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Türen zu. Das Potsdamer Innenstadtkaufhaus Karstadt Stadtpalais schließt.
© Ottmar Winter PNN

Nach dem Karstadt-Aus in Potsdam: Die Hoffnung starb zuletzt

Die angekündigte Karstadt-Schließung trifft die Potsdamer Innenstadt hart. Sie könnte aber auch einen Neuanfang ermöglichen.

Potsdam - Als die Galeria Karstadt Kaufhof GmbH am Freitag ankündigte, 62 von 172 Filialen zu schließen, stand auch das Potsdamer Kaufhaus in der Brandenburger Straße auf der Liste. Ein herber Schlag, der wohl noch lange in der Stadt nachhallt. 

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Dabei hatte alles so hoffnungsvoll begonnen. Zur Wiedereröffnung 2005 tauchte Karstadt die Brandenburger Straße in ein Meer blauer Luftballons. Rund um die Kaufhauseingänge drängten sich die Schaulustigen. Nachdem der damalige Oberbürgermeister Jann Jakobs gemeinsam mit Brandenburgs Infrastrukturminister Frank Szymanski (beide SPD) das rote Band zerschnitten hatte, stürmten die Menschen in das Traditionshaus. Über 40.000 Besucher zählte das Management am ersten Tag. 
Mit dem Kaufhaus kehrte die Hoffnung zurück auf die Brandenburger Straße. Der sogenannte „Broadway“ war zuvor zu einer Ramschmeile verkommen, deren Bild von Ein-Euro-Läden dominiert wurde. Starke Konkurrenz zog die Kunden aus der Innenstadt: 1996 war das Stern-Center im Potsdamer Süden eröffnet worden, 1999 kamen die Bahnhofspassagen hinzu. Doch Karstadt holte die Käufer zurück in die Innenstadt. 

"Katastrophe für Potsdamer Einzelhandel"

Bärbel Schälicke, die Vorsitzende der AG Innenstadt, erinnert sich noch lebhaft an die Eröffnung. Die Nachricht von der Schließung habe sie schockiert: „Ich kann es noch gar nicht glauben”, sagt sie. Karstadt sei ein „Magnet” gewesen, von dem mittelständische Einzelhändler in der Nähe stark profitiert hätten. Für bestimmte Produkte gäbe es jetzt gar keine Anbieter mehr in der Stadt, zum Beispiel Haushaltswaren oder Bettwäsche. 
„Für den Potsdamer Einzelhandel ist das eine Katastrophe”, sagt Nils Busch-Petersen, der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg. Er warnt vor einem Sterben der Innenstadt. Insgesamt werde es dem Einzelhandel schwer gemacht in Brandenburg, kritisiert der Branchenvertreter. Es herrsche zu viel Bürokratie und Regulierung. Die Unternehmer sollten seiner Ansicht nach „mehr Freiheiten” bekommen. Das hieße zum Beispiel Erleichterungen bei Sondernutzungen von Straßenland oder der Sonntagsöffnung, sagt Busch-Petersen. Am Montag will er sich mit Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) treffen, um „gemeinsam nachzudenken”. 

Auch der CDU-Stadtverordnete Wieland Niekisch kritisiert: Seit der Eröffnung 2005 habe es „viele Versäumnisse” gegeben, „die sich jetzt in der extremen Krisenlage der Corona-Zeit rächen.“ Für Niekisch sind vor allem die hohen Mieten für Gewerbeflächen in Innenstadtlagen ein Problem. Die städtische Wirtschaftsförderung hätte seiner Ansicht nach „marktwirtschaftsunterstützend moderieren” müssen. Sascha Krämer (Linke) fordert: „Wir brauchen ein Konzept, wie wir langfristig den Einzelhandelsstandort Innenstadt sichern wollen.” Für Krämer bedeutet das vor allem die „Ansiedlung von kleinteiligem Einzelhandel”. Dafür seien „bezahlbare Mieten” eine Voraussetzung. 

