 2018 gegründetes Aktionsbündnis, hatte im Mai 2019 mit einem großen Fahrradkorso schon mal autofrei geübt. An der Seite des Verkehrsclubs Deutschland, des ADFC und der Rathausfraktion Die Andere verbannten rund 200 Unterstützer den Autoverkehr aus der Feuerbachstraße. Hängematten wurden zwischen Bäume gespannt, Kinder malten Hüpfkästchen auf die Fahrbahn.

Vorbild in Spanien

Auf Anfrage der PNN forderte das Bündnis, dass Autos in Potsdam in Zukunft „nur noch eine seltene Ausnahme“ sein sollten. Vorbild könne die 83.000 Einwohner zählende Provinzhauptstadt Pontevedra im spanischen Nordwesten des Landes sein: Überall Tempo-30-Limit, Rückgang der CO2-Emissionen um 67 Prozent, 90 Prozent der Einkäufe werden zu Fuß erledigt.

Eine autofreie Innenstadt, so das Bündnis, lasse sich vom Bassinplatz bis zum Brandenburger Tor „schnell und kostengünstig umsetzen“. Erforderlich sei dafür aber ein dichtes Netz von Radschnellwegen und Fahrradstraßen, die umliegende Orte mit der Potsdamer City verbinden. Zudem müsse der ÖPNV ticketfrei werden, „damit die Menschen keinen rationalen Grund mehr haben, ihr Auto für eine Fahrt in die Stadt nutzen zu wollen“. Tourismus und Einzelhandel könnten „in höchstem Maße profitieren“.

Skepsis bei der IHK

Die neue rot-grün-rote Rathauskooperation geht mit ihrem Ziel einer autofreien Altstadt ein großes Stück über das 2017 beschlossene Innenstadtverkehrskonzept hinaus. Die Potsdamer Industrie- und Handelskammer (IHK) reagiert nicht grundsätzlich ablehnend, aber mit Skepsis auf das Vorhaben. „Autofreie Innenstädte werden häufig als Argument für eine höhere Lebensqualität angeführt“, gibt IHK-Hauptgeschäftsführer Mario Tobias auf Anfrage der PNN zu bedenken. Urbanes Leben brauche jedoch „auch die Gewerbetreibenden“. So könnten Handel, Gastronomie und Dienstleistungen „nicht nur von Anwohnern einer Innenstadt leben“, sie seien „auf Kundschaft einer größeren Region sowie auf die Touristen angewiesen“. Der Wirtschafts- und Lieferverkehr, so Tobias, „muss die Innenstadt erreichen können“.

Weiterhin will die Rathauskooperation den Anteil des Radverkehrs in der Stadt von 26 auf 40 Prozent erhöhen. Peter Heydenbluth, Präsident der Potsdamer IHK, plädiert für den Ausbau von Radschnellwegen, von denen auch die regionale Wirtschaft profitieren könne, weil der Wirtschaftsverkehr mehr Raum bekomme und schneller fließen könne. „Weniger Staus und Ärger, bessere Luft, mehr Geld in der Tasche und ein Bonus auf dem Gesundheitskonto sind die positive Bilanz“, sagt Heydenbluth.

Verkehrspolitisches Gesamtkonzept  wird vermisst

Wie auch die IHK bemängelt Olaf Lücke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) in Brandenburg, das Fehlen eines verkehrspolitischen Gesamtkonzepts für die Stadt, das einen Planungszeitraum von 20 bis 30 Jahren umfasst. Potsdam werde weiter wachsen, „da kann man eine dritte Havel-Überquerung nicht ausschließen und muss auch prüfen, wo Potsdam untertunnelt werden könnte“, sagte Lücke den PNN. Es fehle „an Visionen“, man müsse vernetzte Angebote für Touristen mit Hinweisen auf Parkmöglichkeiten und Baustellen etablieren.

Hat die Stadt die Finanzkraft für die Verwirklichung solcher Visionen? „Ja“, glaubt Lücke, die Bettensteuer in Höhe von 1,5 Millionen Euro jährlich fließe ohne Zweckgebundenheit in den Haushalt ein. Die Stadt müsse statt der Bettensteuer „Mut für eine Tourismusabgabe“ entwickeln, die könne zu Einnahmen von jährlich drei bis vier Millionen Euro führen und „Projekte anschieben“.

Er begrüße den Bau von Radschnellstraßen, wenn sie mit überregionalen Radwegen verknüpft würden, sagte Lücke. Es reiche nicht, „nur weiße Linien auf die Straße zu malen, man muss schon separate Radwege bauen“. Autofreie Zonen, so der Dehoga-Mann, dürften nicht zu Nachteilen bei der Anlieferung von Waren und der Anreise von Hotelgästen führen. „Die Leute“, so Lücke, „wollen auch in Zukunft mit ihrem Auto zu Innenstadt-Hotels wie dem NH oder dem Hotel zum Hofmaler anreisen.“

Sorge bei Händlern

Einzelne Händler sorgen sich schon jetzt wegen der Pläne. „Viele fahren am Morgen um 8 Uhr auf dem Weg zur Arbeit mit dem Auto vor und holen sich ihre belegten Brötchen bei uns“, sagt Ronny Hevekerl, Mitarbeiter der Fleischerei Neuendorff in der Friedrich-Ebert-Straße, „die würden wir sofort als Kunden verlieren, wenn diese Gegend autofrei wird.“

Carsten Holm

Zur Startseite