Sportförderung in Potsdamer Schulen: Die schnellen Zeiten sind vorbei
Seit zehn Jahren tourt das Projekt „Kindersprint“ durch ganz Deutschland und andere Länder. Derzeit ist es in Potsdam zu Gast. Die Bewegungsinitiative dokumentiert bei allem Spaß auch Defizite - und sieht sich selbst mit Kritik konfrontiert.
Potsdam - Die Herausforderung ist 17 Meter lang. Achteinhalb Meter geradeaus hin und im Slalom zurück. In der Sporthalle der Grundschule Pappelhain ist der Parcours aufgebaut: fünf rote Hütchen, eine Lichtschranke und eine Ampel. „Kindersprint“ heißt das Projekt der bundesweiten Kampagne „expika“ zur ganzheitlichen Entwicklungsförderung von Kindern und Jugendlichen. Am gestrigen Dienstag machte sie in der Schule am Stern Station, in den kommenden Tagen wird an den Grundschulen in der Waldstadt und am Humboldtring gesprintet.
„Der computergestützte Laufparcours soll den Kindern auf spielerische Art und mit einer Portion Nervenkitzel einen Impuls für Spaß an Bewegung geben“, heißt es in der Projektbeschreibung. In der Praxis sieht das so aus: Polina steht an der Startlinie und schaut gespannt auf eine Ampel mit zwei Leuchtfeldern. Leuchtet das rechte Feld grün auf, muss sie rechts an den fünf Hütchen vorbeisprinten und im Slalom zurück. Leuchtet das linke Feld grün, geht’s links herum. „Das finde ich das Schwierigste daran“, sagt Polina, „wenn ich auf rechts loslaufen muss, obwohl ich es für links geplant habe.“ Fünfmal hastet die Viertklässlerin über den blauen Hallenboden – immer bestrebt, schneller zu sein als im Lauf zuvor. „Das ist das Tolle an dem Sprintprojekt, dass sich die Kinder von Lauf zu Lauf steigern können und nach den ersten ein, zwei Versuchen auch Fortschritte machen“, sagte Marina Rieger. Daher ist die Sportlehrerin auch „sehr froh, dass wir solche Events mitnehmen können“.
Koordination und Motorik zum Teil „ganz schlimm“
Seit 2012 ist die Grundschule Pappelhain feste Adresse im deutschlandweiten Tourneeplan des „Kindersprint“-Projektes der Leipziger Agentur „contacts & sports“. Für Sportlehrerin Rieger ist es jedes Mal eine willkommene Abwechslung für den Sportunterricht. Bis zur vierten Klasse seien die Kinder auch mit Spaß und Eifer dabei, dann lasse das Interesse nach. Der „schnelle Antritt“ beim Start und „die Anfeuerungsrufe“ der Klassenkameraden hätten ihnen am meisten Spaß gemacht, sagten viele der Zehn- und Elfjährigen. „Mir hat gefallen, dass ich schnell rennen durfte“, meinte Polina. 5,98 Sekunden brauchte sie für den Parcours – damit war sie die Schnellste ihrer Klasse. Nur zwei Jungen aus ihrer Klasse schafften es gleichfalls unter sechs Sekunden.
Für Frank Richter ist das „nicht schlecht“, die ganz schnellen Zeiten aber scheinen vorbei. Seit zehn Jahren tourt der Eventmanager und Trainer mit dem „Kindersprint“ durch die Republik und beobachtet dabei einen Rückgang der sportlichen Leistungsfähigkeit und der Belastbarkeit bei Grundschülern. „Als wir vor zehn Jahren begonnen haben“, sagt er, „sind Erstklässler unter sechs Sekunden gelaufen. Das schaffen heute die wenigsten Viertklässler.“ Das Leistungsgefälle innerhalb der Klassen sei größer geworden – zwei Sekunden Unterschied auf 17 Metern liegen zwischen den schnellsten und langsamsten Pappelhain-Grundschülern. „Ganz schlimm“ nennt Richter die Ausprägung koordinativer und motorischer Fähigkeiten, es gebe immer häufiger Kinder, die an einem einfachen Slalomlauf scheitern. Marina Rieger kommt nicht umhin, das aus ihrem Schulalltag zu bestätigen: „Die Einstellung zum Sport und die Bereitschaft, sich anzustrengen, haben sich verändert. Daher fehlen wichtige Grundlagen, die im Sportunterricht vermittelt werden sollen.“
Rekord vor drei Jahren in Potsdam aufgestellt
Dabei gebe es durchaus regionale Unterschiede. Als im Rahmen des „Kindersprint“-Projektes vor drei Jahren alle Zeiten der jeweiligen Städtefinals verglichen wurden, kamen die schnellsten Parcours-Sprinter aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und dem südlichen Brandenburg. Auch Potsdam schneide regelmäßig gut ab. Und die bislang schnellste Zeit von 4,68 Sekunden, die jemals bei allen „Kindersprints“ – ob in Deutschland, der Schweiz, Österreich oder Tschechien – gelaufen wurde, schaffte vor drei Jahren ein Viertklässler der Grundschule im Bornstedter Feld.
Diese ist in diesem Jahr allerdings nicht dabei. Laut Richter habe sich die Elternkonferenz gegen das Projekt entschieden – es sei wohl zu kommerziell. „Natürlich brauchen wir Partner und Sponsoren“, sagt Richter. Hingegen kritisiert der Verein „Lobbycontrol“, dass mit dem Projekt „Kindersprint“ tausende „Grundschüler angesprochen und mit ihren Eltern in Einkaufszentren gelockt“ würden. Das Potsdamer Finale findet am Samstag in einem Autohaus statt, das Deutschlandfinale im Sommer in der Tat in einem großen Einkaufszentrum bei Leipzig.
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