Interview | Regisseur Volker Schlöndorff: „Man kann nur sagen: Schande über euch”
Der Potsdamer Oscar-Preisträger spricht über den bereits Jahre andauernden Konflikt um den Uferweg am Griebnitzsee, seinen veränderten politischen Standort und über die Arbeit an seinem neuen Film.
Herr Schlöndorff, Sie haben auf Bitte des Vereins „Griebnitzsee für Alle” zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit Ihren wohl kürzesten Film gedreht: vier Minuten über den Uferweg am Griebnitzsee. Ihr Votum für einen für alle offenen Weg?
Unbedingt. Es ist für mich ein Stück Heimatkunde: zu zeigen, wie es am Griebnitzsee vor 30 Jahren ausgesehen hat. Ich freue mich darüber, dass der Film jetzt täglich zur Einheitsfeier auf einem großen LED-Bildschirm neben dem Filmmuseum zu sehen ist.
Sie zeigen ein düsteres Bild: Wachtürme, überall die Mauer, dazwischen Spaziergänger. Woher stammen die beeindruckenden Fotos?
Das Glück war, dass ich bei den Recherchen für den Film auf Aufnahmen des vor drei Jahren verstorbenen Babelsberger Astrophysikers Hans Oleak gestoßen bin. Alle historischen Aufnahmen sind von ihm. Sein Sohn hat die Negative gefunden, ich habe sie dann dem Potsdam Museum übergeben.
Was ist die Botschaft Ihres Films?
Die erste: Ich hätte da nicht leben wollen. Die zweite: Nicht zu vergessen, wie es war. Es gibt ja heute viel zu wenige Orte, die daran erinnern.
Weil die Mauer fast überall entfernt wurde.
Ja. Am Griebnitzsee steht immerhin ein zehn Meter langes Mauerstück, daneben eine Gedenktafel. Für eine lebendige Erinnerung wäre es gut gewesen, alle zehn Kilometer ein Stück stehen zu lassen.
Der textfreie Film wird musikalisch von der Klavierinterpretation der von Joseph Haydn komponierten deutschen Nationalhymne untermalt. Ist das ein Bekenntnis?
Das ist es wohl. Ich bin ja nach dem Fall der Mauer als Patriot hierher zurückgekommen. Ich habe mir vorgestellt, dass in einem dieser Häuser, die ich zeige, ein junges Mädchen Klavierspielen übt und immer wieder die Hymne runterklimpert. Und durch die offenen Fenster weht das über den See.
Sie leben seit 27 Jahren am Griebnitzsee. Der Uferweg führt an Ihrem Anwesen vorbei.
Mein Haus war zu DDR-Zeiten von drei Seiten von der Mauer umgeben, vorn und hinten stand je ein Wachturm. Und der Uferweg führt über mein Grundstück.
Spaziergänger, die am Wochenende in Scharen vorbeikommen, stören Sie nicht?
Zur Zeit kommen sie nicht, weil der Weg ja zum Teil versperrt ist. Die 15 Jahre davor habe ich sie gar nicht wahrgenommen. Und man muss sich klar machen, dass fast überall, auch in Bayern am Starnberger See, die Uferwege frei sind.
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Der Konflikt um den Uferweg ist komplex.
Sicher. Warum einige von 80 Anliegern den Uferweg haben sperren lassen, ist eine juristische Angelegenheit. Man muss daran erinnern, dass die Grundstücke in verschiedenen Epochen der deutschen Geschichte enteignet wurden, zuletzt 1961 zum Bau der Mauer, davor etwa 1945/46 vor Gründung der DDR durch die sowjetische Besatzungsmacht. Davor Ende der 1930er-Jahre von den Nazis, als sie den jüdischen Besitzern die Häuser im Zuge der sogenannten Arisierung wegnahmen.
Das sind doch die Grundstücke, die als erste zurückgegeben wurden, ohne dass ein Wegerecht eingetragen wurde.
So ist es. Und sie haben als Erste den Weg zugemacht. Insofern leiden wir unter den späten Nutznießern der Arisierung.
Das empört Sie sehr.
Man kann doch nur sagen: Schande über euch.
Haben Sie auch Verständnis für Anwohner, die ihre privilegierte Lage nicht durch einen Wander- und Radweg einschränken lassen wollen?
Ja. Aber man muss doch abwägen, ob man ein friedlicher oder ein feindlicher Nachbar sein will.
Werden wir hier nicht Zeuge eines Grundsatzkonflikts: Zwischen dem Recht auf Eigentum und seiner Sozialpflichtigkeit?
Es ist doch in den Verfassungen der Bundesländer festgelegt, dass der Zugang zu den Ufern frei ist. Das ist am Griebnitzsee aus verfahrenstechnischen Gründen gescheitert.
Der heutige Uferweg ist der einstige Postenweg der DDR-Grenzer. Wie könnte er in Zukunft genutzt werden?
Es gibt Denkmäler an dem kurzen Wegstück: Ein Stück Mauer, den Grundriss eines Wachturms und Stelen mit den Fotos der elf DDR-Bürger, die beim Fluchtversuch umgekommen sind. Die waren alle zwischen 18 und 22 Jahre alt. Solche Dokumentationen könnte man erweitern.
