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OB-Kandidatin Martina Trauth mit ihrem Lebenspartner vor dem OB-Talk der PNN.
© A. Klaer

Oberbürgermeisterwahl: Ein Tag mit Linke-Kandidatin Martina Trauth

Wer sind die Frauen und Männer, die Potsdam regieren wollen – und was treibt sie an? Wo sind ihre Stärken und Schwächen? Wie leben sie? Die PNN haben alle sechs Oberbürgermeister-Kandidaten einen Tag begleitet. Heute: Martina Trauth (parteilos für Die Linke).

Potsdam - Martina Trauth blickt in die Runde mit dutzenden potentiellen Jungwählern, versucht ein spontanes Grinsen. „Liebe Potsdamerinnen und Potsdamer, herzlichen Dank, dass Sie mir ihr Vertrauen gegeben und mich zur Oberbürgermeisterin dieser wunderschönen Stadt gewählt haben“, beginnt sie ihre kurzfristig improvisierte Dankesrede zum erhofften Sieg bei der Oberbürgermeisterwahl am 23. September. Es ist an diesem Freitagabend eine der per Zufallsprinzip ausgewählten Aufgaben, die sich der Stadtjugendring und Schüler für ein „Wahrheit oder Pflicht“-Spiel der sechs Oberbürgermeisteraspiranten ausgedacht haben – Teil einer der vielen Kandidaten-Treffen in diesen Tagen. Trauth muss nun eine imaginäre Siegesrede halten.

Das gelingt anfangs. Doch bald schaltet die 53-Jährige Linke-Kandidatin in den Wahlkampfmodus, viele ihrer Sätze hat sie an diesem Tag schon ähnlich gesagt. „Mit mir wird es keine Abschottungspolitik geben“, meint sie mit Blick auf die Ende 2016 zerbrochene Rathauskooperation aus SPD, CDU und Grünen, die die linke Opposition im Rathaus viele Jahre bei fast allen Themen überging. „Ich nehme Sie mit“, verspricht Trauth nun mehr Bürgerbeteiligung. Und sie gibt ein Allgemeinversprechen: „Gemeinsam schaffen wir es, dass wir wieder in einer Stadt mit preiswertem Wohnraum, ohne Staus und mit viel Grün leben.“ Jetzt aber wolle sie feiern, beendet Trauth die Ansprache.

Ob sie diese Rede tatsächlich halten wird? Vor knapp einem Jahr stellte der Potsdamer Kreisvorstand der Linken die parteilose Kandidatin der Öffentlichkeit vor. Eine parteilose Frau, noch dazu aus dem Rathaus? Das passte in der Partei nicht jedem. Doch ein Vorstoß von politisch besonders links stehenden Mitgliedern, die Partei möge lieber den Kandidaten Lutz Boede von der alternativen Wählergruppe Die Andere unterstützen, scheiterte bei einem Parteitag sehr deutlich.

Trauth setzt sich für sozialen Wohnraum ein

Jetzt soll sie liefern. Trauth sitzt beim morgendlichen Kaffee auf dem Balkon ihrer Mietwohnung nahe dem Havelufer beim Schillerplatz, zeigt auf ihren Terminkalender, der immer voller wird. Und erklärt die zentralen Motive ihres Wahlkampfs, etwa eine andere Baupolitik: „Wir haben die Stadt zu sehr den Investoren überlassen.“ Sie sagt aber auch für Politiker untypische Sätze: „Ich lerne jeden Tag dazu.“ Oder sinniert über die Mitbewerber, die schon länger Politik machen: „Ich merke, dass ich da manchmal am Rand stehe.“

Ihre Tage beginnen meist mit Straßenwahlkampf an Infoständen, an diesem Tag ab 9 Uhr auf dem Platz der Einheit. Dort wartet bereits die altgediente Potsdamer Landtagsabgeordnete Anita Tack und lobt die Kandidatin, weil diese sich für mehr sozialen Wohnraum, ein stärkeres Miteinander in den Stadtteilen und gegen Verdrängung einsetzen wolle. Auch Trauth wirbt für sich – und kritisiert gegenüber einem älteren Herrn einmal mehr die „Abschottungspolitik“ gegen die Linken – sie will mit wechselnden Mehrheiten regieren.

Dann kommt ein anderer Senior zum Stand – und schimpft. Die Linke habe versagt und den Abriss der Fachhochschule mitgetragen, für diesen Kompromiss müsse die Partei ihren Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg eigentlich „rausschmeißen“. Trauth stimmt zu: Auch sie finde die Abriss-Entscheidung nicht richtig. Dass Scharfenberg – ganz Real-Politiker – das Abrissvorum mit dem langfristigen Erhalt des Hotels Mercure verknüpfen konnte, sagt Trauth in dem Moment allerdings nicht.