Gebäude existiert seit 1905 als Geschäftsort

Die geläufige Bezeichnung „Stadtpalais” ist etwas irreführend, denn ein herrschaftlicher Wohnsitz war das Gebäude nie. 1905 wurde es vom Potsdamer Unternehmer F. Schwarz errichtet, der dort unter anderem Herrenanzüge feilbot. Es war die große Zeit der Warenhäuser in ganz Europa. Der Boom hatte Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris begonnen mit der Eröffnung des legendären „Le Bon Marché”. Der Schriftsteller Émile Zola widmete den Konsumtempeln seinen Roman „Das Paradies der Damen”.  In Potsdam stach das neue Warenhaus hervor mit seiner reich dekorierten Jugendstil-Fassade mit Zierbalkonen und Balustraden. Doch schon im zweiten Jahr verkaufte Schwarz sein Objekt an den Berliner Kaufmann Hermann Ploschitzki. Der wiederum fusionierte seine Firma mit der des Einzelhändlers Leopold Lindemann. Die Potsdamer Filiale hieß fortan „Warenhaus Lindemann”. Die Geschäfte liefen gut. Ende der 1920er-Jahre wurde „Potsdams erstes und vornehmstes Kaufhaus” (laut Reklame) verbreitert und zur Jägerstraße erweitert. 1929 fusionierte die Lindemann & Co. AG mit dem Karstadt-Konzern. Die Nazi-Propaganda hetzte gegen Warenhäuser, bezeichnete sie als „jüdische Erfindungen”. Ab 1933 beteiligte sich der Karstadt-Konzern freiwillig an der „Arisierung” und entließ deutschlandweit alle jüdischen Mitarbeiter. Die Nazis ließen auch die Jugendstil-Dekorationen des Potsdamer Hauses entfernen. Der langjährige Inhaber Leopold Lindemann wurde im KZ ermordet, weil er Jude war. Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Gebäude schwere Schäden. Die Sowjets enteigneten nach 1945 alle Karstadt-Filialen in der Sowjetischen Besatzungszone. Im Warenhaus erfolgte der Zwangszusammenschluss der Kreisparteiorganisationen von KPD und SPD zur SED. Zu DDR-Zeiten erinnerte eine Gedenktafel daran. Der Einkaufstempel wurde planwirtschaftlich weitergeführt, zunächst als „Konsum-Warenhaus“ und ab 1965 als Teil der Kette „Konsument”. 1979 erhielt es eine weithin sichtbare Leuchtschrift. Nach der Wende übernahm der Konzern Horten. 1996 brannte der Dachstuhl aus, das Haus wurde geschlossen und stand leer bis zur Sanierung durch Karstadt. 

Das Prinzip des klassischen Kaufhauses lautet: „Alles unter einem Dach“. Doch ein breites, branchenübergreifendes Sortiment von Markenklamotten bis Lebensmitteln ist bei den Kunden immer weniger gefragt. Das ist nicht neu. Im Gegenteil, schon als das Potsdamer Kaufhaus feierlich eröffnet wurde, befand sich der Karstadt-Konzern in einer tiefen Krise. Branchenexperten sahen damals gerade im Festhalten am breiten Gemischtwarensortiment das Problem. 

Zukunft des Hauses ist offen

Häufig wird der Online-Handel für die Schwierigkeiten der Branche verantwortlich gemacht. Einer aktuellen Studie des Handelsverbandes Deutschland zufolge sind die Umsätze im Online-Handel 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 12,4 gewachsen, im stationären Handel nur um zwei Prozent. Der Anteil der Kunden, die ausschließlich „offline” kaufen, ist demnach seit Jahren rückläufig. 2019 wurden mit ihnen nur noch ein Viertel der Umsätze erzielt. Das bedeutet aber nicht, dass der stationäre Handel keine Chance hat gegen Amazon, Zalando und Co. Denn der Studie zufolge nutzen die restlichen 75 Prozent der Kunden mehrere Kanäle zum Einkaufen. Dass mit innovativen Konzepten Kunden angelockt werden können, zeigt zum Beispiel das „Bikini Berlin” in der Berliner City West. Dort sorgen „Pop-up Stores”, die nur für kurze Zeit öffnen, sowie regelmäßige Events für Publikumsverkehr. Das Lebensmittelangebot orientiert sich an den aktuellen Trends zu Nachhaltigkeit und regionalen Produkten. Die wirtschaftliche Stabilität des hippen Shoppingtempels basiert aber auch auf einer klassischen Mischfinanzierung, denn die oberen Etagen werden als Büros vermietet. 

„Ich hoffe, dass wir es schaffen, ein zeitgemäßes Angebot für die wachsende Stadt schaffen”, sagt Bärbel Schälicke. Vor Ort fehlen ihrer Ansicht nach zum Beispiel Anbieter für Mode im hochpreisen Segment. Zuletzt habe Karstadt oft dieselben Marken angeboten wie die anderen Händler und dadurch kaum Mehrwert geboten. Denkbar sei auch ein Shop-in-Shop-System mit Fachabteilungen, sagt Schälicke. Auch Nils Busch-Petersen ist zuversichtlich. Neue Ideen gäbe es zum Beispiel in Frankreich, wo in letzter Zeit sogar neue Kaufhäuser eröffnet wurden. „Das Warenhaus ist nicht per se im Eimer.”

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