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Die Notfall-Versorgung für Menschen mit schweren Erkrankungen gerät im Zuge der Coronakrise in Potsdam immer stärker an den Rand der Belastbarkeit.
© Ottmar Winter
Exklusiv

Die Corona-Lage in Potsdam: Jetzt bloß keinen Herzinfarkt

Ausbrüche in Pflegeheimen und Kliniken, die Notfallversorgung wankt. Die Corona-Pandemie bringt Potsdam an Grenzen.

Potsdam - Große Besorgnis wegen Corona-Ausbrüchen in Pflegeheimen, die medizinische Versorgung für reguläre Notfall-Patienten am Anschlag und zumindest nächste Woche auch keine Wiedereröffnung der Kitas: Die Stadtverwaltung hat den PNN auf Anfrage einen umfassenden Einblick verschafft, wie ernst die Pandemielage in der Landeshauptstadt ist. Ein Überblick. 

Kann die medizinische Notfallversorgung in Potsdam aktuell noch garantiert werden?

Nur noch eingeschränkt. Der Chef der auch für den Rettungsdienst zuständigen Feuerwehr, Ralf Krawinkel, beschrieb den Zustand am Donnerstag, 11 Uhr: Zu dem Zeitpunkt habe kein einziges Intensivbett mehr für Nicht-Corona-Patienten in Potsdam zur Verfügung gestanden. 

Wie berichtet hatten die Kliniken wegen der zahlreichen Corona-Patienten Kapazitäten erweitern müssen, die nun auf den Normalstationen fehlen. Die Erstversorgung von lebensbedrohlich Erkrankten sei auch garantiert, wenn kein Intensivbett mehr frei sei, sagte Krawinkel. 

In der Notaufnahme eines der Potsdamer Krankenhäuser würden die Patienten stabilisiert und für einen Transport in ein anderes Krankenhaus der Region vorbereitet, etwa nach Brandenburg/Havel oder Ludwigsfelde. Für solche Fahrten setze man bereits auch Katastrophenschutzkräfte ein.

Feuerwehr-Chef Ralf Krawinkel.
Feuerwehr-Chef Ralf Krawinkel.
© Andreas Klaer

Doch da andere Häuser auch an der Belastungsgrenze arbeiten, sei die Suche nach freien Betten immer schwieriger. „Bei einem Herzinfarkt besteht aktuell die Gefahr, dass Sie zu gewissen Zeitpunkten nicht mehr die Versorgung erhalten, wie das vor einem Jahr noch möglich gewesen wäre.“ Gesundheitsdezernentin Brigitte Meier (SPD) appellierte, die Menschen müssten sich an die Corona-Regeln halten, damit die Zahl der Infektionen sinke und „wir nicht noch mehr Betten brauchen“. Sonst sei die Notfallversorgung in Potsdam bald in Gefahr.

Wie gefährlich ist wegen Corona ein Aufenthalt in den Potsdamer Kliniken?

Ausgeschlossen werden kann eine Ansteckung mit dem Coronavirus im Krankenhaus trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht. „Es ist keine hundertprozentige Sicherheit möglich“, sagte Bergmann-Geschäftsführer Hans-Ulrich Schmidt. Seit dem Beginn der zweiten Welle im November haben das kommunale Klinikum und das St. Josefs-Krankenhaus immer wieder mit kleineren Ausbrüchen zu kämpfen, ohne dass dies öffentlich bekannt gemacht wurde. 

Geschäftsführer Hans-Ulrich Schmidt.
Geschäftsführer Hans-Ulrich Schmidt.
© Ottmar Winter

Neun Ausbruchsmeldungen habe es aus beiden Kliniken seit November gegeben, sagte Gesundheitsamtschefin Kristina Böhm. Es gebe aber einen wichtigen Unterschied zur ersten Welle im vergangenen Frühjahr: „Die Meldedisziplin der Häuser ist gewachsen“, Ausbrüche würden der Behörde schnell gemeldet. Auch bei den Schutzvorkehrungen habe sich viel getan. Durch ein „stringentes Testregime“ hätten alle Ausbrüche schnell eingegrenzt werden können, so Böhm. 

