Interview mit Mike Schubert: „Deutschland sollte jetzt handeln“
Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert über die Lage in Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Lesbos und seine Forderungen an die Bundesregierung.
Herr Schubert, Sie haben soeben das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos besucht. Wie war Ihr erster Eindruck?
Es war sehr beeindruckend und ich werde noch eine Weile brauchen, um das zu verarbeiten. Man spürt sofort, dass das Camp für 3000 Menschen ausgelegt ist, aber 20000 Menschen dort leben. Neben dem eigentlichen Lager ist ein wildes Camp entstanden, in dem die Menschen unter Plastikplanen hausen. Die Zustände hier sind eine Schande. Es fehlt am Nötigsten, an Ärzten, an einer funktionierenden Kanalisation. Die Situation ist unhaltbar.
Entspricht es dem, was Sie sich vorgestellt haben?
Ich habe vorher zwar Medienberichte gesehen, aber es ist noch wesentlich eindrücklicher, das vor Ort zu erleben.
Was hat Sie am meisten überrascht?
Einige Dinge haben mich durchaus positiv überrascht, insbesondere die Form von Selbstorganisation der Geflüchteten. So haben einige für die Kinder einen Unterricht in Zelten eingerichtet. Wir haben auch eine Szene beobachtet, in der Mitarbeiter einer NGO als Clowns verkleidet mit Kindern Zirkus gespielt haben. In dieser tristen Situation Kinderlachen zu hören, überrascht zunächst. Aber andererseits war ich von der Versorgungslage schockiert, etwa von den hygienischen Bedingungen.
Wie haben die Menschen vor Ort reagiert, als Sie angekommen sind?
Wir sind einer großen Neugier begegnet und sehr offen empfangen worden.
Konnten Sie mit Flüchtlingen sprechen?
Ja. Wir haben vor allem das Gespräch zu Kindern gesucht, deshalb sind wir in erster Linie gekommen. Für mich war es sehr spannend zu sehen, dass bei den unbegleiteten Minderjährigen sehr viel Wille da ist, mit der Situation klar zu kommen und auch die Zukunft anzugehen. Wir haben in Athen mit Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren gesprochen, die mittlerweile die Schule besuchen und entschlossen sind, ihren Weg zu gehen. Das hat mir gezeigt: Wenn wir die passenden Rahmenbedingungen schaffen, dann kann man viel Hoffnung geben und auch durch Bildung die Chance auf eine echte Zukunft schaffen.
In einem Video, das sie unmittelbar nach dem Besuch des Lagers online veröffentlicht haben, appellieren Sie an Bundesinnenminister Horst Seehofer, sofort zu handeln. In einer Pressemitteilung sprachen Sie von einer Blockade, die es zu lösen gilt. Was meinen Sie damit?
Die Situation ist eindeutig. In Griechenland leben insgesamt etwa 5400 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Darunter sind etwa 500 Kinder zwischen sechs und 14 Jahren. Auf der anderen Seite haben wir 140 Städte in Deutschland, die insgesamt sofort 500 Kinder aufnehmen möchten. Es wäre ein klares Zeichen der Humanität, das nun zu tun und diesen Kindern eine Perspektive zu geben. Es gibt europäische Staaten, die haben bereits etwas getan, so zum Beispiel Portugal. Auch Deutschland sollte jetzt handeln.
Wie sollte diese Handlung aussehen?
Wir brauchen jetzt entweder eine Bundesratsinitiative oder eine Entscheidung der Bundesregierung. Ich fordere die Bundesregierung deshalb ganz klar zu einer Entscheidung auf. Es darf jetzt nicht mehr darum gehen, Meinungen oder Positionen auszutauschen, wir brauchen jetzt eine Lösung. Wir haben keine Zeit mehr, Gespräche zu verschieben oder nicht zu führen. Es gibt das ehrliche Angebot der Städte, und damit muss man umgehen. Wir geben mit unserer Reise auch das Signal: Wir geben nicht auf.
Verändert die sich weiter verschärfende Situation an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland die Lage?
Wir haben von hier aus kein klares Lagebild. Aber die Menschen auf Lesbos haben die Befürchtung, dass sich die Situation durch die Lage an der türkisch-griechischen Grenze weiter verschärfen könnte. Hier auf der Insel fühlen sich die Bewohner allein gelassen von Europa.
Sehen Sie, abseits von der Initiative Sichere Häfen und der Bereitschaft, mehr Flüchtlinge aufzunehmen noch Möglichkeiten für sich und Potsdam, dort direkt zu helfen?
Das wird bei unserem Gespräch mit der Administration von Lesbos das Thema sein. Dort wollen wir uns darüber austauschen, wie wir unabhängig von der Aufnahme der Geflüchteten in unseren Städten vor Ort unkompliziert und direkt helfen können. Das können kleine Dinge sein, wie die Medikamentenspende finanziert durch das Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“. Aber vielleicht gibt es hier noch weitere Möglichkeiten, die wir ausloten wollen. Die internationalen Konflikte dürfen nicht auf dem Rücken der griechischen Inseln ausgetragen werden.
In sozialen Netzwerken bekommen Sie Lob für Ihre Initiative, aber auch Kritik. Der Vorwurf: Sie sollen sich erst um die Probleme in Potsdam kümmern. Was entgegnen Sie diesen?
Ich habe von der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung durch den Beschluss im Dezember, die Initiative „Seebrücke – schafft sichere Häfen“ zu unterstützen, einen klaren Auftrag bekommen. Dieser demokratisch legitimierte Beschluss heißt für mich auch, dass ich mich nun für die Umsetzung einsetze. Dazu fühle ich mich auch verpflichtet. Das heißt ja nicht, dass ich Potsdam vernachlässige.
Als weiteren Vorwurf war zu lesen, es handle sich nur um eine Imagekampagne. Wie reagieren Sie darauf?
Das ist absurd. Es ist Teil meiner Arbeit, den ich auch gegenüber unseren Partnern in dem Netzwerk der Städte Sicherer Häfen leiste. Ich sehe in solchen Aussagen den Versuch, unserer Engagement als Stadt zu diskreditieren.
Sie haben ein Foto mit einem Trikot des SV Babelsberg auf Lesbos getwittert. Warum?
Der SV Babelsberg 03 trägt die Seebrücke auf der Brust. Das war meine Art, den Hut zu ziehen vor dem Verein. Das hätte er nicht tun müssen und meines Wissens nach ist es auch einmalig, dass ein Verein so ein politisches Statement auf dem Trikot hat. Hier gibt es einen Fußballplatz, vielleicht kann man sich da eine Aktion für die Kinder überlegen. So wie Turbine seinerzeit unser Engagement auf Sansibar unterstützt hat. Es ist nur eine Anregung.
Gibt es bereits Pläne für weitere Schritte nach Ihrer Rückkehr?
Wir werden die Ergebnisse der Reise innerhalb der Delegation auswerten. Anschließend werden wir, auch gemeinsam mit der Evangelischen Kirche als Teil der Gruppe, weitere Schritte planen. Die Arbeit in der Seebrücke hat mir gezeigt, dass man bei diesem Thema leider sehr viel Geduld braucht. Aber wir werden jetzt sicher nicht nachlassen.
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