Nach dem Finaleklat des SV Babelsberg 03: „Es braucht eine Akzeptanz der Werte“
Andreas Klose ist Soziologe an der Fachhochschule Potsdam. Im Interview spricht der Fanforscher über Zuschauerrandale im Amateurfußball, die Inszenierung auf der bundesweiten Bühne, die Vorkommnisse beim SV Babelsberg 03 und den Auftrag für Verbände und Politik.
Herr Klose, drei Wochen nach dem skandalösen Landespokalfinale läuft beim SV Babelsberg 03 die Aufarbeitung des Fehlverhaltens von Fan-Chaoten, das Sportgericht wird demnächst sein Urteil sprechen zu den Pyroattacken aus der Nordkurve im Karl-Liebknecht-Stadion. Doch war Babelsberg an diesem „Tag der Amateure“ kein Einzelfall. In vielen Stadien ähnelten sich deutschlandweit die Bilder, die Medien redeten von „Frontberichterstattung“. Wie haben Sie den Tag erlebt?
Der Tag war etwas ganz Besonderes, weil er für die meisten Klubs eine bundesweite Aufmerksamkeit bedeutet, die sie sonst so nicht haben. Man muss die Vorfälle in Verbindung bringen mit einer fokussierten Atmosphäre, die es im Vorfeld in den Medien und am Tag selbst durch die bundesweite TV-Berichterstattung gab. Auch für die Fans ist es besonders: Die spielen einen Tag lang erste Liga mit einer „Bundesliga“-Konferenzschaltung.
Das heißt, Fans haben diese einmalige Chance, sich bundesweit zu inszenieren, ganz bewusst genutzt und vorbereitet?
Das ist sicherlich nicht auszuschließen. Was sportlich auf dem Platz passiert, diese deutschlandweite Aufmerksamkeit für den Amateurfußball, haben wir auch bei den Ultra-Fangruppierungen gesehen. Überall dort, wo es noch traditionelle Vereine gibt, haben wir an diesem Tag größere Regelverletzungen erlebt – Pyroaktionen und Platzstürme. Pyro ist im Moment ein wichtiges Gütesiegel in der medialen Darstellung von Ultraszenen. Vorbilder gibt es europaweit in der Europa League oder am Tag zuvor beim DFB-Pokalfinale in Berlin. Diese Klubs mit traditionellen Anhängerschaften haben die Chance der großen Bühne genutzt. Man muss davon ausgehen, dass Fangruppierungen bundesweit vernetzt sind und sich die kleinen Szenen bundesweit zeigen.
Wie sind die Babelsberger Vorfälle einzustufen. Es waren wenige Chaoten, die Pyro gezündet und Böller geworfen haben, wobei der Protest oder gar das Eingreifen etablierter Fangruppen sich in Grenzen hielt?
Ohne es zu verharmlosen: Aber im Gegensatz zu anderen Stadien gab es in Babelsberg keinen Polizeieinsatz und auch keinen Platzsturm. Aber auch hier waren die Aktionen ein Sich-Zeigen bundesweit. Mit der Vorgeschichte der Rivalität zwischen dem SV Babelsberg 03 und Energie Cottbus und der politischen Aufladung des Aufeinandertreffens hatte das hier aber noch einmal eine andere Bedeutung. Hier spielte die Besonderheit des Spiels beziehungsweise des Gegners eine besondere Rolle. Hier ging es nach dem Schlusspfiff und dem Cottbuser Sieg auch darum, die Feierlichkeiten nicht zuzulassen. Die Siegerehrung des ungeliebten Gegners im eigenen Stadion sollte verhindert werden.
Was heißt das perspektivisch für den „Tag der Amateure“?
