Oberbürgermeisterwahl in Potsdam: Die Trotzige
Linke-Kandidatin Martina Trauth gilt als Außenseiterin für die Stichwahl am Sonntag. Das hat viele Gründe. Doch die 53-Jährige kämpft.
Der Jubel kannte keine Grenzen. Was für ein Erfolg, was für ein Wahlkampf, was für eine Leistung. Die Linke, sie schwelgte in Glückseligkeit. Nicht nach dem Einzug von Martina Trauth in die Stichwahl. Der Jubel galt René Wilke, der im März für die Linke zum ersten Mal überhaupt einen Sieg bei einer Oberbürgermeisterwahl in Brandenburg holte. In Frankfurt (Oder). Einen Wilke, einen 34 Jahre jungen, dynamischen, aus der Stadt kommenden und über Jahre bekannt gemachten Politiker, so etwas hat die Linke in Potsdam nicht aufzubieten. Warum eigentlich nicht?
Dünne Personaldecke
Doch diese Frage nach der offenbar dünnen Personaldecke der Partei kann Anja Mayer nicht mehr hören: Die Landesvorsitzende der Linken sagt klar, Martina Trauth sei kein Notnagel. „Auch parteilose Kandidaten zu unterstützen hat bei uns Tradition.“ Zudem eine Frau, Gleichstellungsbeauftragte im Rathaus, das passt ins Profil der Linken, die im Land inzwischen von zwei Frauen geführt wird. „Martina Trauth ist eine tolle Kandidatin, sie steht für Offenheit und Bürgerbeteiligung, sie hat ein gutes Angebot für Potsdam, etwa zu den Themen Miete und Kita“, erklärt die Co-Vorsitzende. Darauf käme es an und nicht auf die Frage, ob jemand „von innen oder außen kommt“.
Sie hat es vergleichsweise schwer
Trotzdem hat es Martina Trauth, die in der Pfalz erwachsen wurde und einige Jahre vor der Wiedervereinigung nach Berlin-West zog, vergleichsweise schwer. Sie ist seit 2010 Potsdams Gleichstellungsbeauftragte, fiel aber nur selten mit größeren Aktionen öffentlich auf, musste sich die nötige Bekanntheit während des Wahlkampfes erarbeiten. Auf ein Netzwerk namhafter Unterstützer, wie es SPD-Kontrahent Mike Schubert hat, kann die 53-Jährige nicht zurückgreifen.
Und trotzdem: Dass sie es mit einem Stimmenanteil von rund 19 Prozent in die Stichwahl geschafft hat, das hätten einige in der Linken bis vor wenigen Wochen nicht unbedingt erwartet. Auch, wenn sie das offen nicht aussprechen wollen. „Das Experiment“ habe funktioniert, kommentierte der einstige Linke-OB-Kandidat Hans-Jürgen Scharfenberg Trauths Ergebnis im ersten Wahlgang am 23. September. Große Feierstimmung kam bei der Linken-Wahlparty nicht auf.
Denn Trauth blieb insbesondere in einstigen Hochburgen der Linken in den südlichen Plattenbaugebieten der Stadt weit hinter den früheren 50-Prozent-Ergebnissen. Überall lag Schubert vorn. In einer aktuellen Wahlanalyse schreibt der Linke-Vorstand zum Potsdamer Süden: „Hier müssen wir verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen, um an einstige Erfolge anknüpfen zu können.“ Gerade Nichtwähler habe man nicht überzeugen können. Zugleich aber hätten die Kandidaten der Linken, von Die Andere und den Grünen bei der OB-Wahl zusammen 40 Prozent geholt. „Das macht Mut für die Stichwahl und zeigt auf, dass der Wechsel an der Rathausspitze tatsächlich gelingen kann“, so die Analyse. Und weiter: „Denn in der Vorrunde waren sich alle Parteien einig, dass die Zeit für ein Ende der Herrschaft der alten, sozialdemokratischen Männer gekommen ist.“
Keine Empfehlung: Vor- oder Nachteil?
Doch das Kalkül der Linken, mit einer parteilosen Kandidatin zumindest für die Stichwahl auch von anderen Parteien Unterstützung zu erhalten, ist nicht aufgegangen. Am Dienstagabend positionierte sich als letzte der Parteien die CDU: Auch Trauth stehe nur für ein „Weiter so“, auch sie komme eben aus der Verwaltung, hieß es. Grüne und die Wählergruppe Die Andere hatten gleich nach der Wahl abgewunken. Fast trotzig ließ Trauth da mitteilen: „Solche Empfehlungen sind etwas aus der Zeit gefallen. Der mündige Bürger informiert sich selbst und bildet sich dann ein Urteil.“ Aus Sicht der Linken könnte allerdings keine Empfehlung von keiner Seite sogar eine Verbesserung der Wahlchancen bedeuten: Im letzten OB-Wahlkampf 2010 sprachen sich CDU, FDP und Grüne – verbunden in der Rathauskooperation – für SPD-Mann Jann Jakobs aus.
Schwer machen es Trauth auch andere Widrigkeiten: Der Skandal um mutmaßlich gestohlene, möglicherweise unwirksame Krebsmedikamente, der dem von den Linken geführten Gesundheitsministerium angelastet wird, dürfte sie Stimmen gekostet haben, meinen manche. Und dann trat noch – just in dieser Woche – Parteirebell Steffen Pfrogner öffentlichkeitswirksam aus der Linken aus. Er hatte gegen die Nominierung Trauths gekämpft und will nun bei der linksalternativen Fraktion Die Andere helfen.
