Erster Verhandlungstag vor Gericht: Entscheidet der Radverkehr über den Uferweg am Griebnitzsee?
Vor dem Oberverwaltungsgericht wird seit Mittwoch über den Uferweg am Griebnitzsee verhandelt. Eine Entscheidung gibt es noch nicht - doch einige Argumente der "Sperrer" wurden von der Richterin schon ausgehebelt.
Potsdam - Bei der Frage nach der Zahl der Radfahrer kippte die Stimmung. Bis dahin hatte Richterin Dagmar Merz am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) am Mittwoch die Einwände der Anrainervertreter des Griebnitzsees gegen einen Uferweg eher entkräftet. Doch dann fragte die Richterin nach der Grundlage für die Berechnung des Rad- und Fußverkehrs auf dem möglichen Weg. Die Anwältin der Landeshauptstadt, Rut Herten-Koch, kam daraufhin in Erklärungsnöte. Denn die Basis für die Annahme, dass der Radverkehr auf dem Weg, um den seit über zehn Jahren gerungen wird, höchstens ein Drittel des Publikums ausmachen würde, stammt aus dem Jahr 2006. An einem Samstag wurden auf dem damals noch zugänglichen Weg die Passanten gezählt.
Man habe angenommen, dass das gleichbleibe – ohne den zunehmenden Radverkehr und das Bevölkerungswachstum zu berücksichtigen. „Diese dünne Basis ist für Schlussfolgerung auf die Breite des Weges kaum tragfähig“, machte Richterin Merz deutlich. Christoph Partsch, der in dem Verfahren 14 Eigentümer vertritt, erklärte, es gebe „eine ganze Reihe von Ermittlungsdefiziten bei der Stadt“. Diese habe es unter anderem versäumt, Elektrofahrräder zu berücksichtigen. „Diese Planung ist unwirksam und nichtig“, argumentierte Partsch.
Enteignungen stehen im Raum
20 Normenkontrollklagen werden derzeit am OVG verhandelt. Die Eigentümer von Grundstücken am Ufer des Sees klagen wie berichtet gegen den Bebauungsplan, der einen öffentlichen Weg vorsieht. Der Vorgänger des aktuellen B-Plans war 2009 vom OVG gekippt worden. Sollte das Gericht die Klagen abweisen, könnte die Stadt zur Öffnung des Wegs Enteignungsverfahren einleiten. „Wir gehen davon aus, dass die Stadt, falls der Plan Bestand hat, rasch zum Vollzug schreiten wird“, sagte die Richterin. „Egal wie das hier ausgehen wird, Sie werden alle noch ein Stück gemeinsamen Wegs vor sich haben“, betonte sie mit Blick auf mögliche künftige Enteignungsverfahren. Zugleich deutete Anwältin Herten-Koch die Bereitschaft der Stadt an, andernfalls auch in höhere Instanz zu gehen, also vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu ziehen.
Ursprünglich waren für den aktuellen Prozess zwei Verhandlungstage angesetzt, Mittwoch und Donnerstag. Doch, so erklärte Richterin Merz zu Beginn, auf Grund von kurzfristig eingereichten Anträgen habe der Senat die Vorbereitung nicht komplett durcharbeiten können. Deshalb werde erst Anfang November oder Anfang Dezember das Urteil fallen.
Auch wenn sich Richterin Merz in ihrer Bewertung zurückhielt, hebelte sie im ersten Teil der Verhandlung eine Reihe von Argumenten der Grundstückseigentümer aus und betonte mehrfach, dass es sich bei dem B-Plan der Stadt um einen neuen, überarbeiteten Plan handle. Dabei unterstrich sie auch die Bemühungen der Landeshauptstadt, etwa bei der öffentlichen Mitbestimmung. Gerade Einwände gegen die generelle Erforderlichkeit und Umsetzbarkeit des Weges sah die Richterin als unbegründet an. So betonte sie, dass Bedenken zum Symbolcharakter des Weges nicht die generelle Planung in Frage stellten.