Es ist eine ganz schwierige Situation. Aufgrund der Vorkommnisse stellt man den „Tag der Amateure“ in Frage. Aber dann müssten wir alle Spiele mit finalem Charakter in Frage stellen. Man muss künftig vorsichtiger und sensibler mit der Fokussierung umgehen, in der Amateurvereine in solchen Situationen stehen. Einerseits werden diese Endspiele hochprofessionell zentral inszeniert und vermarktet. Andererseits sind es viele unterklassige Klubs, von denen verlangt wird, die Vorbereitung und Durchführung umzusetzen. Damit sind Amateurvereine oftmals schlichtweg überfordert. Beim SVB können die Verantwortlichen gar nicht mehr machen als sie getan haben. Und wenn es dann zu Ausschreitungen und Verfehlungen kommt, schlägt das Regelwerk des Verbandes mit voller Härte zu. In der Folge fühlen sich die Klubs allein gelassen, auch deshalb, weil niemand eine andere Lösung parat hat. Daher müsste bei der sportgerichtlichen Bewertung der besondere Kontext des „Tages der Amateure“ gesehen und bei der Strafmaßbemessung berücksichtigt werden. Aber ich befürchte, das wird nicht passieren.
Beim SVB läuft inzwischen die Aufarbeitung der Vorkommnisse, vergangene Woche hat es ein erstes Treffen zwischen Vorstand und Fangruppen gegeben. Letztere haben, zumindest aus Sicht der Vereinsführung, eher wenig Einsicht gezeigt, was Ausmaß und Tragweite der Ereignisse betrifft.
Was mich hier völlig irritiert, ist, dass es scheinbar Solidarisierung gibt mit denen, die die bisher vertretenen Werte verletzt haben. Und eben keine Distanzierung. Trotz alledem tut es der Situation nicht gut, wenn der Verein ausschließlich harte Kante zeigt. Er muss reagieren, ganz klar. Aber es war in der Vergangenheit das Besondere an Babelsberg, dass nicht sofort aussortiert, sondern zunächst kommuniziert wird. Es liegt jedoch sehr stark in der Verantwortung der jeweiligen Fangruppen, ob sie weiter dazu gehören wollen.
Was müssen sie dafür tun?
Sie müssen mit dem gemeinsamen Regelwerk konform gehen. Die grundsätzlichen Werte des Vereins müssen akzeptiert werden.
Bislang schien dieser Konsens beim SVB gegeben. Doch die Fanszene ist im Wandel, es entsteht eine neue, junge Fangeneration, was den Verein vor die Aufgabe stellt, diese einzubinden und sich zumindest auf grundlegende Werte wie Gewaltverzicht zu einigen. Die andere Option wäre Ausschluss ...
Es sind genau diese Momente, die zu Radikalisierungen führen können: Wenn Fangruppen sich unverstanden fühlen, ungerecht behandelt, sich immer stärker in ihren Mikrokosmos zurückziehen und Verschwörungstheorien entwickeln, die gegen sie gerichtet sind. Man muss aufpassen, dass man solche Gruppen nicht unfreiwillig überhöht. Aber solange es einen Austausch gibt und eine wirklich kritische Auseinandersetzung stattfindet, kann das vermieden werden. Genau das würde ich dem Verein jetzt raten. Dabei kann der Vorstand die Fans durchaus fragen, wie aus ihrer Sicht der Verein auf die Vorfälle reagieren sollte, sodass sie selbst in Auseinandersetzung über Maßnahmen kommen, die perspektivisch wirken. Eine ungeheure Aufgabe für den Verein.
Keine einfache Aufgabe für unterklassige Vereine, die anders als Profiklubs dafür kein eigenständiges Personal haben. Wie sollen sie das schaffen?
Natürlich brauchen sie dabei Hilfe – von den Verbänden und auch von politisch Verantwortlichen. Die erste Reaktion des Verbandes müsste doch die Frage an die Vereine sein: Wie können wir euch zukünftig besser unterstützen? Und nicht: Welche Strafen können wir aussprechen? Denn in diesen Situationen helfen keine pauschalen Verurteilungen der Vereine oder perspektivisch eher kontraproduktive Maßnahmen wie Kollektivstrafen. Nein, man muss die Vereine unterstützen, wenn sie diese gesamtgesellschaftliche Arbeit übernehmen sollen.
ZUR PERSON:
Andreas Klose, Soziologe an der Fachhochschule Potsdam, beschäftigt sich mit der Entwicklung des Fanverhaltens beim Fußball. Er ist im Wissenschaftsbeirat der Deutschen Fußball Liga.
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