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1978 drehte Volker Schlöndorff (l.), hier mit Günter Grass (r.) und Hauptdarsteller David Bennent, unter anderem in der Neuköllner Uthmannstraße.
© Studiocanal / Deutsches Filmmuseum

Klassiker erneut im Kino: Wo „Die Blechtrommel“ in Berlin gedreht wurde

Volker Schlöndorffs „Blechtrommel“ kommt erneut ins Kino. Ohne Berlin wäre der Film nie entstanden. Verschiedene Drehorte befinden sich in der Hauptstadt.

Es ist nicht überliefert, ob es als Verdauungsschnaps ein Gläschen „Danziger Goldwasser“ gab, aber das Essen war deftig, so viel steht fest: Linseneintopf mit Bauchspeck, vom Gastgeber selbst gekocht.

Der Imbiss lässt sich sogar bezüglich Tag und Ort genau bestimmen: 30. Mai 1977, Niedstraße 13 in Friedenau, ein romantisches kleines Landhaus mit Vorgarten, Baujahr 1881, „leicht verförstert“, wie Uwe Johnson befand, der seinem Kollegen Günter Grass diesen Wohnsitz 1963 vermittelt hatte. Dessen rustikal bewirteter Gast an diesem Frühlingstag vor 43 Jahren: Regisseur Volker Schlöndorff.

Es ging, na klar, um die „Blechtrommel“, die Schlöndorff, zuvor mehr an Paris als an Danzig interessiert, erst wenige Wochen zuvor gelesen hatte und die ihm seither als möglicher Filmstoff im Kopf herumspukte.

Man kann also den 30. Mai 1977 als Beginn des Weges bestimmen, den der Regisseur damals betrat und der ihn und einen Teil seiner alten Crew an diesem Sonntag zur ausverkauften Jubiläumspremiere ins Kino International führen wird, darunter die Hauptdarsteller David Bennent und Katharina Thalbach sowie Produzent Eberhard Junkersdorf.

„Die Blechtrommel“ kommt erneut ins Kino, in 4k-Qualität restauriert, 142 Minuten lang, damit etwas kürzer als der vor einigen Jahren veröffentlichte „Director’s Cut“ – während die in Cannes mit der Goldenen Plame und in Hollywood mit einem Oscar prämierte Fassung auf Weisung von United Artists nicht länger als 135 Minuten sein durfte.

Ohne Berlin wäre der Film kaum zustande gekommen

Die Restaurierung des Films fand mit der Firma Arri Berlin unter der Aufsicht von Eberhard Junkersdorf und Volker Schlöndorff statt. „Heute wirkt er fast noch stärker auf der Leinwand als damals,“ freut sich der Regisseur, „so wie die großen Gesichter der Stummfilmzeit uns heute noch mehr überwältigen als die Zuschauer damals in den Kinos. Bei der Restauration fragte ich mich oft, wie haben wir das nur gemacht?“

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Das Linsengericht sollte nicht der einzige Beitrag Berlins zu der Geschichte um den jungen, nicht mehr wachsen wollenden Blechtrommler Oskar Matzerath bleiben.

Ja, man darf mit einem gewissen Recht sagen, dass der Film ohne Berlin kaum zustande gekommen wäre. Das sperrige, lange umstrittene Buch als Filmvorlage ließ nicht erwarten, dass Produzent und Regisseur umgehend mit Geld zugeschüttet würden. Ohne öffentliche Zuschüsse wäre das Projekt wohl gescheitert.

Die positive Entscheidung der Filmförderungsanstalt (FFA) des Bundes, damals im Eden-Haus in der Budapester Straße ansässig, ließ Anfang März 1978 noch immer auf sich warten. Doch hatte der Berliner Senat gerade ebenfalls ein Filmförderungsprogramm mit einem Jahresetat von zunächst fünf Millionen D-Mark aufgelegt, erhoffte sich davon einen „Berlin-Effekt“, einen Schub für die hiesige Filmwirtschaft. Denn selbstverständlich war die Vergabe solch eines Kredits daran gebunden, dass ein angemessener Teil der Produktion in Berlin stattfand. Im Falle der „Blechtrommel“ wurden es 700.000 D-Mark, zugesagt am 6. Juni 1978, erst danach kam auch das Geld von der FFA.