Nach einem schweren Corona-Ausbruch im Bergmann-Klinikum im Frühjahr mit vielen Toten waren Verantwortliche des Klinikums ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten, ermittelt wird unter anderem wegen fahrlässiger Tötung.

Vor wenigen Tagen hatten die PNN von einem Ausbruch auf beiden Stationen der Onkologie erfahren. Dort werden Krebspatienten behandelt, die besonders immunschwach und damit hochgradig gefährdet sind. Bei dem Ausbruch wurden nach Angaben des Klinikums bereits im Dezember sechs Personen infiziert, zwei Mitarbeitende und vier Patienten. Davon sei ein Patient gestorben, ein weiterer liege noch auf der Covid-Station, zwei konnten kurz vor Weihnachten beziehungsweise Silvester entlassen werden. Am 22. Dezember sei der Ausbruch für beendet erklärt worden.

Amtsärztin Kristina Böhm.
Amtsärztin Kristina Böhm.
© Sebastian Gabsch

Im Detail berichtete das Klinikum, Anfang Dezember sei ein Mitarbeiter bei einem regulären Corona-Test positiv gewesen. Weil er mit Schutz und nicht am Patienten arbeitete, sei er zunächst als Einzelfall eingestuft worden. Zwei Tage später sei dann jedoch ebenso bei Routinetests ein Onkologie-Patient positiv getestet worden. 

Die Infektion habe man durch den Ausschluss anderer Quellen in Zusammenhang bringen müssen, obwohl es keinen nachweislichen Kontakt zwischen Mitarbeiter und infiziertem Patienten gegeben habe. Ein erster Test aller weiteren Mitarbeitenden und Patienten der Onkologie habe keine weiteren Infektionen nachgewiesen – doch vier Tage später gab es vier weitere Corona-Infizierte, wobei sich der zweite infizierte Mitarbeiter möglicherweise auch außerhalb angesteckt haben könnte. Böhm sagte, mit „zunehmender Viruslast“ in einem Umfeld sei es immer schwieriger, die Quelle solcher Ausbrüche genau zuzuordnen.

Warum werden kleinere Corona-Ausbrüche im Klinikum nicht publik gemacht?

Zu dieser Frage erklärte der Chefhygieniker des Klinikums, Klaus-Dieter Zastrow, die Ausbrüche seien in einer Lage mit einem diffusen und zunehmenden Infektionsgeschehen „leider Teil des neuen Alltags“. 

Entscheidend sei, die Ursache für einen Ausbruch frühzeitig zu erkennen und schnell abzustellen. Insgesamt seien laut Klinikum im November und Dezember 20 von 4674 aufgenommenen Patienten positiv auf das Corona-Virus getestet worden, nachdem der Aufnahmetest noch negativ verlaufen sei – wobei sieben dieser 20 Personen nach einem zweiten Test bis zu zwei Tage nach der Aufnahme als infiziert galten. 

Klaus-Dieter Zastrow.
Klaus-Dieter Zastrow.
© DPA

Insgesamt habe es in der Zeit vier bis fünf kleinere Ausbrüche gegeben, meist mit drei bis vier Betroffenen, zum Teil seien nur Mitarbeitende infiziert gewesen. Im Vergleich mit anderen Häusern sei man mit diesem moderaten Infektionsgeschehen zufrieden, sagte Geschäftsführer Schmidt. Im Klinikum würden jetzt wegen Corona dennoch mehr Patienten sterben als sonst, es gebe eine Übersterblichkeit. Für Pflegekräfte und Ärzte sei das emotional sehr belastend.

Wie ist die Lage in den Pflegeheimen?

Sie ist weiterhin dramatisch. Laut Amtsärztin Böhm gebe es akut an bis zu zehn von rund 30 Potsdamer Senioreneinrichtungen kleinere oder größere Ausbrüche. Ein signifikant großer Anteil der dort infizierten Senioren komme mit einer Verzögerung von ein bis zwei Wochen ins Krankenhaus, mit teils schwersten Verläufen, machte Dezernentin Meier deutlich. 

