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Von 1988 bis 2020 arbeitete Dieter Lehmann in der Bauverwaltung.
© Sebastian Rost

32 Jahre in der Potsdamer Bauverwaltung: Der Herr der Sanierungsgebiete

Dieter Lehmann hat gut drei Jahrzehnte im Potsdamer Rathaus gearbeitet. Öffentlich trat er kaum in Erscheinung. Dabei sind seine Verdienste beachtlich.

Potsdam - Dieter Lehmann. Bei diesem Namen werden wohl die meisten Potsdamer mit den Schultern zucken. Andreas Kalesse, den streitbaren ehemaligen Stadtkonservator, den kennt man natürlich. Und die Baubeigeordneten: Detlef Kaminski, Michael Stojahn, Elke von Kuick-Frenz, Matthias Klipp, Bernd Rubelt. 
Dieter Lehmann hat sie – bis auf Rubelt  – beruflich alle überlebt. Und außerdem fünf Oberbürgermeister. Zwei vor, drei nach der Wende. 32 Jahre lang arbeitete Lehmann in der Potsdamer Stadtverwaltung, über zwei politische Systeme hinweg. Er hat es bis zum Fachbereichsleiter für Stadterneuerung und Denkmalpflege gebracht und eine Degradierung überstanden. Als Bauernopfer. Jetzt ist Lehmann, Bereichsleiter für Stadterneuerung, mit 65 Jahren in den Ruhestand verabschiedet worden. 

Viele Meriten, keine Lorbeeren

„Ohne ihn sähe die Stadt heute anders aus“ ist eine fast zu Tode strapazierte Redewendung, auf Dieter Lehmann trifft sie zu. Er war erst zuständig für das Holländische Viertel, später unter anderem für die zuletzt neun Sanierungs- und vier Entwicklungsgebiete der Stadt und für das Förderprogramm „Soziale Stadt“. Den Kulturstandort Schiffbauergasse gäbe es in seiner heutigen Form ohne seine Arbeit ebenso wenig wie das Bornstedter Feld oder das Babelsberger Gewerbegebiet rund um die Fritz-Zubeil-Straße. 
Es liegt eine gewisse Tragik wie auch eine Folgerichtigkeit in der Tatsache, dass die Lorbeeren dafür stets von anderen eingeheimst wurden. Denn ein Lautsprecher, wie manch anderer in der Bauverwaltung, war Lehmann nie. 

"Er saß immer zwischen den Stühlen"

Fachlich wirft ihm kaum einer etwas vor, seine Kompetenz wird allgemein anerkannt. „Aber ich hätte ihn mir manchmal etwas energischer gewünscht, mit etwas mehr Durchsetzungsvermögen ausgestattet“, sagt der frühere SPD-Stadtverordnete Christian Seidel, der als Chef des Bauausschusses die Stadtentwicklung über lange Jahre begleitet hat. „Er saß immer irgendwie zwischen allen Stühlen.“ Lehmann flog immer unter dem Radar.
1988 wird er ins damals noch von SED-Oberbürgermeister Wilfried Seidel gelenkten Rathaus geholt, um die „Komplexe Rekonstruktion" des maroden Holländischen Viertels zu managen. Bis zur 1000-Jahr-Feier Potsdams 1993 soll das Quartier generalüberholt sein. Ein ambitionierter Plan, denn in der DDR-Mangelwirtschaft fehlt es gewöhnlich sowohl an Material als auch an Experten für Altbausanierung. 

34 Holländerhäuser werden saniert

Ein „Feldherr ohne Heer“ sei er gewesen, sagt Lehmann schmunzelnd. Dennoch gelingt es ihm, 34 der 166 Häuser des Viertels zu sanieren. Ein Großteil davon kann mit städtischen Ressourcen durchgeführt werden, aber Lehmann geht auch noch einen anderen Weg: Er tingelt durch die Region, um Menschen zu finden, die ein Holländerhaus als Eigenheim kaufen und es dann in Eigenleistung herrichten wollen. Immerhin etwa ein Dutzend findet er. Der Preis erscheint für heutige Verhältnisse geradezu lächerlich niedrig. Eine vierstellige Summe habe ein Holländerhaus gekostet, erinnert sich Lehmann.

Rückschläge durch Rückübertragung

Nach dem Mauerfall ist Lehmann zunächst im Büro des Stadtarchitekten tätig, bevor er zum Leiter der neuen Sanierungsverwaltungsstelle berufen wird. Deren Aufgabe ist gewaltig. Das bauliche Erbe der Stadt zerbröselt nach jahrzehntelanger Vernachlässigung, zugleich werden dringend Wohnungen benötigt. Um beiden Problemen Herr zu werden, sollen Sanierungs- und Entwicklungsgebiete eingerichtet werden. Das Holländische Viertel, die zweite barocke Stadterweiterung und Babelsberg werden zu Sanierungsgebieten erklärt, um die historischen Häuser zu retten. Das größte Problem dabei sind die vielen Rückübertragungsansprüche, die die Sanierung erschweren. „Weit mehr als zehn Jahre hat uns das beschäftigt“, sagt Lehmann. 

