Landtagswahl 2019: Marie Schäffer holt historischen Wahlsieg für die Grünen
Dank der Unterstützung vieler jüngerer Menschen hat Marie Schäffer den ersten grünen Wahlkreis in Brandenburg gewonnen. Die 28-Jährige hat wenig Erfahrung – unterschätzt werden sollte sie aber nicht.
Potsdam - Marie Schäffer kommt – natürlich – mit dem Rad in das Café am Bildungsforum, in das der Pressesprecher der Brandenburger Grünen im Halbstundentakt die Journalisten bestellt hat. Leger gekleidet mit Jeans und T-Shirt schnallt sie sich beim Hereinkommen noch schnell den Helm ab, atmet einmal tief durch, grüßt mit festem Händedruck. Schäffer ist an diesem Montag mit die gefragteste Gesprächspartnerin für Journalisten im Land, schließlich ist der 28-Jährigen eine kleine Sensation gelungen: Als erste grüne Kandidatin überhaupt hat sie bei der Landtagswahl in Brandenburg ein Direktmandat gewonnen und sich auch noch gegen die langjährige SPD-Landtagsabgeordnete Klara Geywitz durchgesetzt. Gerade hat sie ihre ersten Fernsehinterviews gegeben. „Gewöhnungsbedürftig“ findet sie das große Medieninteresse. „Aber es war natürlich zu erwarten, dass das auch Aufmerksamkeit generiert, wenn wir zum ersten Mal das Direktmandat erreichen.“
Ein kompletter Neuling in der Politik ist Schäffer nicht, schon seit vier Jahren sitzt die Informatikerin im Landesvorstand der Brandenburger Landespartei. Doch der Öffentlichkeit wurde sie erst im Januar diesen Jahres bekannt, als sie überraschend bei der Kandidatenkür antrat – und sich gegen Janny Armbruster durchsetzte, die einige Monate zuvor bei der Potsdamer Oberbürgermeisterwahl gescheitert war. Von einer Kampfkandidatur will Schäffer heute nicht mehr sprechen, es sei bei den Grünen „ganz normal“, dass die Basis mitentscheiden dürfe, wer antrete, „ohne, dass es vorher ausgeklüngelt wird.“ Tatsächlich gab es wohl aber auch einige, die von Schäffers Vorpreschen nicht gerade begeistert waren. Mittlerweile wird sie von den meisten Parteifreunden aber offenbar wohlwollender betrachtet. Es gebe eben viele junge Neu-Mitglieder bei den Grünen, sagt einer, der schon lange dabei ist. Dieser Trend habe Schäffer „hochgespült“. Schäffer habe aber einen guten Stand. Sie gelte als wenig erfahren, aber fleißig.
Über Potsdam hinaus aufgefallen war Marie Schäffer dann im Februar beim Landesparteitag der Grünen in Fürstenwalde. Bei der Aufstellung der Landesliste hielt sie eine Rede, die aufhorchen ließ. Schäffer gab sich selbstbewusst, kämpferisch. Sie wolle das erste Direktmandat der Grünen in Brandenburg holen, verkündete sie, und wurde dafür vor allem von den jüngeren Parteimitgliedern mit frenetischem Applaus bedacht. Beim letzten Parteitag vor der Wahl in Potsdam, bei dem sich die Landesgrünen im August auf den Wahlkampf einschworen und Schäffer als Potsdamerin die Eröffnung oblag, wirkte sie plötzlich leiser, etwas unsicher, so, als würde ihr jetzt erst klar werden, was da eigentlich auf sie zukommen könnte als Landtagsneuling. Auch am Morgen des Wahlsonntags, als sie in einer Babelsberger Grundschule ihre Stimme abgab und den Wahlhelfern selbstgebackene Brownies überreichte, machte sie einen fast schüchternen Eindruck. „Klar, ich bin aufgeregt“, räumte sie ein.
Nahbar und unprätentiös
Mit der einstigen Konkurrentin Armbruster arbeitet Schäffer heute übrigens in der Potsdamer Stadtfraktion zusammen: seit der Kommunalwahl ist sie Stadtverordnete, ihre erste Parlamentserfahrung. „Macht Spaß“, sagt sie. Auch wenn es ständig Feedback gebe, und sei es auch nur wegen eines gefällten Baumes oder eines Fahrradweges, der „eine komische Biegung“ mache. „Das ist eben das, was als nächstes an den Menschen dran ist.“ Ob sie da als junge Frau ernstgenommen werde von den anderen Stadtverordneten? „Ich vermute mal spätestens jetzt“, sagt sie und grinst kurz. Man kann sich ganz gut vorstellen, dass Schäffer leicht unterschätzt wird. Nahbar und unprätentiös tritt sie auf, ist zurückhaltend und höflich. Wie sie da so im Café vor ihrer Apfelschorle sitzt, ungeschminkt und mit Pferdeschwanz, könnte man sie fast für noch jünger als 28 halten. Doch wenn es um politische Themen geht, wird ihre Mimik ernst und die Argumentation scharf, ihre Themen sind Beteiligung und Transparenz, einen „neuen Politikstil“ will sie durchsetzen. Unangenehmes moderiert sie routiniert ab – siehe Kampfkandidatur. Das hat sie also schon verinnerlicht.
Wegen der Finanzkrise zu den Grünen
Die Finanzkrise habe sie dazu gebracht, mit 18 bei den Grünen einzutreten, erzählt sie. Die FDP habe gerade damals so gute Umfragewerte bekommen, das machte sie wütend. „Genau diese neoliberale Politik hatte das alles doch ausgelöst.“ Ihre Eltern, Biologen und laut Schäffer „klassische Bildungsaufsteiger“, waren damals zwar politisch denkende Menschen, aber keine Parteimitglieder. „Inzwischen ist mein Vater auch bei den Grünen und als Kommunalpolitiker in Bremen aktiv“.
Nach Potsdam kam Schäffer wegen des Informatik-Studiums am Hasso-Plattner-Institut. Nach mehreren Jahren in Studentenwohnheimen zog sie kurz vor Ende des Studiums nach Babelsberg, wo sie bis heute lebt. Von ihrem Job bei der Landesdatenschutzbeauftragten wird sie nun freigestellt, nur noch ein paar Mal wird sie dort auftauchen. Dann geht es für Schäffer am Alten Markt weiter – im Brandenburger Landtag.
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