Gesundheitsdezernentin Brigitte Meier.
Gesundheitsdezernentin Brigitte Meier.
© Ottmar Winter PNN

Ein genaues Monitoring, um dies in Zahlen zu fassen, wird laut Amtsärztin Böhm derzeit erstellt. In den Einrichtungen sei der Umgang mit dem Virus sehr unterschiedlich, abhängig auch vom Engagement der Leitungen oder der Professionalität des Trägers. Etwa die Hälfte der von Infektionen betroffenen Potsdamer Einrichtungen sei eher schlecht vorbereitet und mit der Lage überfordert, so Böhm. 

Ursache seien oft wirtschaftliche Zwänge, sagte Meier. „Das muss nach der Pandemie sehr genau ausgewertet werden.“ Als eine offene Flanke habe sich der manchmal nur tageweise Einsatz von Leasingkräften in den Einrichtungen erwiesen. Auf deren Leiharbeitsfirmen habe man keinen Zugriff, dort gebe es auch keine Testpflicht. 

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Problematisch habe sich in manchen Einrichtungen auch das Verhältnis zu den Angehörigen erwiesen, bei manchen gebe es noch kein genügendes Bewusstsein für die Gefährlichkeit von Corona. So habe sich ein Senior bei einem Weihnachtsbesuch angesteckt, was in seiner Einrichtung zu einer „Folgeinfektionswelle“ führte, so Böhm – trotz eingesetzter Schnelltests. Angesichts solcher Fälle müsse man auch mit weiter steigenden Zahlen in den Krankenhäusern rechnen – mit den besagten Folgen. Meier sagte, die Heime müssten so schnell wie möglich durchgeimpft werden, um die Lage zu beruhigen. Doch das werde noch weitere zwei bis drei Monate dauern. 

Im Krisenstab werde man laut Meier am Freitag auch darüber diskutieren, ob die Stadt einzelne Einrichtungen, in denen es Ausbrüche gibt, öffentlich benennt – wie es der Landkreis Märkisch-Oderland und neuerdings auch Potsdam-Mittelmark tun. Allerdings dürfe das nicht zu einer Stigmatisierung führen, so Böhm.

Bleiben die Kitas in Potsdam noch längere Zeit geschlossen?

Offiziell hat sich die Stadt zwar noch nicht festgelegt. Doch angesichts der weiterhin hohen Infektionswerte in der Stadt – die Sieben-Tages-Inzidenz lag am Donnerstag mit 76 neuen Fällen bei 226,8 – ging man im Rathaus nach PNN-Recherchen zuletzt davon aus, dass die Kitas mindestens nächste Woche geschlossen bleiben, unabhängig von der neuen Eindämmungsverordnung, die das Land am heutigen Freitag beschließen will.

Amtsärztin Böhm erinnerte, dass man vor Weihnachten eine deutliche Zunahme bei den Infektionen in Schulen und Kitas gesehen habe. „Daher war der Cut notwendig“, sagte sie. Bei der Kita-Schließung hatte Potsdam sich von der Landeslinie abgesetzt, Kitas trotz Lockdown offenzuhalten. Brandenburg war dabei einen anderen Weg gegangen als die meisten Bundesländer.

Böhm sagte, die vielfach symptomfreien Kinder würden die Infektion weitertragen, betroffen seien Eltern und deren berufliches Umfeld auch in Medizin und Pflege. Studien zeigten den Zusammenhang von Kitas und Infektionskurve. Es sei ihre „dringende Bitte“, so die Gesundheitsamtschefin, dass die Gesellschaft diesen „Infektionstransfer“ akzeptiere. Für Eltern aus so genannten systemrelevanten Berufen hat Potsdam eine Notbetreuung in den Kitas eingerichtet, rund ein Viertel der sonst betreuten Kinder besuchen diese.

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