Unsicherheit bei Potsdams Handel: Händler kritisieren Schließverordnung
Auch Gastronomen halten städtische Regelung für unzulänglich. Stadt und Handelsverband appellieren an die Gewerbetreibenden.
Potsdam - Nach Kritik mehrerer Händler und Restaurantbetreiber in der Innenstadt an den teils erheblichen Einschränkungen durch die Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus appellieren Stadt und Handelsverband nochmals eindringlich an die Betroffenen, die Vorgaben zum Schutz der Bevölkerung zu beachten. „Wir sind uns über die Umsatzeinbußen und die daraus resultierenden Folgen für unsere Händler sehr wohl im Klaren. Diese Fragen sind zu klären. Die Verordnung aber verfolgt jetzt nur ein Ziel: Wir müssen die schnelle Verbreitung des Coronavirus verhindern“, mahnte etwa Wolfgang Kampmeier, Leiter Regionalbereiche des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg in einer Erklärung.
Fragen in der Verordnung bleiben offen
Wie berichtet müssen bundesweit seit Mittwoch alle Geschäfte, die nicht der direkten, für den Alltag erforderlichen Versorgung dienen, geschlossen bleiben. Gastronomische Betriebe wie Imbisse und Restaurants dürfen lediglich von 6 Uhr morgens bis 18 Uhr öffnen. In einer entsprechenden Verordnung des Landes ist aufgelistet, welche Geschäfte öffnen dürfen und welche nicht. Wie berichtet hatte aber auch der Handelsverband selbst eingeräumt, dass die Liste viele Fragen offen lasse, etwa warum Friseure öffnen dürfen, Nagelstudios aber nicht. Das sieht auch Potsdams Wirtschaftsförderer Stefan Frerichs so, wirbt aber für Verständnis. „Die aktuelle Verordnung kann in der gebotenen Übersicht nicht alle Detailfragen klären. Es gibt viele Fragen bei allen Gewerbetreibenden, das Telefon unserer Hotline (0331) 289 28 88 steht nicht still“, so Frerichs. Händler und Gastronomen forderte er dennoch auf, „nicht nach Gründen zu suchen, warum Sie nicht von der Verordnung betroffen sind“. „Schützen Sie auch sich und Ihre Mitarbeiter und schließen Sie Ihre Einrichtung!“
Unzufrieden mit der Situation ist zum Beispiel der Potsdamer Gastronom René Dost. „Solange wir nicht komplett schließen müssen, aber nur bis 18 Uhr öffnen dürfen, tragen wir alleine das komplette wirtschaftliche Risiko.“ Staatliche Hilfen und individuelle Versicherungen griffen nur, wenn es eine staatliche Anordnung zur kompletten Schließung gebe. Jetzt dürften Gaststätten und Cafés zwar öffnen, aber den Leuten werde empfohlen, zu Hause zu bleiben. „Also kommt keiner mehr, und ich schmeiße abends die frischen Lebensmittel weg.“ Dost, der mit seiner Firma Redo in Potsdam und Brandenburg mehrere Gaststätten und Cafés wie das Café Heider betreibt, hat deshalb bereits seit 17. März alle Einrichtungen komplett geschlossen. Die Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Die Entscheidung sei auch zu deren Schutz und dem der nun ausbleibenden Gäste gefallen.
Bei Schließung auf den Kosten sitzenbleiben
In der Zwickmühle wähnt sich auch Dietmar Teickner, der seit 17 Jahren das „Lakritzkontor“ in der Jägerstraße führt. Der 54 Jahre alte Babelsberger möchte sein Geschäft wegen der Corona-Krise schließen – und kann es nicht. „Ich habe heute, am Donnerstagmorgen, endlich einen Mitarbeiter des städtischen Ordnungsamts erreicht und gefragt, ob ich zumachen kann“, erzählte Teickner den PNN. „Die Antwort war klar: Ich gehöre zu den Geschäften der Grundversorgung wie die Lebensmittelläden und die Apotheken. Ich kann als Eigentümer natürlich schließen, aber dann bleibe ich auf allen Kosten sitzen.“
Teickner, der in seinem Shop mehr als 500 Sorten Lakritz führt („salzig, süß, würzig, schokoliert“) wollte aus mehreren Gründen aussetzen. Der Umsatz sank um 60 Prozent, kommen an normalen Tagen um die 60 Kunden in das Kontor, waren es am Mittwoch 15. Er hat eine Vollzeitkraft und zwei studentische Aushilfen auf 450-Euro-Basis beschäftigt: „Es wäre auch gut zu schließen, um meine Mitarbeiter und mich vor der Infektionsgefahr zu schützen.“ Täte er dies jedoch ohne behördliche Anordnung, könne er später keinen Schadenersatz geltend machen, um vom staatlichen Milliardentopf für coronageschädigte Unternehmen zu profitieren. „Ich halte Lakritz ja für gesund. Aber zur notwendigen Grundversorgung zähle ich uns nicht.“
OB Schubert: "Brauchen klare Botschaften, wann Hilfe kommt."
Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sagte vor Journalisten, eine Kommune wie Potsdam könne es nicht allein leisten, den Schadensersatz zu zahlen. In diesem Zuge appellierter an Land und Bund: „Geben Sie Menschen einen Anspruch auf Entschädigung, dass diese Häuser schließen können. Wir brauchen klare Botschaften mit Datum, wann etwas an Hilfen kommt“, um denen Sicherheit zu geben, die überlegen, ob sie morgen ihre Läden noch offenhalten, so der Rathauschef. Aus der Verwaltung hieß es auch, das Land lasse bei unklaren Fällen - wie etwa dem Lakritz-Laden - zu viel Spielraum in der eigenen Verordnung.
Indes stoßen sich manche auch in Zeiten von Corona an kaum nachvollziehbarer Intoleranz mancher Verwaltungsmitarbeiter. Auf Instagram etwa berichtet das Café Miss Green Bean in der Brandenburger Straße, man sei am Mitwoch von Mitarbeitern des Ordnungsamtes zurechtgewiesen worden, weil ein nicht angemeldeter Bistrotisch auf der Straße vor den Laden aufgestellt worden sei. „Und das in Zeiten, in denen wir ums nackte Überleben kämpfen, froh sind über jeden Gast“, heißt es im Netz. Bereits am Mittwoch hatte das Café ein Bild gepostet, um zu zeigen, dass alle Tische im Inneren gemäß der neuen Abstandskriterien umgeräumt worden seien.
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