Auch in West-Berlin wurden zahlreiche Szenen gedreht

Der Film hatte über mehrere europäische Staaten verstreute Drehorte, Frankreich, Jugoslawien, Polen und dort sogar Danzig, aber auch in West-Berlin wurden zahlreiche Szenen gedreht. Das hiesige Angebot an Studiokapazität war damals überschaubar: „Kein brauchbares Atelier in Berlin, nur die alten Hallen von Atze Brauner in Spandau“, urteilte Schlöndorff in einem von Grass angeregten Tagebuch zum Filmdreh, nachzulesen in seinem autobiografischen Band „Licht, Schatten und Bewegung – Mein Leben und meine Filme“.

In den CCC-Studios auf Eiswerder entstand die Wohnung der Matzeraths, auch die Geburt Oskarchens und sein Sturz die Kellertreppe hinunter wurden dort gedreht.

Das Berliner Pflaster erwies sich als sehr brauchbar, um Oskar Matzeraths Wohnstraße in Danzig darzustellen, den Labesweg im mittlerweile eingemeindeten Vorort Langfuhr.

Grass selbst hatte dort, in der Nr. 13, seine Kindheit verbracht, in der Nähe gibt es eine Matzerath-Figur, die mit dem Film-Oskar allerdings kaum Ähnlichkeit besitzt.

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Auf der Suche nach einem passenden Gegenstück in West-Berlin waren die Location Scouts auf die Neuköllner Uthmannstraße gestoßen. Sie geht von der Karl-Marx-Straße ab, nahe der nach ihr benannten U-Bahn-Station. Eine nur wenige Hundert Meter lange Nebenstraße mit großen Pflastersteinen und einigen alten Gaslaternen, heute teilweise recht vermüllt und im Baustil recht heterogen, quer durchs vergangene Jahrhundert, mit größeren Resten der überladenen Stuckarchitektur der Kaiserzeit.

Normalerweise dem Durchgangsverkehr offenstehend, wurde die Uthmannstraße für die Dreharbeiten zur Einbahnstraße, bekam zur Karl-Marx-Straße hin die Scheinfassade der „Danziger Aktien Brauerei“ und half so mit beim „Spagat zwischen Fantasie und Realismus“, wie Schlöndorff es beschrieb.

Auch das Hotel Schweizerhof in der Budapester Straße leistete seinen Beitrag zum Film

Der gelang auch in der Weddinger Wiesenstraße, wo die teilweise kriegszerstörten Reste des „Berliner Asyl-Vereins“ standen, 1896 von Leuten wie August Borsig und Rudolf Virchow gegründet, gedacht für obdachlose Männer, später auch für Frauen.

Im Krieg hatte eine Brandbombe die große Sammelhalle zerstört, gedreht wurde nun dort der Brand der Danziger Synagoge am 9. November 1938. Ein anderer Teil der Anlage diente als Eingang der Kaserne, in der Jan Bronski, Liebhaber von Oskars Mutter und möglicherweise sein Vater, gemustert und für untauglich befunden wird.

Und auch das Hotel Schweizerhof in der Budapester Straße als damaliges Domizil Schlöndorffs hat seinen Beitrag zu dem Film und sogar einer entscheidenden Szene geleistet. Katharina Thalbach wollte sich vor der Kamera nicht ausziehen, die Szene mit Oskar in der Badekabine erforderte es aber nun mal.

Schlöndorff fand eine filmische Lösung, die sowohl der Fantasie des Zuschauers wie dem Schamgefühl seiner jungen Darstellerin gerecht wurde. Ein von ihm gezeichnetes Storyboard überzeugte sie. Gekritzelt hatte er es auf dem Briefpapier des „Schweizerhofs“.

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