Kritik am Aufzug an der Alten Fahrt: „Wir leben nicht im 17. Jahrhundert“
Die Chefin des Landesbehindertenbeirats, Marianne Seibert, kritisiert im PNN-Interview den neuen Aufzug an der Uferpromenade. Der funktionierte jetzt kurzzeitig nicht mehr.
Frau Seibert, Sie haben bestimmt schon von dem Aufzug an der Uferpromenade gehört, der nur mit Spezialschlüssel zugänglich ist. Würden Sie das – wie der Oberbürgermeister – als gute Idee bezeichnen?
Im Gegenteil! Ich dachte, ich hör’ nicht richtig. Wir vom Landesbehindertenbeirat hatten uns ja von Anfang an für eine andere Lösung ausgesprochen, aber man hat leider nicht auf uns gehört.
Wie hätte diese Lösung ausgesehen? Eine Rampe?
Eine Rampe wäre an der Stelle wohl zu steil geworden, deshalb hatten wir eine Kehre vorgeschlagen. Platz genug ist dort ja.
Wie war denn die Reaktion auf Ihren Vorschlag?
Wir hatten uns schon zu Beginn des Bauvorhabens an das Landesbauministerium gewandt, weil wir auf den Plänen gesehen haben, dass an der Stelle nur eine Treppe geplant ist. Wir haben auf die mangelnde Barrierefreiheit hingewiesen – schließlich ist das Ministerium ja für die Baugenehmigung zuständig und hätte darauf pochen müssen. Man schrieb uns damals zurück, dass eine Schräge nicht möglich sei – warum, wurde nicht erklärt. Und dass ein Aufzug installiert werden sollte.
Die Stadt hatte eine Rampe oder Kehre ja aus ästhetischen Gründen abgelehnt...
Wir leben doch nicht mehr im 17. Jahrhundert, es kann doch nicht nur darum gehen, was schön ist! Die Stadt Potsdam bekennt sich ganz offiziell zur UN-Behindertenkonvention und zu den Barcelona-Richtlinien – also dazu, Zugänglichkeit für alle zu schaffen. Einen Aufzug zu bauen, der nur mit einem Schlüssel zu bedienen ist, den nicht jeder bekommt, hat damit nichts zu tun.
Haben Sie sich denn schon vor Ort ein Bild von der Situation gemacht?
Ich war am Dienstagnachmittag dort, um mir das mal anzusehen. Ich traf auf eine junge Dame, die eine ältere Frau im Rollstuhl geschoben hat. Sie wollte hinunter auf die Promenade, hatte aber keinen Schlüssel. Ich bin ja selbst Rollstuhlfahrerin und habe einen solchen Euro-WC-Schlüssel, zum Beispiel für Behindertentoiletten. Also wollte ich für sie den Aufzug holen, aber er ging gar nicht.
Obwohl Sie den richtigen Schlüssel dabei hatten?
Genau. Ein Mann, der zufällig dabei war, hat es dann von unten probiert, aber das ging auch nicht. Die junge Dame hat daraufhin die Frau aus dem Rollstuhl genommen und eigenhändig hinuntergetragen. Aber das kann ja wohl nicht die Lösung sein.
Als Landesbehindertenbeauftragte haben Sie ja einen Überblick, wie es in anderen Brandenburger Kommunen läuft. Ist Potsdam denn besonders starrsinnig oder würden Sie so weit nicht gehen?
In Potsdam ist man vielleicht schon etwas stur, aber auch deshalb, weil es eben viele historische Gebäude gibt. Dass man die nicht alle barrierefrei machen kann, ist klar. Aber bei einem Neubau sollte das heutzutage selbstverständlich sein.
Die Stadt will nun mehrere Schlüssel besorgen und zum Beispiel bei dem italienischen Restaurant deponieren. Ist das ein guter Kompromiss?
Und was soll man dann machen, wenn man unten ankommt? Und wie kommt der Schlüssel wieder zurück in das Restaurant, wenn man nach unten fährt? Das ist doch auch keine Lösung. Die Stadt ist für die Barrierefreiheit zuständig, nicht die Gastronomen.
Die Fragen stellte Katharina Wiechers
ZUR PERSON: Marianne Seibert (67) ist seit 2003 Vorsitzende des Landesbehindertenbeirats Brandenburg. Ebenso sitzt sie dem Landesverband der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft vor.
Update 30. Juni, 14 Uhr: Wie die Stadt mitteilt, soll der Aufzug wieder funktionieren. Er sei defekt gewesen, weil der Notrufknopf zu oft gedrückt wurde.
Angesichts der massiven Kritik an dem nicht öffentlich zugänglichen Aufzug an der Alten Fahrt hat die Stadt nun angekündigt, zwei sogenannte Euro-WC-Schlüssel zu besorgen. Diese sollen bei dem italienischen Restaurant L’Osteria und bei der Tourist-Information in der Humboldtstraße hinterlegt werden, wie Stadtplanungschef Andreas Goetzmann am Dienstagabend im Bauausschuss sagte. Ein entsprechender Hinweis werde vor Ort angebracht. Goetzmann versuchte auch, das Vorgehen der Stadt zu rechtfertigen. Zum einen gebe es bei öffentlichen Aufzügen immer wieder Probleme mit Vandalismus, sagte er. „Anlagen dieser Art sind ein beliebtes Spielzeug.“ Dass kein normaler Aufzug wie etwa am Hauptbahnhof gebaut wurde, liege am Untergrund. Dort verliefen wichtige Leitungen der Energie und Wasser Potsdam (EWP), an die man im Havariefall herankommen müsse. Ein in den Boden betonierter Aufzug sei deshalb nicht in Frage gekommen, so Goetzmann. „Die Anlage muss im Notfall schnell abzubauen sein.“ Die Tatsache, dass es sich um eine „nicht geschlossene Liftanlage“ handele, sehe wiederum vor, dass der „Nutzerkreis eingeschränkt“ werden müsse, so Goetzmann – und zitierte eine entsprechende DIN. Dass der Aufzug mittlerweile offenbar auch für den eingeschränkten Nutzerkreis nicht mehr funktioniert, war ihm zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht bekannt
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