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Hürdenreich. Max Wolff (M.) muss feststellen, wie schwierig für Rollstuhlfahrer selbst einfachste Wege sind. Zum Glück gab es neben vielen befremdlichen Blicken auch hilfsbereite Passanten.
© Andreas Klaer

Wie barrierefrei ist Potsdam?: Mit dem Rolli in die Umkleide

21 Jugendliche testeten Potsdams Barrierefreiheit und gingen im Rollstuhl shoppen. Das Ergebnis ist - bis auf wenige Lichtblicke - ernüchternd.

Potsdam - Durch die Stadt spazieren, shoppen, mal eben Geld holen? Eigentlich simpel – wenn man nicht im Rollstuhl sitzt. Wie schwierig bis unmöglich die einfachsten Dinge werden, haben 21 Jugendliche, die derzeit ihr freiwilliges soziales Jahr in Brandenburg machen, am Donnerstag bei einem Test in Potsdam erfahren: Sie fuhren abwechselnd im Rollstuhl durch die Innenstadt, um zu prüfen, wie es um die Barrierefreiheit der Stadt bestellt ist.

„Geradeaus fahren ist gar nicht so einfach“, meint der 20-jährige Max Wolff, als er über den Bassinplatz rollt. Sein Rollstuhl hat keinen Elektroantrieb, das Fahren per Handbetrieb wird auf Dauer anstrengend. „Wir machen keine Vorgaben, wo die Teilnehmer hinfahren sollen“, sagt Diana Schwalbe vom Arbeiter-Samariter-Bund Brandenburg e.V. (ASB), der die Aktion initiiert hat. „Sie sollen sich ganz normal in der Stadt bewegen.“

Das Verhalten vieler Passanten wirkt eigenartig auf die Tester

Die Gruppe steuert die Brandenburger Straße an: Ein Bus versperrt die Einfahrt, Wolff versucht über den Bordstein zu kommen. Nachdem mehrere Versuche scheitern, bietet spontan ein Passant seine Hilfe an: „Was muss ich machen?“, fragt er und greift beherzt den Lenker. Mit ein bisschen Schwung ist die Kante geschafft. „Das fand ich super“, sagt Wolff, doch oft finde er das Verhalten vieler Passanten eigenartig: „Die gehen zwei Meter zur Seite, wo auch ein kleiner Schritt gereicht hätte. Man hat das Gefühl, dass sie nichts mit Rollstuhlfahrern zu tun haben wollen.“

Beobachtungen, die Diana Schwalbe bestätigen kann: „Manche Teilnehmer aus früheren Jahren hatten die Erfahrung gemacht, dass sie ausgelacht oder beschimpft wurden“, sagt die Leiterin des ASB-Projektes. „Andererseits sind viele Menschen aber auch sehr hilfsbereit.“

Barrieren beim Shoppen

Nun wird der Schauplatz gewechselt – in eine Seitenstraße, wo nicht so viel Publikum ist. Das hat Schwalbe den Teilnehmern zuvor eingeschärft: „Nicht einfach mitten auf dem Gehweg aufstehen wie nach der Wunderheilung.“ Marc Hedmann sitzt nun im Stuhl, er will bei H&M neue Sachen kaufen. Ein Lift ist vorhanden, um in die Herrenabteilung zu kommen, doch die Gänge sind teilweise zu eng: „Wenn du ein bestimmtes Teil haben willst, kommst du einfach nicht ran“, stellt der 18-Jährige fest.

Hedmann hat ein Hemd und eine Hose gefunden, doch da taucht das nächste Problem auf: Wie in die Umkleidekabine kommen? „Passt nicht“, sagt er und zeigt auf die Kabinentür: Sie ist ein paar Zentimeter zu schmal. Bleibt nur der Wickelraum, nachdem der Stuhl dort entfernt wurde. Sich drehen und im Spiegel anschauen ist unmöglich. Hedmann fährt zur Kasse und bezahlt. Die Bedienung legt ihm die Tüte auf den Tresen, an die Hedmann aber nicht rankommt. Wolff nimmt sie für ihn.

"Gegen den Denkmalschutz kommt man nicht an"

Es sind subjektive Beobachtungen, doch auch der Potsdamer Behindertenbeauftragte Christoph Richter sieht in Sachen Barrierefreiheit noch viele Baustellen: „Das Kopfsteinpflaster ist immer wieder ein Problem und die beiden glatten Fußwege auf der Brandenburger Straße, auf denen Rollstuhlfahrer gut fahren können, werden häufig zugestellt.“ Ähnlich sieht das Nicole Einbeck, Vorsitzende des Behindertenbeirates Potsdam: „Das größte Problem ist der Denkmalschutz, dagegen kommt man nicht an.“

Der Beirat hatte im Dezember 2015 eine Liste mit Vorschlägen an die Stadt übergeben, wie die Barrierefreiheit für die über 22 300 Behinderten in Potsdam verbessert werden soll – ohne Erfolg. „Da hat sich überhaupt nichts getan“, beklagt Einbeck. Laut Richter gebe es aber auch positive Beispiele wie den Aufzug am Otto-Braun-Platz, der derzeit gebaut wird, oder den barrierefreien Umbau der Tramhaltestelle am Stadthaus.

Wie barrierefrei Potsdam ist, darüber kann man nun auch online abstimmen: Anlässlich des europäischen Protesttages für Menschen mit Behinderung am 5. Mai hat die Aktion Mensch einen Städtetest ins Leben gerufen. Auf der Webseite der Initiative kann man einen umfangreichen Fragebogen zu Themen wie Mobilität, Wohnen oder Freizeit ausfüllen.

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