zum Hauptinhalt
Gähnende Leere. In vielen der 131 Wahllokalen der Stadt war kaum etwas los am Stichwahltag. 
© Andreas Klaer

Potsdam am Tag der Stichwahl zum Oberbürgermeister: Flaute im Wahllokal

Schleppende Wahlbeteiligung, wo man auch fragt. Für manche mangelt es an Alternativen, für andere ist das Wetter zu schön. Unterwegs am Wahltag.

Leere Gänge, fast gespenstische Ruhe, die einzige Bewegung ist ein vorbeifliegender Vogel, der sich im polierten Boden spiegelt. In der Leonardo-da-Vinci-Gesamtschule nicht weit vom Volkspark herrscht am gestrigen Wahlvormittag Flaute, nur wenige Wähler haben in den ersten beiden Stunden hier ihre Stimme abgegeben. Und damit ist das Wahllokal nicht allein: Wo man auch hingeht an diesem Stichwahlsonntag der Oberbürgermeisterwahl, es herrscht nur mäßiger Andrang. 

Vor einer Bäckerei in Potsdam-West stehen Dutzende in der Schlange, um frische Brötchen zum Frühstück zu holen, am Nachmittag stehen die Menschen im spätsommerlichen Sonnenschein vor einer Eisdiele in Babelsberg oder an der Kasse zum Herbstfest im Volkspark an – nur nicht vor den Wahllokalen. 

„Wir können nicht verbergen, dass es diesmal keine Schlange gibt“, sagt Wahlvorsteher Marcel Schieb im Humboldt-Gymnasium am späten Vormittag. Viele Wahlhelfer haben schon früh den Eindruck, dass die Beteiligung deutlich niedriger ausfällt, als bei der ersten Runde drei Wochen zuvor. 

Das bestätigten die ersten Zahlen zur Wahlbeteiligung um 14 Uhr: Nur knapp 15 Prozent der Wahlberechtigten hatten in den ersten vier Stunden der Stimmabgabe ihr Kreuzchen gemacht. Am 23. September waren es um die gleiche Zeit rund 25 Prozent gewesen. Am Ende wurden es 37,8 Prozent.

„Grottenschlecht“, so der unverblümte Kommentar zur Wahlbeteiligung von Wahlvorsteher Sebastian Nagel in der Dortu-Schule. Woran das liegt, kann er nur vermuten: Einige Wähler hätten ihm gesagt, dass sie nochmals per Benachrichtigung hätten erinnert werden wollen. Doch der Brief vom ersten Wahlgang galt auch für den zweiten. In seinem Bekanntenkreis, so erzählt Nagel, hätten aber auch einige gesagt, sie gingen nicht zur Wahl, weil sie sich nicht entscheiden könnten – und ihr Wunschkandidat nach der ersten Runde nicht mehr dabei war.

So geht es auch einem jungen Pärchen, sie in Strickpulli, er mit Wollmütze, in der Brandenburger Vorstadt. Beide haben beim ersten Wahlgang Lutz Boede (Die Andere) gewählt. Er will dieses Mal für Martina Trauth stimmen, sie weiß es noch nicht. „Das entscheide ich erst in der Kabine.“ Während die beiden ins Wahllokal in der Gerhart-Hauptmann-Schule gehen, diskutieren draußen zwei ebenfalls Unentschiedene. „Man hat die Wahl zwischen Wein und Wein“, so der Kommentar des einen. Deshalb wähle er ungültig. Er war nicht der Einzige: 1252 ungültige Stimmen wurden abgegeben, in der ersten Runde waren es 549 ungültige Stimmzettel. 

Doch nicht jeder ist unzufrieden mit den Kandidaten der Stichwahl. „Wir hatten uns in der ersten Runde schon entschieden“, sagt etwa Susanne Kunde, als sie am Vormittag mit ihrem Mann Klaus Kunde in der Innenstadt wählen geht. Sie sei zufrieden mit der Entwicklung der Stadt und der Politik der Stadtspitze. So solle es weitergehen, deshalb habe sie SPD-Kandidat Mike Schubert gewählt: „Dem vertraue ich“, so Kunde. 

Karl-Friedrich Reinhardt und seine Frau sind selbst in der SPD. Natürlich wählen sie Mike Schubert, sagen sie, keine Frage. „Ich bin mir sicher, dass er gewinnen wird“, so Reinhardt. Seine Frau unterstützt die Arbeit Trauths als Gleichstellungsbeauftragte, aber ihre Stimme bekommt sie trotzdem nicht. „Ich fand auch ihren Slogan ungeeignet. Thronfolger ist Quatsch, wir sind doch nicht in einer Monarchie!“

Andere dagegen motiviert vor allem die Möglichkeit eines Wechsels. „Ein bisschen frischer Wind nach so vielen Jahren SPD wäre gut“, erklärt Frau Schröder, die ihren Vornamen nicht verrät, während sie in Potsdam-West aufs Rad steigt. Eine Babelsbergerin sieht das ähnlich. Eigentlich sei sie ja SPD-Wählerin, sagt die Frau, die im Wahllokal in der Bürgel-Schule abstimmt und ihren Namen lieber für sich behalten will. Aber es tue der Stadt gut, „wenn die Karten mal neu gemischt werden“. Sie hoffe, das mit Martina Trauth (parteilos für die Linke) mehr vom vertrauten Stadtbild erhalten bleibe. „Veränderung muss Maß haben.“

„Wir haben beide Frau Trauth gewählt“, sagt eine 31-Jährige, die mit ihrem nigerianisch-stämmigen Mann Am Stern unterwegs ist. Mit Trauth könne Potsdam noch schöner werden, sagt der 42-Jährige, der seit 13 Jahren in der Landeshauptstadt lebt und inzwischen einen deutschen Pass besitzt. Jakobs habe viel gemacht, aber es sei Zeit für einen Wechsel. 

Auch wenn die Wähler mancherorts nur in großen Abständen kommen, die rund 860 Wahlhelfer, so die offizielle Zahl der Stadt, sind trotzdem auf ihrem Posten. So auch die 19-jährige Rineta Aziri. Sie habe wissen wollen, wie so eine Wahl abläuft, erzählt die Auszubildende in der Waldstadt. „Ich finde es cool, dabei zu sein und zu helfen.“ Am Nachmittag zeichnen Finanzdezernent Burkhard Exner (SPD), Chefstatistiker Reiner Pokorny und SPD-Kreischef David Kolesnyk auch treue Wahlhelfer aus. 

Die beiden Oberbürgermeisterkandidaten geben sich am Wahltag zuversichtlich. „Ich bin sehr optimistisch, denn ich habe lange genug gekämpft“, sagt Martina Trauth als sie um 11 Uhr am Schillerplatz in Potsdam-West wählt. Sie sei aufgeregt, hoffe aber sehr, dass der Erfolg komme. Egal, wie es ausgehe, einen Sekt gebe es am Abend auf jeden Fall, so die 53-Jährige. Mike Schubert (SPD) gibt zu, angespannt zu sein. Aber seine Kinder – acht und zehn Jahre alt – seien aufgeregter, scherzt er, als er um 10 Uhr in Golm wählt. „Ich will den Job“, betont er.

Jakobs freut sich auf die Freiheit

Der scheidende Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) glaubt an seinen Parteifreund, als er im Bornstedter Feld wählen geht. Jakobs selbst schaut unterdessen schon auf die Zeit nach der Amtsübergabe am 27. November: „Ich freue mich, dann ein bisschen weniger fremdbestimmt zu sein“, erzählt Jakobs. „Weniger Termindruck, das wird gut tun.“

Zur Startseite