"Und der Wechsel – das bin ich dann.“
Und Martina Trauth? Sie kämpft. Fast verbissen wirkt sie in diesen Tagen, das Gesicht manches Mal wie versteinert. Und sie ist deutlich angriffslustiger, als noch vor dem ersten Wahlgang. Ihr Ziel ist klar: die SPD. Am Montagabend im Babelsberger Kino Thalia sagt sie bei der Podiumsrunde des Babelsberger Stadtteilnetzwerkes: „28 Jahre SPD sind genug. Die Demokratie lebt vom Wechsel. Und der Wechsel – das bin ich dann.“ Am Dienstagabend beim PNN-Wahltalk verteidigt sie vehement ihre zuletzt aufgestellte Forderung nach einem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr für junge Leute, Studenten und Senioren. Kosten dürften hier kein Totschlagargument sein, es brauche vielmehr Visionen. Gerade Besserverdienende sollten sich an der Finanzierung des Nahverkehrs beteiligen, sagt sie – freilich ohne Details zu nennen.
An anderer Stelle geht es um den Mietenstopp, den sie für die kommunale Bauholding Pro Potsdam fordert. Eine andere Politik sei nötig, auch gegenüber privaten Investoren, sagt sie und erzählt aufgebracht: „Freunde von uns bekommen nun von ihrem Vermieter 30 000 Euro geboten, damit sie ausziehen. Das ist doch falsche Politik.“ Derweil lästert man in Schuberts Team, dass sie bei ihren Plänen zum Mietenstopp, nachzulesen im Internet, die städtische Durchschnittsmiete deutlich zu hoch angegeben habe.
Mehrfach wird sie korrigiert
Dieses manchmal Ungenaue, Ungefähre, die vielen Versprechungen, kritisieren ihre Gegner: Linker Populismus sei das. Als Trauth am Dienstagabend einmal mehr die Personalpolitik im Rathaus kritisiert, wird sie zum wiederholten Mal an diesem Abend von Schubert korrigiert: Die Mitarbeiterzahlen im Rathaus würden entgegen ihrer Aussage nicht sinken, sondern steigen – „auch wenn es nicht reicht.“ Und anders als von Trauth behauptet, gebe es ein betriebliches Gesundheitsmanagement in der Stadtverwaltung, auch wenn es besser sein könnte, sagt er.
Ob sie so am Sonntag wirklich gewinnen könnte? Ja, sagt sie. Sie will als parteilose Rathauschefin regieren, mit wechselnden Mehrheiten. Ein rot-rotes Bündnis auf Stadtebene wolle sie nicht eingehen: „Das mache ich nicht.“ Beim PNN–Talk wird sie auch gefragt, wie es nach einer Niederlage für sie politisch weitergehen könnte. Sie will politisch weiterarbeiten, in welcher Weise auch immer, antwortet sie – gerade angesichts des zunehmenden Rechtspopulismus sei ihr das ein Bedürfnis. Alles Weitere werde sich nach dem Wahlabend klären. Tritt sie den Linken bei? Bleibt sie Gleichstellungsbeauftragte, falls Schubert gewinnt? Kandidiert sie bei der Kommunalwahl im Mai für das Stadtparlament? Oder zieht sie es in den Landtag? In der Potsdamer Linken, in der die Stimmengaranten wie Scharfenberg oder Anita Tack aus Altersgründen in absehbarer Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen und der Nachwuchs bisher oft blass wirkt, ist man auf profilierte Persönlichkeiten angewiesen.
Ein neues 100-Tage-Programm
Die Profilierung versucht Trauth. Am Mittwoch veröffentlichte sie ein 100-Tage-Programm, fast jedes Versprechen mit Ausrufezeichen. Im Rathaus will sie auf der Beigeordnetenebene einen „Chief Digital Officer“ etablieren, der die Verwaltung fit für die digitale Zukunft machen soll. Der bisher Verantwortliche ist schon vor Monaten in die Wirtschaft gewechselt, der Posten vakant. Ebenso will Trauth sofort einen Wirtschaftsprüfer damit beauftragen, eine Gesamtübersicht über das städtische Vermögen einschließlich der kommunalen Unternehmen zu erstellen – um zu wissen, wie handlungsfähig die Stadt Potsdam tatsächlich ist. Immer wieder hatten Stadtpolitiker in der Vergangenheit kritisiert, der von Kämmerer Burkhard Exner (SPD) verantwortete Haushalt sei nicht transparent genug, die Handlungsspielräume unklar.
Wird es Trauth so gelingen, den Abstand zu Schubert zumindest zu verkürzen? Linke-Bundeschef Bernd Riexinger kommt ihr zur Hilfe, am heutigen Donnerstag um 10 Uhr machen beide Wahlkampf vor dem Klinikum. Es folgt das Kandidatenduell von Potsdam TV ab 14.30 Uhr in der Wilhelmgalerie. „Man geht aus so einem Wahlkampf als ein anderer Mensch heraus“, sagt Martina Trauth. Zum Glück sei bisher niemand ernsthaft beschädigt worden.
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