"Soziale Stadt" in der Platte

Bereits 1991 wird zudem die Entwicklungssatzung für das Bornstedter Feld auf den Weg gebracht. Das 300 Hektar große ehemalige Kasernen- und Truppenübungsgelände soll zu einem Wohn- und Gewerbegebiet entwickelt werden. 

Zu DDR-Zeiten bot das Holländische Viertel einen traurigen Anblick.
Zu DDR-Zeiten bot das Holländische Viertel einen traurigen Anblick.
© Sanierungsträger Potsdam

Mit der „Sozialen Stadt“ kommt für Lehmann ein dritter Aufgabenbereich hinzu: Mit dem Bundesprogramm wird die Aufwertung benachteiligter Stadtteile gefördert. In Potsdam profitieren davon vor allem die Plattenbaugebiete: Am Stern, der Schlaatz und Drewitz – der preisgekrönte Umbau des letzten DDR-Viertels in Potsdam zur Gartenstadt wäre ohne diese Mittel nicht denkbar. 

Lehmann wird Kalesses Chef

Im Jahr 2000 steigt Lehmann im Zuge einer Umstrukturierung im Rathaus vom Chef des Sanierungsamtes zum Fachbereichsleiter für Stadterneuerung und Denkmalpflege auf. Brisant ist das deshalb, weil er damit Chef von Stadtkonservator Kalesse wird, dessen Kompetenzen damit in der öffentlichen Wahrnehmung beschnitten werden. Zuvor hatte das Denkmalamt mit seinem fachlich versierten, aber auch gefürchteten Chef zum Kulturressort gehört. Für Lehmann beginnen unbequeme Jahre. Zwar lässt er Kalesse und seiner Behörde weitgehend freie Hand, muss aber andererseits schlichtend eingreifen, wenn sich jemand über das Agieren des streitbaren Stadtkonservators beschwert hat. 
Die Situation eskaliert, als der TV-Moderator und Wahl-Potsdamer Günther Jauch, der in Potsdam etliche Häuser saniert, öffentlich über Ämterwillkür in der Bauverwaltung, vor allem in der Denkmalpflege, klagt. Im Fokus der Kritik steht dabei nicht zuletzt der als rüde empfundene Umgangston der Behörde gegenüber Bauherren. Ein vom damaligen Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) in Auftrag gegebener Prüfbericht des Verwaltungsrechtlers Ullrich Battis bestätigt Jauchs Vorwürfe, lobt aber zugleich die Kompetenz der Denkmalpflege. 

Bauernopfer für Battis-Bericht

Geschasst wird damals aber nicht Kalesse, sondern Lehmann. Der wenig durchsetzungsstarke Fachbereichsleiter wird von der damaligen Baudezernentin Elke von Kuick-Frenz (SPD) zum Bauernopfer gemacht – und zum Bereichsleiter für Stadterneuerung degradiert. „Sie hat ihn vorgeschoben, um von ihrer eigenen Unfähigkeit abzulenken“, sagt ein Wegbegleiter. Die als führungsschwach und wenig versiert geltende Dezernentin rettet damit auch ihren eigenen Kopf: Nach der umfänglichen Kritik im Bericht wird ihre Absetzung eine Zeit lang offen diskutiert. 
Lehmann nimmt die Degradierung gelassen, vielleicht sogar freudig entgegen. „Mich hat das eher entspannt, konnte ich mich doch wieder mehr der praktischen Arbeit zuwenden“, sagt er. Das tut er in seinen letzten zwölf Dienstjahren auch. Ärger, zumindest nach außen hin, gibt es weder mit dem streitbaren Matthias Klipp (Grüne) noch dessen Nachfolger Bernd Rubelt (parteilos). Geräuschlos, unsichtbar. So arbeitet er am liebsten. 

Stolz und Bescheidenheit

Geht er heute durch die Stadt, durch die Potsdamer Mitte, die barocke Altstadt oder Babelsberg, empfindet Lehmann durchaus Stolz – „ohne den eigenen Anteil herausstreichen zu wollen“, sagt er. Bescheidenheit, auch das ist ein Attribut, dass zu ihm passt.

„Für eine erfolgreiche Arbeit“, sagt Ex-Baustadtrat Detlef Kaminski, habe Lehmann „immer die volle Unterstützung seiner Chefin oder seines Chefs benötigt, dann hat er eine super Arbeit abgeliefert“. Ab einem gewissen Zeitpunkt in seiner beruflichen Karriere in der Stadtverwaltung habe ihm diese Unterstützung „leider gefehlt“. Dieter Lehmann hat sich sicher viele Meriten verdient. Aber nicht bekommen. So ist das leider unter dem Radar.

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