"Neue Berliner Straße" Studio Babelsberg: Einmal Babylon und zurück
Die "Neue Berliner Straße“ im Studio Babelsberg hat Vielseitigkeit bewiesen. Es ging in die Vergangenheit, Zukunft und nach Österreich. Regisseure sind schon jetzt begeistert.
Potsdam - Die Qualität einer Filmkulisse beweist sich in ihrer Vielseitigkeit. Bei einer Westernstadt hat man in der Regel kaum Auswahl, sie kann allenfalls Dodge City mimen oder Tombstone. Aber bei einer Berliner Straße, zumal wenn sie in vier unterschiedliche Straßenzüge unterschiedlicher Stile aufgeteilt wurde, sollte schon mehr an darstellerischen Möglichkeiten drin sein.
"Neue Berliner Straße" bietet viele Variationen
Anfang Juni wurde im Potsdamer Studio Babelsberg die „Neue Berliner Straße“ eröffnet, ein 16-Millionen- Euro-Bauwerk, da darf man etwas erwarten für sein Geld. Und es scheint eine gute Investition gewesen zu sein, die ersten Filmprojekte sind abgedreht, und die Regisseure, so verlautet aus dem Studio, sind glücklich: Über die breiten Straßen, die den Menschen vor und hinter der Kamera viel Bewegungsfreiheit lassen, über die bewusst ein wenig schief konstruierten Fassaden, die der Kameramann nach Bedarf naturalistisch „begradigen“ oder in schräger Perspektive expressionistisch „dramatisieren“ kann. Und die Anlage bietet eben auch sonst noch viele Möglichkeiten der Variation, ein Blick auf die bislang dort entstandenen Filme belegt es.
Den Anfang machte das auf den Gereon-Rath-Romanen des Autors Volker Kutscher basierende und soeben abgedrehte Serienprojekt „Babylon Berlin“, dessen Szenenbildner Uli Hanisch an der Entwicklung der „Neuen Berliner Straße“ sogar beteiligt war. Dazu die gesamte Crew des Art Departments von Studio Babelsberg. Unter Leitung von Michael Düwel waren Tischler, Kunstmaler, Stuckateure, Kunststoff- und Metallbauer beschäftigt. Auch der Potsdamer Tonmeister Roland Winke war bei der Entstehung der Serie mit von der Partie.
Potsdamer Kulissenstraße passt sich an
Drei Regisseure, Tom Tykwer, Hendrik Handloegten und Achim von Borries, waren an dem von dem Potsdamer X Filme Creative Pool gemeinsam mit der ARD, Sky und Beta Film produzierten Projekt beteiligt, das voraussichtlich in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres in zwei Staffeln zu je acht Folgen ausgestrahlt wird. Seit Mai wurde in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen gedreht, dreimal auch in der Potsdamer Kulissenstraße, von allen drei Regisseuren, und an die Chronologie des Stoffes hat man sich dabei keineswegs gehalten. Da muss eine Kulisse wirklich schon sehr anpassungsfähig sein. Und das ist sie auch gegenüber Stoffen unterschiedlicher Zeiten. „Babylon Berlin“ spielt im Berlin der 20er-Jahre, als hier noch der verschnörkelt-überladene Stil der Gründerzeit dominierte.
Regisseur Tom Tykwer, der bei der Eröffnung der Filmkulisse im Sommer letzten Jahres höchstpersönlich anwesend war, kam aus dem Schwärmen über die Neue Berliner Straße gar nicht mehr heraus: Ein fantastisches Motiv sei sie, das ermögliche, an mehreren „Berliner Orten“ gleichzeitig zu drehen, so Tykwer. „Das Set ist so groß, dass wir mehrere Motive vorbereiten können und so Zeit sparen.“ Und es ermögliche, ein Berlin Ende der 1920er, Anfang der 1930er-Jahre ohne viel Aufwand einzufangen. „In Berlin selbst hätten wir Schilder oder Gebäude abdecken müssen.“ Neben den zwei in diesem Jahr anlaufenden Staffeln von „Babylon Berlin“ schweben ihm mindestens vier weitere noch vor, wie er sagte. Er hoffe, die nächsten zehn Jahre nichts anderes zu machen und hätte am liebsten die Exklusivrechte auf die Berliner Straße.
Auch Science-Fiction-Filme sind hier möglich
Nach den Dreharbeiten zu „Babylon Berlin“ übernahm David Bowies Sohn Duncan Jones für seinen Science-Fiction- Thriller „Mute“, ein für den Streaming-Dienst Netflix gedrehter Film über das Berlin des Jahres 2052, für den die Kulisse des Babelsberger Filmstudios extra futuristisch umgestaltet wurde. Studio-Geschäftsführer Henning Molfenter prophezeite bereits bei der Eröffnung große Science-Fiction-Projekte.
Auch Terence Malick war schon in der Straße. Sein neuer Film „Radegund“ spielt in den frühen 40er-Jahren, in der „Neuen Berliner Straße“ entstand eine Szene hinter einem österreichischen Kleinstadtbahnhof. Auch Werbefilme und zwei kleinere Studentenprojekte entstanden schon in der Kulisse. Aber das bislang größte Projekt blieb doch „Babylon Berlin“ mit Volker Bruch als Kommissar Gereon Rath, dem Volker Kutscher mittlerweile bereits sechs Romane gewidmet hat, der vorerst letzte – „Lunapark“ – ist gerade erst erschienen. Zum Schauspielerensemble gehören Schauspieler wie Matthias Brandt, Benno Fürmann, Lars Eidinger, Udo Samel, Sebastian Urzendowski, Fritzi Haberlandt, Hannah Herzsprung – und ein Komparsenheer von rund 5000 Darstellern. Die tummelten sich in Berlin unter anderem am Roten Rathaus und auf dem Alexanderplatz. Einen historischen Kiosk hatte man auf dem Platz aufgebaut, auch ein halbes Dutzend Oldtimer, einen Bierkutscher und selbst eine Straßenbahn – Linie 48 E zwischen Hackescher Markt und Pankow-Kirche – hinbeordert. Im hinteren Waggon durfte sogar geraucht werden. Echt historisch eben. (mit Sarah Kugler)
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