Frühstückstisch mit Zeitung.
Frühstückstisch mit Zeitung.
© A. Klaer

Wer Trauth den Rücken stärkt - und wer sich zurückhält

Ohnehin gilt ihr Verhältnis zu Scharfenberg – der vor ihr bei zwei Wahlen an dem scheidenden Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) scheiterte – als schwierig. Der 64-Jährige habe seine Bekanntheit zu wenig in die Waagschale geworfen, heißt es aus Trauths Wahlkampfteam. Andere Granden der Partei bekennen sich tatsächlich viel klarer zu Trauth – etwa Brunhilde Hanke, die von 1961 bis 1984 Oberbürgermeisterin der Stadt war. Sie lobt in der Wahlzeitung der Linken, das Programm von Trauth sei „sozial ausgewogen“, diese habe viel Verwaltungserfahrung – und eine Frau an der Spitze würde Potsdam guttun. Der langjährige Ex-Bundestagsabgeordnete Rolf Kutzmutz erklärt: „Ich vertraue ihr, dass sie nach der Wahl noch immer alles dafür tut, was sie vor der Wahl versprochen hat.“ Er glaube, dass Trauth wirklich eine neue Diskurskultur pflegen wolle.

Vorstellungsrunde im Wiener Café.
Vorstellungsrunde im Wiener Café.
© A. Klaer

Inzwischen ist es 11 Uhr und Martina Trauth verteilt Werbematerial am Schilfhof im Schlaatz, eigentlich eine Hochburg der Linken. Doch viele hier wollen nun die AfD wählen, wie einige Männer sagen, die gerade auf einer Bank Bier trinken. Trauth lässt sich nicht beirren, am Ende gibt sie den Männern ihr Programm mit – und kann mit dem Verweis punkten, dass sie sich gegen Kinderarmut in Potsdam einsetzen will. Trauth sagt später, man müsse allen Bürgern zuhören können, natürlich auch Abgehängten: „Demut tut uns gut.“

„Ich weiß, wie es ist, wenn man sich mit einem kleinen Kind alleine durchs Leben schlagen muss“

Trauth kennt Brüche – aus der eigenen Biographie. In einem von Landwirtschaft geprägten Dorf in Rheinland-Pfalz verbringt sie ihre Kindheit. Das Besondere: Ihre Mutter sei eine der wenigen selbstständigen Geschäftsfrauen in der Region gewesen. Das habe sie früh geprägt, auch die Naturliebe stammt aus der Zeit. Nach der Schule lässt sie sich zur Laborassistentin ausbilden, arbeitet in Krankenhäusern in der Gegend – und merkt, dass diese Dorfstrukturen, die Kleinbürgerlichkeit, noch nicht alles sein können. Es folgt 1985 der Umzug nach Berlin, in eine Wohngemeinschaft in Kreuzberg, mit Blick auf die Mauer: „Diese Teilung empfand ich als traurig, schrieb darüber Gedichte.“

Martina Trauth am Wahlkampf-Stand.
Martina Trauth am Wahlkampf-Stand.
© A. Klaer

Die junge Frau bekennt sich zur Friedens- und Umweltszene, hat Henna-Farbe im Haar. Mit 21 wird sie schwanger mit ihrer inzwischen erwachsenen Tochter, vom Vater lebt sie getrennt. Es folgen schwierige Jahre, auch weil sie mit ihrem Labor-Beruf mangels Kontakt mit Menschen zunehmend unzufrieden wird. Zudem muss sie allein erziehen, sogar putzen geht sie. „Ich weiß, wie es ist, wenn man sich mit einem kleinen Kind alleine durchs Leben schlagen muss.“ Doch sie holt bis 1990 ihre Fachhochschulreife nach, 1997 beendet sie ein Studium der Gesundheitswissenschaften – sie fasziniert die Frage, „wie die Menschen gesund bleiben können“.

Parallel hat sie erste Verwaltungsjobs in Berlin – und kommt 1998 als Gesundheitsplanerin ins Potsdamer Rathaus. Zwölf Jahre später bestätigen die Stadtverordneten ihre Berufung zur Gleichstellungsbeauftragten der Stadtverwaltung – ein Job, den sie auch im Fall einer Niederlage wieder antreten will, wie sie in Bezug auf ihren SPD-Kontrahenten Schubert deutlich macht, mit dem sie so oder so wieder zusammenarbeiten muss: „Wir greifen uns zwar fachlich an, aber nicht persönlich.“ Derzeit hat sie unbezahlten Sonderurlaub.

"Stimme der Parteilosen"

Doch in den vergangenen Jahren und in der steten Auseinandersetzung mit Oberbürgermeister Jann Jakobs sei auch ihr Wunsch gereift, den Chefposten im Rathaus anzustreben, erzählt Trauth: Um etwas im Rathaus zu verändern, etwa die Führungskultur wertschätzender zu gestalten. Dann habe die Linke sie gefragt, ob sie als Parteilose kandidieren wolle. Sie sitzt nun – nach einer Spendenübergabe an der Steuben-Schule im Kirchsteigfeld – im Wiener Café am Luisenplatz. Dorthin hat die 81 Jahre alte Potsdamer Künstlerin Rosemarie Steinbach, die Trauth unterstützt, zu einer Frauenrunde bei Kaffee und Kuchen eingeladen, Trauth soll sich und ihr Programm vorstellen. Das tut sie: Frauenthemen seien in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen, auch wegen der männlichen Dominanz im Stadtparlament und den kommunalen Unternehmen. Und sie wolle sich stark machen für mehr Begegnungsorte in boomenden Stadtteilen wie dem Bornstedter Feld, so Trauth. Da nickt die frühere Kunstlehrerin Steinbach. Sie teile auch die Kritik an einer allzu historisierenden Innenstadtentwicklung. „Und ich bin überzeugt, dass so eine empathische Frau das Zeug zur Oberbürgermeisterin hat.“ Die Künstlerin weiter: „Sie ist auch die Stimme der Parteilosen.“