Die Stadt lässt nach den Niederlagen vor Gericht nicht locker. Seit dieser Woche sucht sie wie berichtet mit einer europaweiten Ausschreibung nach Spezialisten für Bebauungspläne, die einen dritten Versuch wagen sollen.
Das kann ewig dauern.
Haben Sie mit dem Oberbürgermeister oder Kommunalpolitikern über den Uferweg gesprochen?
Mit dem früheren Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) habe ich sogar den SAP-Gründer Hasso Plattner aufgesucht. Zu dritt haben wir beratschlagt, was man tun könnte. Solche Initiativen hat es neben der offiziellen Politik immer gegeben.
Mit welchem Ergebnis?
Dass der Weg leider noch immer nicht frei ist.
Wie hat sich im Laufe Ihres Lebens Ihre Einstellung zum Staat verändert?
Ich bin mir jetzt viel mehr bewusst darüber, dass das Gewaltmonopol allein beim Staat liegen und von der Gemeinschaft akzeptiert werden muss. Sonst droht Anarchie. Das hätte ich früher so radikal nicht denken können.
Was hat diesen Prozess des Umdenkens ausgelöst?
Zwei Ereignisse: Der Deutsche Herbst 1977, als man den Unternehmer Hanns Martin Schleyer wie von der Mafia erschossen im Kofferraum eines Autos fand.
Das war Ihr Bruch mit der extremen Linken.
Richtig. Das Zweite war der Fall der Mauer, den ich in New York erlebte. Ich habe da ungeahnte patriotische Gefühle in mir entdeckt. Ich sagte mir: Du musst zurück nach Deutschland.
Bei der CDU und in konservativen Medien waren Sie in den 1970er-Jahren verhasst, weil Sie mit „Katharina Blum” den Boulevardjournalismus geißelten. Vorgeworfen wurde Ihnen zudem, dass Sie über die sogenannte Rote Hilfe auch Anarchisten finanziell unterstützten. Sie galten trotzdem als SPD-nah.
Der frühere SPD-Bundestagsfraktionschef Herbert Wehner hat mich damals wegen der Roten Hilfe als Sachverständigen der SPD bei der Filmförderungsanstalt rausgeschmissen. Ich habe dann dreimal Wahlkampf für Angela Merkel gemacht.
Das ist ein großer Sprung, wenn man bedenkt, woher Sie kommen.
Ja. Aber ich entscheide heute nicht mehr nach Parteien, sondern nach Personen. Als ich Merkel vor ihrer Kanzlerschaft bei einer Begegnung in Babelsberg sagte, sie solle kandidieren, ich würde sie wählen, antwortete sie: Ich glaube Ihnen kein Wort. Aber man sieht: Auch alte Linke können Wort halten.
Sie waren 60 Jahre alt, als Sie mit dem Lauftraining begannen. Sie waren über 70, als Sie den Pariser Marathon in 4:22 Stunden erledigten. Laufen Sie noch?
Ja, aber keinen Marathon mehr.
Wie oft? Wie weit?
Na, so jeden zweiten Tag. Immer zehn Kilometer.
Werden wir noch einen weiteren Film von Ihnen sehen?
Das hoffe ich sehr, er ist zur Hälfte fertig. Es ist ein Dokumentarfilm mit dem Titel „Der Waldmacher“. Dieser Mann arbeitet in Afrika und Indien, wo ich gedreht habe.
Was macht der Waldmacher?
Er lässt ganze Wälder wieder wachsen, ohne einen Baum zu pflanzen.
Ein Zauberer?
Nein, er aktiviert das bestehende Wurzelwerk mit großem Erfolg.
Wann wird der Film fertig?
Ich muss noch sechs Wochen in Afrika drehen. Im Moment ist es wegen Corona schwierig. Ich warte täglich darauf, dass ich aufbrechen kann.
Der Griebnitzsee-Film von Volker Schlöndorff ist bis zum 3. Oktober auf der LED-Wand vor dem Filmmuseum zu sehen.
Zur Person:
Volker Schlöndorff, 1939 in Wiesbaden geboren, gehört zu den wichtigsten deutschen Regisseuren. Sein internationaler Durchbruch gelang dem Regisseur, Drehbuchautoren und Filmproduzenten 1980 mit der Verfilmung der „Blechtrommel” von Günter Grass. Sie wurde mit dem Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film” und in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet.
1975, zur Hochzeit des westdeutschen RAF-Terrorismus, wurde er von Konservativen heftig für die Verfilmung von Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum” kritisiert. Nach dem Erfolg der „Blechtrommel” wollte der in Wiesbaden geborene und im hessischen Taunus aufgewachsene Arztsohn zeitlebens in den USA bleiben und arbeiten.
Nach dem Fall der Mauer aber zog der heute 81-Jährige nach Berlin und dann nach Potsdam an den Griebnitzsee. Von 1992 bis 1997 leitete er Studio Babelsberg. Von 1971 bis 1991 war Schlöndorff mit der Schauspielerin und Regisseurin Margarethe von Trotta verheiratet, in zweiter Ehe seit 1992 mit der Schnittmeisterin Angelika Gruber, die 2018 starb. Mit ihr hat er eine Tochter.
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