Oberbürgermeisterwahl: Ein Tag mit Grünen-Kandidatin Janny Armbruster
Wer sind die Frauen und Männer, die Potsdam regieren wollen – und was treibt sie an? Die PNN haben alle sechs Oberbürgermeister-Kandidaten einen Tag lang begleitet. Heute: Janny Armbruster (Bündnis 90/Die Grünen).
Der Tag beginnt mit der wilden Liese. Jeden Morgen geht Janny Armbruster mit ihrer Hündin spazieren. Der ungestüme hellbraune Vierbeiner zieht an der Leine, will heraus aus dem cremefarbenen Reihenhaus in Potsdam- West. Es geht an diesem sonnigen Septembermorgen die wenigen Meter hinunter zum Reinhold-Mohr- Ufer an die Havel – mit kurzem, routinierten Zwischenstopp am Häufchentütchenspender. „Wir haben Liese vor eineinhalb Jahren aus dem rumänischen Tierschutz geholt“, sagt Armbruster entschuldigend, als das Tier jeden unbekannten Zweibeiner eher unfreundlich anbellt. Auch bei einem Hundetrainer war sie schon – viel geholfen hat es nicht. „Aber man trägt ja Verantwortung für so ein Tier“, sagt sie.
Auf dem Spaziergang grüßt Armbruster die Nachbarin und hilft ein paar Bauarbeitern, die das Haus eines anderen Nachbarn nicht finden. Am Ufer wechselt sie ein paar Worte mit einem anderen Bewohner des Viertels, der gerade Müll vom Weg und dem Gras aufliest. Fast alle Passanten grüßen sie. Hier in ihrem Kiez kennt sie scheinbar jeden und jeder sie.
Eine grüne Oase
Im Gärtchen hinter dem Haus wässert derweil ihr Mann Bernt die üppigen Pflanzen. Er gießt Oleander und Hortensien, sprengt den Rasen. Eine kleine Oase, mit Vogelhäuschen am Baum, bunten Windrädern und farbenfrohen Lampions. Auf der Terrasse serviert Janny Armbruster später Wasser mit frischer Minze aus dem Garten. Spätestens hier an diesem lauschigen Fleckchen wird klar, dass grün nicht nur die Farbe von Janny Armbrusters Partei ist, sondern sich die Natur auch wie ein grüner Faden durch ihren Alltag zu ziehen scheint. Bei allen Terminen an diesem Tag spielen Pflanzen eine Rolle oder sind zumindest nicht weit.
Seit elf Jahren wohnt sie in dem Haus. „Hier fühle ich mich richtig wohl, es ist auch mein Rückzugsort“, beschreibt die 55-Jährige. Das Wohnzimmer ist gemütlich eingerichtet, warme Farben, viel Holz, an der Wand ein Metropolisplakat, Schwarzweißfotos der Familie und auf dem Tisch ein Strauß Sonnenblumen. Hier sitzt sie am liebsten bei Tagesanbruch, mit einer Tasse Kaffee, der Zeitung oder einem Buch. Oder abends mit Musik, wenn sie nicht ins Theater oder zu einem Konzert fährt. Auch eine Möglichkeit zum Abschalten: Sie schnappt sich eines der Boote, die im Garten lagern, und paddelt auf der Havel.
Eine Patchworkfamilie
„Wir sind damals mit dem Fahrrad durch Potsdam geradelt, mit einer Checkliste, was für ein Zuhause wir suchen“, erinnert sie sich. Ihr Mann lebte damals noch in Kassel, war dort Abteilungsleiter für Kommunikation an der Universität. „Wir sind eine Patchworkfamilie“, sagt Janny Armbruster. Sie hat einen Sohn aus einer früheren Partnerschaft, ihr einige Jahre älterer Mann ebenfalls, beide Kinder sind längst erwachsen. Das Paar beschloss, zusammenzuziehen – und beim gemeinsamen Radeln stießen sie auf das Häuschen. Bernt Armbruster ließ den Job auslaufen, war noch einige Jahre freiberuflich als Coach tätig und schrieb als freier Journalist. Mittlerweile ist er im Ruhestand und schreibt Krimis, gemeinsam mit einem Freund. Unter Pseudonym, Ulrich Hutten und Robert Morgenroth nennen sich die beiden. Zwei Bücher sind schon erschienen, das dritte in Arbeit.
„Ohne ihn wäre der Wahlkampf gar nicht möglich gewesen“, sagt Armbruster über ihren Mann. Er lacht fröhlich, will unbedingt den Sonnenschirm zeigen, rot-blau-grün mit dem Schriftzug „Janny’s“. Den haben sie bei einer Eisdiele bekommen. Als Nächstes deutet Bernt Armbruster auf eine bleiche, plattgedrückte Stelle im sonst frisch grünen Rasen. „Da stand das Zelt mit Jannys Wahlplakaten“, erklärt er.
