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FH-Film weckt Emotionen: Diskussionen, Tränen, Spott und Applaus

Bei der ausverkauften Premiere zur FH-Doku "Schrott oder Chance" wurde erneut heftig darüber diskutiert, wem die Stadt gehört und wem nicht. Bei einer Sache waren sich aber alle einig.

Potsdam - Applaus, Gelächter und laute Widerworte: Die Premiere der Dokumentation „Schrott oder Chance – Ein Bauwerk spaltet Potsdam“ von 414Films sorgte am Dienstagabend für viele Streitgespräche im ausverkauften Filmmuseum Potsdam. Obwohl die ehemalige Fachhochschule am Alten Markt längst abgerissen ist, zeigte sich vor allem bei der anschließenden Podiumsdiskussion mit Saskia Hüneke (Grüne) und Filmproduzent Peter Effenberg, dass die Gräben zwischen Abriss-Gegnern und – Befürwortern nach wie vor tief sind.

Spöttisches Gelächter und Applaus

Viele der im Film Interviewten waren anwesend, darunter der ehemalige Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), Architekt Wolfgang Kärgel, FH-Dozentin Hanne Seitz und „Stadtmitte für Alle“-Aktivist André Tomczak. Einige Besucher erschienen eingehüllt in die goldenen Rettungsdecken, mit denen das Gebäude zum Zeitpunkt der Besetzung zeitweise verkleidet war. Obwohl der Film beide Seiten gleichermaßen zu Wort kommen lässt, waren die Abriss-Gegner im Publikum deutlich in der Überzahl, wie auch an den Reaktionen auf das Gezeigte deutlich wird: Während Jakob‘s Verteidigung des Abrisses und die Beteuerung, es gebe in der Innenstadt doch ein Überangebot an kulturellen und öffentlichen Einrichtungen, für spöttisches Gelächter und Unmutsbekundungen sorgen, ernten viele Aussagen Tomczaks immer wieder Applaus: „Wir lassen uns ein Café, wo man bezahlen muss, um Gast zu sein, nicht als öffentlichen Raum verkaufen!“

Als Ulrich Zimmermann von Mitteschön zum Schluss in die Kamera sagt, die Mehrheit der Potsdamer werde von dem künftigen Wohnkarree genauso begeistert sein, wie vom Stadtschloss oder dem Museum Barberini, wenn es erstmal stehe, ruft eine Frau aus dem Auditorium: „Wir lassen uns nicht entmündigen!“ Doch der Film weckte noch andere Emotionen: Die Bilder von den verlassenen Fluren der FH und dem schrittweisen Abriss durch die saurierartigen Bagger bewegen das Publikum sichtlich, Wolfgang Kärgel, der unter anderem die Sternfassade des Gebäudes entworfen hatte, wischt sich nach dem Abspann Tränen aus den Augen. Als das Licht wieder angeht, wird lange applaudiert, einige Besucher stehen auf.

Auch Saskia Hüneke, die den Abriss der FH und die Wiederherstellung der historischen Mitte als Stadtverordnete vorangetrieben hatte, lobt den Film und bescheinigt, dass es schwer sei, der „emotionalen Gewalt der Bilder das abstrakte Denken des Städtebaus entgegenzusetzen".  Sie erinnert daran, warum sie 1990 zu den Politikern gehörte, die die FH wieder aus der Mitte entfernen wollten: „Es war ein riesiger Unraum, in dem man sich nicht wohl fühlen konnte, er hat einfach nicht funktioniert.“

Es hagelt Zwischenrufe, nicht das letzte Mal an diesem Abend. Auch Effenberg widerspricht: „Wir haben in Potsdam eine Stadt, die sehr von Brüchen lebt und man sollte den Mut haben, diese Brüche auch zu sehen.“ Dies habe auch etwas mit dem Respekt vor der ostdeutschen Identität zu tun: „Wir haben etwas zu berichten, wir als Ostdeutsche haben ein Stück Leben hierher mitgebracht.“

Es gehe auch nicht nur um eine architektonische Debatte, sondern darum, wie man jungen Menschen und Studierenden einen Raum im Stadtzentrum geben könne, so Effenberg. „Das werden wir am Alten Markt nicht mehr schaffen“, gibt Hüneke zu, erinnert aber daran, dass es mit der Schiffbauergasse oder dem Freiland viele zentral gelegene Orte für Kultur und Begegnung gebe. Ein Mitarbeiter der FH kritisiert, dass die Hochschule, die nun an den Stadtrand nach Bornstedt verlagert wurde, jahrzehntelang stiefmütterlich von der Stadt behandelt wurde.

Effenberg moniert auch, dass die Abriss-Gegner von den Entscheidern nicht ernst genommen wurden: „Ich hätte mir gewünscht, dass unterschiedliche Meinungen respektvoll gehört werden.“ „Das ist doch passiert“, sagt Hüneke und bekommt sofort die Retour: „Dann hätte es all diese Proteste nicht gegeben!“, so Effenberg. Vor allem der Umgang mit dem gescheiterten Bürgerbegehren gegen den Abriss sorgt im Saal erneut für Diskussionen: „Wenn da 15.000 Menschen unterschreiben, dann muss ich das doch als politisches Signal wahrnehmen und eine getroffene Entscheidung vielleicht auch mal überdenken“, so ein Gast aus dem Publikum.

Hüneke verwies darauf, dass es über mehrere Wahlperioden gültige Beschlüsse sowie bürgerschaftliches Engagement von Mitteschön zum Abriss der FH gegeben habe und dass über 20 Jahre lang in der Verwaltung, in den Ausschüssen und im Stadtparlament über das Vorhaben geredet worden sei – all das habe der Film nicht gezeigt: „Es ist nicht so, dass es vorher keine Diskussion gegeben habe!“ „Das war eine Schein-Diskussion, bei der die Gegenstimmen 20 Jahre lang nicht ernst genommen wurden!“, erwidert eine Aktivistin, ein anderer Gast kritisiert, dass Hüneke der inhaltlichen Debatte nicht folgen wolle und sich stattdessen hinter Formalien verschanze. Jakobs verteidigte Hüneke: „Städtebau ist komplex und man braucht eine gewisse politische Kontinuität für Stadtentwicklungsprozesse.“

Einigkeit bei der Bewertung des Films

In einigen Punkten waren sich jedoch beide Lager einig: Erstens, dass „Schrott oder Chance“ eine sehr gelungene Dokumentation sei und dass die Debatte um den Abriss trotz allem etwas bewirkt habe, zum Beispiel, dass viele Grundstücke der geplanten Wohnblocks an Genossenschaften gegangen seien. Übereinstimmung herrschte auch darin, dass man aus dem Film Lehren für aktuelle und künftige Diskussionen der Stadtentwicklung ziehen könne und müsse. „Ich glaube, dass er auf einige Dinge aufmerksam gemacht hat, die in der Debatte zu kurz gekommen sind, und dass er dazu beitragen kann, die schwierige Diskussion darum weiterzuführen, wohin sich diese Stadt entwickeln soll“, sagte Jakobs.

„Das ist auch eines unserer Ziele gewesen“, sagte Kristina Tschesch von 414Films. „Wir sehen ihn auf jeden Fall als Debattenbeitrag.“ Effenberg wünschte sich, dass die Fehler am Alten Markt im Konflikt zwischen Rechenzentrum und Garnisonkirche nicht wiederholt werden: „Ich bin gespannt, ob wir aus dieser Debatte etwas lernen und es schaffen, diese Brüche klar zu machen.“

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