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Abstrahierte Porträtfotos aus verschiedenen Lebensaltern Willi Frohweins, auf die Sitzfläche von Stühlen eingepresst.
© Andreas Klaer

Umgestaltung des Willi-Frohwein-Platzes in Babelsberg: Ein Platz für einen großen Potsdamer

Im September beginnen in Babelsberg die Arbeiten an der Gedenkstätte für Willi Frohwein. Sie soll an den Antifaschisten, KZ-Überlebenden und Kriminalkommissar erinnern.

Babelsberg - Bisher gab es nur eine kleine, fast mickrige Gedenkstätte für den Antifaschisten, Auschwitz-Überlebenden, Kriminalkommissar und Holocaust-Vortragenden Willi Frohwein. An der Großbeerenstraße in Babelsberg, einen Steinwurf vom großen Findling und gleich neben der Bushaltestelle, erinnert die Stadt mit einer zehn Quadratmeter großen Pflastersteinfläche und einem blauen Schild an den Mann, der trotz der Qualen, die er im Nationalsozialismus erlitten hatte, die Kraft fand, Schulklassen über die dunkelste deutsche Zeit zu unterrichten. 

Das soll sich bald ändern: Anfang September wollen die Landschaftsbauer der Firma Klischke aus Brandenburg an der Havel mit den Arbeiten zur neuen Gestaltung des Willi-Frohwein-Platzes und um das sogenannte Heidehaus beginnen. Es wird ein würdiger Ort des Gedenkens an einen großen Potsdamer werden – und ein Mahnmal für die Opfer der Nazi-Zeit.

2012 war der Platz am Findling in Babelsberg zu Ehren Willi Frohweins nach ihm umbenannt worden.
2012 war der Platz am Findling in Babelsberg zu Ehren Willi Frohweins nach ihm umbenannt worden.
© Andreas Klaer

Das Stadtkontor, das seit 1991 im Auftrag der Kommunen Sanierungsprojekte in der Landeshauptstadt und ihrer näheren und weiteren Umgebung koordiniert, hatte einen Wettbewerb für die Neugestaltung des Platzes ausgeschrieben, beteiligt waren an dem Verfahren auch Schüler des Babelsberger Bertha-von Suttner-Gymnasiums. Unter einem guten Dutzend Teilnehmern setzten sich zwei Frauen aus Berlin durch: Die Künstlerin Susanne Ahner entwarf ein Ensemble von fünf Stühlen und etlichen Sitzgelegenheiten , die Landschaftsarchitektin Brigitte Gehrke bettete die Gedenkstätte in ein parkähnliches Areal ein, das Bewohner des Stadtviertels und Passanten sommers wie winters zum Verweilen einlädt.

2,40 Meter hohe Stühle

Stolz und Vorfreude sind spürbar, als sich die Protagonisten am Donnerstag am Findling verabredet haben, um das Projekt vorzustellen. Susanne Ahner hat ein Miniatur-Modell eines der Stühle mitgebracht, die optisch und technisch überraschend daherkommen sollen. Sie werden respekteinflößende 2,40 Meter hoch und mit verschiedenen Neigungswinkeln in einem Kreis installiert sein, sie sind, sagt Ahner, „Stellvertreter für Menschen und scheinen über ihre Körpersprache wie auch über Worte zu kommunizieren”. 

Susanne Ahner hat die Installation für den Frohwein-Platz entworfen.
Susanne Ahner hat die Installation für den Frohwein-Platz entworfen.
© Andreas Klaer

Der Clou – das Wort sei trotz der Nazi-Gräuel erlaubt – sind abstrahierte Porträtfotos aus verschiedenen Lebensaltern Willi Frohweins, die auf die Sitzfläche aus Hochdrucklaminat eingepresst werden. Sie messen rund 35 mal 35 Zentimeter und zeigen ihn im Alter von zwölf Jahren, als er erfuhr, dass sein Vater Jude und er in der Terminologie der Rassisten Halbjude war. Sie zeigen ihn mit seiner in den linken Arm eintätowierten Häftlingsnummer im Vernichtungslager Auschwitz und mit seiner Familie unter einem Weihnachtsbaum. Ahner wird QR-Codes anfertigen lassen, die zu Tonaufnahmen Frohweins führen. Und es werden beeindruckende Zitate des nachdenklichen Manns integriert. 

In den Stuhllehnen finden sich etwa Aussprüche wie „Auf einmal stand ich allein da”, und dann, spiegelverkehrt: „Er ist der Einzigste, der mir geholfen hat”. Warum spiegelverkehrt? „Man soll nicht alles auf den ersten Blick erfassen können”, sagt Ahner, “Willi Frohwein hat sich, während er erzählte, oft in Gedankensprüngen geäußert. Die finden sich auf diese Weise in den Stühlen wieder. Die Besucher müssen allerdings die Perspektive wechseln und um den Stuhl herumgehen, um den Sinn des Texts im Ganzen zu erfassen.”