Diskutieren beim PNN-Talk im Hotel Mercure
Diskutieren beim PNN-Talk im Hotel Mercure
© A. Klaer

„Manchmal schaue ich auf meine Plakate und denke, das bin ich gar nicht“

Doch eine gewisse Skepsis zu Trauth und ihrem überparteilichen Kurs gibt es. Die den Linken nahestehende Tageszeitung „Neues Deutschland“ unkte noch im August, Trauth würde es gern René Wilke nachmachen, der im März für die Linken die Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt (Oder) gewann. Doch Wilke sei über Jahre hinweg als Kandidat aufgebaut worden – Trauth hingegen zu wenig bekannt. So sei fraglich, ob sie am 23. September als Zweitplatzierte überhaupt die Stichwahl erreichen könnte, sprach die Zeitung manchen Linken aus der Seele. Doch nur Platz drei für die früher stets starke Potsdamer Linke? Für die Genossen wäre das, im Jahr vor den Landtags- und Kommunalwahlen in Brandenburg, ein denkbar schlechtes Zeichen. Inzwischen sieht es besser aus. Hauptgrund ist eine jüngst veröffentlichte Umfrage zur OB-Wahl der Märkischen Allgemeinen, die Trauth bei 25 Prozent sieht – nur vier Prozentpunkte hinter ihrem SPD-Rivalen Mike Schubert.

Es folgt der fünfte Termin an diesem langen Tag, der besagte OB-Talk des Stadtjugendrings, Trauths Mann Alfred Reichwein ist dazugekommen. Sie sind eine Patchworkfamilie, er hat zwei erwachsene Söhne. In der Freizeit musiziert das Paar gern, Trauth an der Querflöte, er an der Zugposaune. Zusammen haben sie eine kleine Firma gegründet, die Kommunen strategisch berät. „Er passt auf mich auf“, meint Trauth in Bezug auf die Belastung im Wahlkampf. Dieser geht an die Substanz. Einmal an diesem Tag sagt sie: „Manchmal schaue ich auf meine Plakate und denke, das bin ich gar nicht.“

Übergabe eines gespendeten Sofas für die Steuben-Gesamtschule
Übergabe eines gespendeten Sofas für die Steuben-Gesamtschule
© A. Klaer

Bürgerbeteiligung gehört zu Trauths Lieblingsthemen

Vor den Jungwählern geht es um eines von Trauths Lieblingsthemen: die Bürgerbeteiligung. Dafür nötig sei eine „größtmögliche Transparenz und Nachvollziehbarkeit“, um ein Thema qualifiziert beurteilen zu können, sagt sie. Und wichtig sei eine motivierende Ansprache, sich zu beteiligen – und ein Ansprechpartner, bei dem man nachfragen könnte. Für all das wolle sie im Rathaus sorgen.

Dieser Wahlkampfstil sorgt bei der Konkurrenz für Spott – gerade bei OB-Bewerber Boede, der sie schon bei vielen Podien angegriffen hat. Sein Urteil: Sie bleibe oft schwammig, sei manchmal ahnungslos und kündige vor allem die Bildung – teils schon bestehender – Arbeitskreise an. Trauth hingegen sagt, jedes Kreuz für Boede sei eine Stimme, die für den politischen Wechsel an der Rathausspitze fehlen werde. Und sie macht deutlich: Boedes polarisierender Stil ist nicht der ihre: „Ich will niemanden runterputzen.“ Ein anderer, bürgernäherer Stil sei auch wegen des Aufstiegs der AfD nötig: „Ich habe sonst Angst um unsere Demokratie.“

Doch kommt das Streben nach Ausgleich auf Beteiligung bei jedem Wähler an? Nicht immer, wie ab 21 Uhr an diesem Tag beim PNN-Talk im Hotel Mercure deutlich wird. Hier kritisiert sie einer der Teilnehmer in Bezug auf ihre Haltung zum gesperrten Uferweg am Griebnitzsee. Sie will sich nach der gescheiterten Mediation mit den sperrenden Anrainern noch einmal an einen runden Tisch setzen. „Sie müssen aufpassen, dass Sie sich nicht über solche Tische ziehen lassen“, sagt der Mann. Sie antwortet, sie könne sich den Rechtsweg vorstellen: „Doch ich habe zuerst den Anspruch, auch über solche strittigen Themen noch einmal zu reden.“

Das nächste Kandidaten-Porträt erscheint am morgigen Samstag: Lutz Boede (Die Andere). Reihenfolge und Autoren haben wir per Los bestimmt.

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