Wahlkampf als Fulltime-Job
Das Paar sei der Kern des Wahlkampfteams, so erzählt es Janny Armbruster. Unterstützt würden die beiden von weiteren Ehrenamtlichen aus dem Kreisverband der Grünen. Ihre fünf Wochen Jahresurlaub hat sie in zehn Wochen Halbtagsarbeit umgewandelt, um Zeit zu haben für den Wahlkampf. „Gerade ist das echt ein Fulltime-Job nebenher“, sagt sie und klingt ein bisschen erschöpft. „Aber“, – da ist das Lächeln schon zurück – „ich lerne unheimlich viel.“
Sie hängten Plakate, entwarfen Flyer und eine Postkarte, bestückten die Homepage mit Texten und beantworten jede Mail von Bürgern persönlich. An dieser Arbeit haben beide Spaß – schließlich hat auch Janny Armbruster jahrelang als „Pressetante“ gearbeitet, wie sie es selbst nennt.
Ende der 1980er-Jahre hat sie in der Kommunikationsabteilung der Humboldt-Universität in Berlin begonnen. Eher durch Zufall, so erzählt sie es. Armbruster ist in Ost-Berlin geboren und aufgewachsen, als Tochter einer Bibliothekarin und eines Stasi-Mitarbeiters – was sie damals noch nicht wusste. „Aber mein Vater hat sich aus meinem Leben verabschiedet, als ich neun war“, sagt sie. Auch ihre Mutter sei eher DDR-konform gewesen, aber sie selbst habe schon in der Schulzeit Freunde aus anderen Kreisen gehabt. Kinder von Intellektuellen, Künstlern. „Damals bin ich zum kritischen, politisch denkenden Menschen geworden.“
Leben in der DDR
Nach dem Abitur studierte sie Geschichte und Deutsch auf Lehramt. „Aber spätestens bei einem Praktikum wurde mir klar, dass ich in der DDR nicht Lehrerin sein wollte“, sagt sie. Das habe sie per ärztlichem Attest erwirkt, das die real existierenden und bis heute präsenten Rückenprobleme belegte. Sie wollte promovieren, aber als sie dafür in die SED eintreten sollte, lehnte sie ab. „Dann wurde ich 1987 geparkt, in der Presseabteilung der Humboldt“, sagt die heute 55-Jährige. Ein eher öder Job zunächst. Kurze Zeit später wurde ihr Sohn geboren, sie pausierte erst einmal, stieg dann wieder ein.
Dann, nach der Wende, habe es „Zumm“ gemacht. „Ich konnte den ganzen Transformationsprozess begleiten“, sagt sie und die Begeisterung scheint noch heute aus ihren Augen zu strahlen, wenn sie davon spricht. Sie blieb in der Branche, wechselte an die Technische Universität in der Hauptstadt, bevor sie vor 20 Jahren nach Potsdam an die Universität kam.
„Ohne Kind wäre ich vielleicht in die Welt gezogen nach 1989, hätte die Muße gehabt zu sehen, was diese neue Welt mit mir macht“, sagt sie jetzt im Rückblick ganz offen und schaut ein wenig nachdenklich. „Aber ich musste ja erst einmal schauen, wo ich bleibe und wie ich durchkomme.“ So blieb sie bei der Kommunikation, bis vor einigen Jahren auch an der Uni Potsdam umstrukturiert wurde. Sie musste ihre Abteilung verlassen. „Das war eine zwangsläufige berufliche Veränderung, zunächst schmerzhaft, aber mit etwas Abstand auch gut“, findet sie. Etwas Neues, heraus aus dem Hamsterrad mit dem vielen Druck. Sie organisierte einige Zeit lang Weiterbildungen für Verwaltungsmitarbeiter. Heute arbeitet sie im Bereich Fundraising und Alumnibetreuung.