Ein neuer Gedenkort

Tobias Büloff, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stadt für Erinnerungskultur, freut sich am Findling darüber, „dass Potsdam einen neuen Gedenkort bekommt”, die Landschaftsarchitektin Gehrke sagt, der Platz werde „ein Aufenthaltsort voller Qualität und ganzjährig nutzbar” sein. Uwe Hackmann, Geschäftsführer des Stadtkontors, preist dessen „gesamtstädtische Bedeutung”. „Dies ist eines der interessantesten Projekte, die wir bisher realisiert haben.“ Für das Projekt sind Kosten von 650 000 Euro veranschlagt, die sich der Bund, das Land Brandenburg und die Stadt teilen wollen.

Mit den Landschaftsbauern aus Brandenburg an der Havel ist abgemacht, dass die Arbeiten bis zum nächsten internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2021 vollendet sein sollen. An jenem Tag im Jahr 1945 war Auschwitz von Soldaten der Roten Armee befreit worden. Mindestens 1,1 Millionen Menschen wurden dort von den Nationalsozialisten ermordet, neun von zehn Opfern waren Juden.

Willi Frohwein, hier 2004, lebte bis zu seinem Tod 2009 in Babelsberg.
Willi Frohwein, hier 2004, lebte bis zu seinem Tod 2009 in Babelsberg.
© Andreas Klaer

Wie wohl nie zuvor hat der gebürtige Berliner Frohwein in den PNN sein Leben geschildert. Am 4. März 2000 erscheint ein berührendes Porträt, geschrieben von Carolin Lorenz. Frohwein erzählt, dass er Augenzeuge war, als 1938, während der sogenannten Reichskristallnacht, Steine in die Schaufenster jüdischer Kaufleute geworfen werden, und er sieht die Synagoge brennen. 1942 wird er in einem Spandauer Rüstungsbetrieb zwangsverpflichtet, und sieht mit großer Angst in die Zukunft: „Wenn die Nazis den Krieg gewinnen, bringen die alle Juden um.” 

Er versucht, in die Schweiz zu flüchten, wird geschnappt und aus der Arbeitsfront mit folgender Begründung ausgeschlossen: „Das Verhalten des Beschuldigten zeigt, dass er sich als Mischling keineswegs zur deutschen Volksgemeinschaft hingezogen fühlt, vielmehr in ihm die aus der Blutmischung vorherrschenden jüdischen Eigenschaften überwiegen.”

Auf 40 Kilogramm abgemagert

Er ist 20 Jahre alt, als er vom Lehrter Bahnhof in Berlin nach Auschwitz deportiert wird. Im Außenlager Monowitz muss er Zwangsarbeit leisten, magert auf 40 Kilogramm Körpergewicht ab und schleppt trotzdem 50 Kilogramm schwere Zementsäcke. Ein junges Geschwisterpaar fragt ihn, ob seine Eltern auch „in die Sonne gegangen” seien. Gemeint ist das Krematorium. 

Zweimal sitzt er auf einem der Lastwagen, die zu den Gaskammern fahren, zweimal muss er wieder absteigen. Er wird schwerkrank, aber er überlebt Auschwitz. Er nimmt am 18. Januar 1945 am berüchtigten „Todesmarsch” teil, mit dem alle, die noch laufen können, das KZ verlassen müssen. Über das KZ Dora in Nordhausen im heutigen Thüringen kommt er in das Konzentrationslager im niedersächsischen Bergen-Belsen. Am 6. April befreien britische Soldaten die halb verhungerten Gefangenen.

Nach dem Krieg nach Potsdam

Nach dem Krieg bewirbt sich Willi Frohwein in Potsdam bei der Kriminalpolizei, bald wird er Kommissariatsleiter. Im Prozess gegen Horst Fischer, einen der Lagerärzte von Auschwitz, ist er der Hauptbelastungszeuge. 1945 tritt er der KPD bei, später wird er Mitglied der SED. Als ihm 1952 verboten wird, als Kriminalbeamter weiterhin nach West-Berlin zu reisen, gibt er seine Arbeit auf, wechselt zu den Defa-Studios und wird Aufnahmeleiter.

Mit seiner Frau und seinen Kindern kann er nicht über seine Traumata sprechen. Sie „hatten das Gefühl, da ist eine Schwelle, da dürfen sie nicht drüber”, vertraut er PNN-Mitarbeiterin Carolin Lorenz an. „Um zu heulen, ziehe ich mich zurück.” Er verschafft sich Linderung, in dem er immer wieder Schülern von seinen Lebenserfahrungen erzählt. „Das Sprechen ist für ihn zu einer Befreiung geworden”, schreibt Lorenz.

2009 starb Frohwein

Als Willi Frohwein am 12. Dezember 2009 im Alter von 86 Jahren in seiner Babelsberger Wohnung stirbt, wird nicht nur in Potsdam um ihn getrauert. In Lengede im niedersächsischen Landkreis Peine ist eine Realschule nach ihm benannt worden, er hat auch den dortigen Schülern aus seinem Leben berichtet. Als sein Tod dort bekannt wird, versammeln sich die Schüler in der Aula und gedenken seiner mit einer Schweigeminute.

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