Eintrag ins Goldene Buch der Stadt: Die Lebensmutige
Marianne Seibert baute den Landesverband der Multiple Sklerose Gesellschaft mit auf. Nun wird sie mit einem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt geehrt.
Potsdam - Marianne Seibert ist 35 Jahre alt und beginnt ihre Laufbahn als Händlerin in der mittleren Leitungsebene. Die Potsdamerin steht mitten im Leben, als sie die niederschmetternde Diagnose Multiple Sklerose erhält. Es gebe in so einem Fall zwei Wege, sagt Seibert mit ruhigen, klaren Worten in ihrem Büro des Landesverbandes der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft in der Potsdamer Innenstadt. Entweder, man verliert den Lebensmut und beschleunige so womöglich die Erkrankung, erklärt Seibert, inzwischen 70 Jahre alt. Oder, nachdem Trauer, Wut und Verzweiflung überwunden sind, gebe es die zweite Möglichkeit: „Ein Leben anzufangen, das lebenswert ist.“
Seibert hat sich für den zweiten Weg entschieden. Als eines von sieben Gründungsmitgliedern baute sie ab der Wendezeit den Brandenburger Landesverband auf. Mittlerweile hat dieser 1000 Mitglieder. Die Strukturen des Verbandes mit Selbsthilfegruppen, Informationsveranstaltungen und MS-Cafés reichen in alle Regionen. Dass Betroffene in allen Teilen des Landes heute Unterstützung und Aufklärung erfahren, ist auch Marianne Seiberts Verdienst.
Für ihr ehrenamtliches Engagement wird sie im Rahmen der Veranstaltung „30 Jahre ehrenamtliches Engagement“, die im Tagungshaus der Hoffbauer-Stiftung auf Hermannswerder stattfindet, mit einem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt geehrt. Anwesend sein werden unter anderen Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD), die Brandenburger Gesundheitsministerin Susanna Karawanskij (Linke) sowie Matthias Platzeck, ehemaliger Ministerpräsident und Schirmherr des Landesverbandes.
Seibert blickt stolz zurück
„Das ist eine Ehre“, sagt Seibert, seit 1991 Vorsitzende des Landesverbandes, über die anstehende Auszeichnung. Man merkt schnell, dass das keine hohle Phrase ist. Dass ihr jahrelanger, ehrenamtlicher Einsatz in der Öffentlichkeit anerkannt und gesehen wird, ist für sie wie ein Lohn ihrer Arbeit. „Das berührt mich schon sehr“, fügt sie hinzu. Vor allem auch, weil viele Menschen, die sich sozial engagierten, nicht unbedingt im Vordergrund stünden. Auf all das, was sie mit ihrer Arbeit erreicht hat, blickt sie mit Stolz zurück. „Das kann man nur im Team schaffen“, weiß sie aber auch.
Dass sie aber nicht nur einen ganzen Landesverband mitaufgebaut hat, sondern auch viele persönliche Kämpfe und Verzweiflung mit ihrer eigenen Krankheit durchstehen musste, sieht man ihr heute kaum an. Sie strahlt, ist voller Energie und Lebensmut, wirkt ein wenig jünger als sie eigentlich ist. Von der Krankheit ist nur der Rollstuhl zu sehen, mit dem sie zügig durch die Gänge fährt. Vieles sei für andere nicht sichtbar, sagt sie.
Seibert sollte in Rente gehen - doch das wollte sie nicht
Nach der Diagnose stand damals schnell fest, dass sie nicht mehr in den Beruf zurückkehren konnte und Rente erhalten sollte. „Die ich nicht wollte“, betont sie. Ihr Zustand wurde zunehmend schlechter. Erst konnte sie nicht mehr richtig laufen, dann wurde auch ihr Sehvermögen deutlich schlechter. Zu DDR-Zeiten habe es kaum Aufklärung über die Krankheit und entsprechende Medikamente gegeben. Es habe nur geheißen, man solle üben. „Aber was soll man üben?“, sagt sie heute. Diese Zeit sei am schlimmsten gewesen.
Nach einem Jahr seien die Schübe weniger geworden, sie stabilisierte sich etwas. Aber noch immer schwingt die Angst vor neuen Schüben mit oder Verzweiflung kommt auf, wenn sich Symptome wie Taubheitsgefühle und Atemnot entwickeln. Man bezeichne MS auch als „Krankheit mit den 1000 Gesichtern“, sagt sie. Bei jedem könne die Krankheit anders verlaufen, nichts sei vorhersehbar.
Dennoch resignierte sie nicht. „Eine Kämpferin war ich eigentlich schon immer“, sagt Seibert. Ihr Mann sowie Familie und Freunde haben sie dabei unterstützt, immer weiterzumachen und nicht aufzugeben, erzählt sie. Vor allem ihr Mann habe ihr immer wieder geholfen, aus den Tiefs herauszufinden.
Seibert ist in ganz Brandenburg unterwegs
Heute gibt sie ein Stück von ihrem Mut an andere Betroffene weiter. „Ich will mit meinem Engagement anderen zeigen, dass das Leben trotzdem lebenswert ist“, sagt sie. Mit diesem Ziel ist sie regelmäßig in ganz Brandenburg unterwegs, besucht Selbsthilfegruppen und MS-Cafés, ein offenes Angebot für MS-Kranke. Dort stellt sie sich deren Fragen. „Das ist für mich die Möglichkeit, immer den Kontakt zu den Betroffenen zu halten“, sagt Seibert. Dazu kommen diverse Informationsveranstaltungen, zum Beispiel über neue Medikamente, bei denen sie anwesend ist. Ihr Mann würde sie überallhin begleiten, erzählt sie.
Außerdem ist Seibert auch politisch aktiv und setzt sich im Landesbehindertenbeirat Brandenburg für die Belange von Menschen mit Behinderung ein. Es gehe ihr um Teilhabe, dass Menschen mit Behinderung nicht ausgegrenzt werden und nennt als Stichwort die Barrierefreiheit, an der es vielerorts noch immer mangele. „Ich bin nicht behindert, ich werde von der Gesellschaft behindert“, lautet ihr Motto. Das Bewusstsein dafür zu schärfen, was Menschen mit Behinderung brauchen, um weitestgehend selbständig zu leben, ist ihr Ziel. Sie würde immer wieder den Finger in die Wunde legen, sagt sie. Ob politisch oder persönlich: Marianne Seibert lässt sich nicht unterkriegen, ihr Einsatz geht weiter. In ihr sei die Erkenntnis gereift: „Du kämpfst jetzt und du wirst wieder gewinnen.“
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