Schafe am Wegesrand
Was das konkret bedeutet, zeigt ein Treffen am Mittag im Botanischen Garten der Universität. Zum Termin kommt Janny Armbruster wenige Minuten zu spät. „Entschuldigung, ich musste noch die Schafe im Park Sanssouci fotografieren, ich konnte nicht anders.“ Dann zeigt sie kichernd auf dem Handy einen Facebook-Post mit Schafbild, den sie gerade geschrieben hat: „Und die Botschaft: schwarze, weiße, graue, alte und junge Schafe friedlich beisammen. Brandenburg, es kann so einfach sein!“ Dann packt sie das Telefon wieder in die Tasche und da bleibt es auch. Wenn man mit ihr spricht, ist sie voll da. „Sonst finde ich das einfach unhöflich.“
Neben dem großen Gewächshaus im Botanischen Garten der Uni hat Kerstin Kläring ihr Büro. Mit ihr, der technischen Leiterin des Botanischen Gartens, hat Armbruster eine Besprechung. Sie gehen Entwürfe für Flyer durch, besprechen das Programm des Gartens, denken über weitere Kommunikation nach. Das Projekt, an dem die beiden zusammen arbeiten, ist der Paradiesgarten. Eine grüne Oase, eine marode allerdings, so ist beispielsweise der Teich undicht. Der Paradiesgarten soll saniert werden, wenn es nach Kläring und Armbruster geht. „Neben einem grünen könnte es hier auch ein blaues Klassenzimmer geben“, beschreibt Kläring. Schüler könnten dort etwa Kaulquappen beobachten. Dafür suchen die beiden noch Finanzmittel, haben ein Faltblatt erstellt, um die Teilprojekte zu erklären. „Aber es geht nicht nur um Geld, es geht um Partner, um Kooperationen“, beschreibt Armbruster. Hierfür führt sie Gespräche, organisiert mit Kläring Veranstaltungen, etwa mit Mitgliedern des Rotary-Clubs. „Ich bin froh, dass ich eine Partnerin wie Armbruster habe, die noch einmal anders in die Uni hineinwirken kann“, betont Kläring.
Der neue Job, bei dem Armbruster mehrere Projekte wie dieses betreut, ins Leben ruft, weitertreibt, hat noch einen Vorteil: Sie konnte sich „politisch outen“, wie sie es nennt. „In der Pressearbeit verbietet sich das.“ Den Grünen fühle sie sich schon lange verbunden. „Wenn man Kinder hat und man ihnen ermöglichen will, dass sie in einer halbwegs gesunden Welt leben, finde ich das logisch.“ So einfach ist das für sie. 2013 trat sie der Partei bei, schon ein Jahr später wurde sie in die Stadtverordnetenversammlung gewählt.
Radeln für das Klima
Zwischen den Terminen schwingt sie sich auf ihr Fahrrad mit dem Schild „Janny wählen“ am Gepäckkorb. Auch dem Klima zuliebe. Wenn sie über Klimapolitik spricht, kommt sie richtig in Fahrt, redet schneller, gestikuliert. „Es regt mich richtig auf, dass die Klimaziele der Stadt kaum umgesetzt werden!“ Mit dem Rad fährt sie in ihr Büro an der Uni. Bei der konzeptionellen Arbeit fühlt sie sich wohl, sagt sie: „Operativ kann ich auch, aber die strategische Arbeit liegt mir und macht mir Spaß.“
Vor Publikum aufzutreten, fällt ihr sichtlich nicht ganz so leicht. Am Abend hat Janny Armbruster eine Talk-Veranstaltung mit Annalena Baerbock, der Bundesvorsitzenden der Grünen, die mit ihrer Familie in Potsdam lebt. Ein Heimspiel eigentlich, denn in das Inselcafé auf der Freundschaftsinsel sind an diesem Abend vor allem Anhänger und Mitglieder der Grünen gekommen, dazu Mitglieder der grünen Jugend. Bei denen kommt die Kandidatin gut an. „Janny hat uns schon eingeladen, bevor ihre Kandidatur feststand, um sich anzuhören, was uns wichtig ist, und um Fragen zu beantworten“, erinnert sich Danilo Zoschnik aus dem Vorstand der Grünen Jugend. „Wir fühlen uns ernst genommen, sie ist immer zugewandt und offen.“
Vor ihrem Auftritt vor etwa 40 Besuchern wirkt Armbruster nervös, sie hüpft sich warm. Sie scheint nicht so recht in ihrem Element, als sie mit dem Ansteckmikrofon verkabelt wird. Ihr Mann Bernt gibt ihr noch einen Mutkuss, bevor sie auf die Bühne geht. Als von einem Gast Kritik wegen der überschaubaren Zahl der Besucher kommt, reagiert sie jedoch souverän, vermittelnd und diplomatisch. Erklärt die Kurzfristigkeit des Termins, will aber auch mit dem Mann sprechen, um sich seine Ideen anzuhören. In der Debatte mit Baerbock ist sie voll da, gewissenhaft. Nur selten schweift ihr Blick zu den Bäumen. Ihrem grünen Faden.
Das nächste Kandidaten-Porträt erscheint am morgigen Dienstag: Mike Schubert (SPD). Sowohl die Reihenfolge als auch die Autoren haben wir per Los bestimmt. Alle Porträts finden Sie nach dem Erscheinen auch online.