In seinem Sachbericht erläuterte ihr Kollege, die Landeshauptstadt begründe das Interesse an einem durchgehenden, öffentlichen Uferweg mit der Erlebbarkeit des Ufers und der Schaffung eines Naherholungsgebiets. Zudem sei die historische Bedeutung auf verschiedenen Zeitebenen wichtig, vom Beginn der Villenkolonie im 19. Jahrhundert über die Enteignungen jüdischer Eigentümer in der NS-Zeit, die Potsdamer Konferenz bis zur Zeit als Grenzgebiet.
Ernüchterung auf beiden Seiten
Bei den Anwälten der Eigentümer herrschte am Nachmittag eher Ernüchterung. „Die Richterin hält sich bedeckt, aber ich sehe bisher nicht, dass wir sie ernsthaft ins Stirnrunzeln gebracht hätten“, sagte Gernot Schiller, einer der Anwälte. Nach der Berechnung des Radverkehrs dagegen zeigte er sich optimistischer. John Flüh, der seine Frau Caroline vertritt, war zunächst davon überzeugt, dass Richterin Merz „so wie ich sie erlebt habe, an ihren Überzeugungen und dem B-Plan festhält“. Zu Ende des Prozesses sagte er aber, die Frage der Radfahrer sei „ein Punkt für uns“ gewesen.
Enttäuscht reagierten die Vertreter der Initiative „Griebnitzsee für alle“. Der Anfang der Verhandlung sei sachlich verlaufen, sagte Susanne Ahlefelder-Potthast. „Aber dann wurden hier absurde und zynische Argumente vertreten“, sagt sie. Sie spielt an auf die Argumentation des Anwalts Reiner Geulen, der Griebnitzsee sei kein See, sondern ein Kanal und falle damit nicht unter die Definition der besonders qualifizierten Natur. Der Vorsitzende der Initiative, Walter Raffauf, kritisierte, dass im Saal eine ganze Riege an Anwälten für die Eigentümer einer Anwältin für die Stadt gegenüberstand. „Das Kräfteverhältnis ist sehr komisch“, so Raffauf.
Am Donnerstag wird das Thema Artenschutz im Mittelpunkt des Prozesses stehen.
HINTERGRUND
Das erste Haus der Villenkolonie am Griebnitzsee in Babelsberg wurde 1872 erbaut, in den folgenden Jahren folgten weitere, herrschaftliche Häuser. In der NS-Zeit enteigneten die Nationalsozialisten jüdische Eigentümer von Seegrundstücken. Nach dem Bau der Mauer wurde das Gebiet direkt an der Grenze, die durch den See verlief, zu einem Postenweg der DDR-Grenzer. Nach dem Fall der Mauer wurde der 2,8 Kilometer lange Weg öffentlich. Spaziergänger und Radfahrer nutzten ihn. Im Jahr 2009 kippte das Oberverwaltungsgericht einen Bebauungsplan der Stadt Potsdam, in dem ein dauerhafter, durchgängiger und öffentlicher Weg entlang des Ufers festgelegt wurde. Die Begründung des Gerichts: das Privateigentum der Grundstücksbesitzer sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Kurz nach dem Urteil sperrten erste Anrainer den Weg, 2011 kamen weitere hinzu. Andere Eigentümer haben einen Weg auf ihrem Grundstück, der aber nicht zugänglich ist. Der Konflikt machte bundesweit Schlagzeilen – diskutiert wurde, ob öffentliches Interesse an einem freien Ufer in diesem Fall mehr Gewicht haben sollte als das Privateigentum. Dieses hatten viele der Anrainer noch mit dem darüber verlaufenden Weg erworben. Danach arbeitete die Stadt einen neuen Bebauungsplan aus, der von den Stadtverordneten nach langem Hin und Her im April 2016 beschlossen wurde. Die Stadt hat nach eigenen Angaben Rücklagen in Höhe von rund 13 Millionen Euro für Grunderwerb, Entschädigungen, den Bau des Weges und Verfahrenskosten eingeplant. Der Streit ging allerdings weiter. Ein vom OVG angeregtes Mediationsverfahren scheiterte. Deshalb steht der neue, überarbeitete Bebauungsplan der Stadt nun erneut vor dem OVG.
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