Ausstellung im Holländischen Viertel Potsdam: Als die Abrissbirne drohte
Eine Ausstellung zeigt die Sanierung des Holländischen Viertels. Diese begann schon zu DDR-Zeiten.
Potsdam - Fensterhöhlen, hinter denen niemand mehr wohnte, eingefallene Dächer, Schuttberge. Fassaden, die mit großen Holzstützen am Umfallen gehindert wurden. Wer Anfang der 1990er-Jahre durch das Holländische Viertel in Potsdam ging, dem bot sich ein trauriger Anblick.
Eine Ausstellung im Atrium der Wilhelmgalerie, die am heutigen Freitag um 15 Uhr eröffnet wird, widmet sich der Sanierung des Holländischen Viertels in den Jahren nach 1990. Die Schau war vor drei Jahren schon einmal im Jan-Bouman-Haus zu sehen.
Das Stadtquartier mit den prägnanten Backsteinfassaden, im 18. Jahrhundert unter Friedrich Wilhelm I. von Jan Bouman entworfen, sollte ursprünglich holländischen Handwerkern – die damals allerdings nicht so zahlreich kamen wie erhofft – ein neues Zuhause in Preußen bieten. Ein paar Jahrhunderte später, man hatte gerade einen sozialistischen Staat auf deutschem Boden zu Grabe getragen, sah das Viertel ziemlich heruntergekommen aus. 1992 wurde es formal zum ersten Potsdamer Sanierungsgebiet erklärt. Mit immensem privatem Engagement und vielen Fördermillionen erstanden die Häuserzeilen aus Ruinen auf.
„Hauptauftraggeber Baureparaturen“
Doch bereits zu sozialistischen Zeiten hatte man begonnen, das Stadtquartier wiederherzurichten. Einer, der über Jahrzehnte dabei war, ist der Potsdamer Christian Wendland. Im Jahre 1972 habe er begonnen mit seiner Arbeit als Architekt beim „Hauptauftraggeber Baureparaturen“, wie das damals hieß, erzählt Wendland. Seine erste Tätigkeit: Er sollte ermitteln, wie viele Menschen im Holländischen Viertel in wie vielen Zimmern wohnen und welche Betriebe es dort gab. Es sei darum gegangen, zu erfahren, wie groß der Bedarf an Ersatzraum wäre, wenn man das Viertel abreißen würde. Offiziell sei damals zwar nicht vom beabsichtigten „Flächenabbruch“ gesprochen worden, aber „hinter vorgehaltener Hand war das eindeutig“, sagt der Architekt.
Wendland besitzt eine Studie des Büros für Städtebau Potsdam vom November 1972. Der Titel: „Rekonstruktion Holländisches Viertel“. Beim genauen Hinschauen erweist sich dieser Titel als reiner Euphemismus: In dem Papier werden mehrere Varianten der weiteren Entwicklung des Holländischen Viertels durchgespielt. Eine brutaler als die andere. Nach großräumigen Abrissen hätten sich mehrgeschossige Betonhausriegel ein Stelldichein mit den verbleibenden Ziegelsteinfassaden der barocken Holländerhäuser geben sollen. Die Kreuzung Mittelstraße/Benkertstraße wäre wohl erhalten geblieben. Große Teile des Quartiers hatten die Macher der Studie hingegen zur Disposition gestellt.
„Deinen Flächenabbruch, den kannste knicken.“
Doch Fortuna war dem Viertel hold. Auf Intervention des Berliner Instituts für Denkmalpflege und der DDR-Bauakademie gab man dem Gebiet noch eine Chance, erzählt Wendland. Es sollten einige der barocken Häuser probehalber komplett saniert werden. Man wollte sehen, was mit den vorhandenen Möglichkeiten zu stemmen wäre. Den Anfang machten vier Gebäude an der Ecke Mittelstraße/Friedrich-Ebert-Straße.
1974/75 war es so weit: Die ersten beiden Häuser, die Mittelstraße 42 und 43, wurden wiederhergestellt. Architekt Wendland war immer dabei, achtete darauf, dass die Historie der Maßstab für den Wiederaufbau blieb. 1975 führte er dann den Vorsitzenden des Rats des Bezirks, Herbert Tzschoppe, und den Potsdamer Stadtarchitekten Werner Berg durch die ersten restaurierten Häuser. Dabei, so Wendland, habe Tzschoppe schließlich zu Berg gesagt: „Deinen Flächenabbruch, den kannste knicken.“ Das war ein Wendepunkt, ist sich Wendland sicher: „Damit war im Grunde genommen das Viertel gerettet.“ Also zumindest war so die erste Behandlung des holländisch-preußischen Patienten geglückt. Die endgültige Genesung sollte noch einige Jahrzehnte auf sich warten lassen.
Bis 1989 waren Wendland zufolge schließlich 34 der 128 erhaltenen Häuser des Holländischen Viertels saniert. Der Mangel an Ressourcen im sozialistischen Potsdam machte eine schnellere Rettung des historischen Quartiers unmöglich. Wendland erinnert sich an Arbeiter, die mit Schubkarren vom Baustoffdepot Material bis zum Holländischen Viertel transportierten. Das Diesel-Kontingent für die Lastwagen sei häufig mitten im Monat schon aufgebraucht gewesen. Dann war Muskelkraft gefragt. Wendland hat noch ein Bild aus den 1980ern vor Augen, das die Mangelsituation fast wie im Comic beschreibt: Zwei Arbeiter tragen einen Holzbalken quer durch Potsdam. Dieser Anblick habe sich unauslöschlich in seine Erinnerungen eingebrannt, sagt Wendland.
Vollkommen marode
Unter denjenigen, die damals in Eigeninitiative gegen den Verfall im Holländischen Viertel ankämpften, ist auch Ralf Hildebrandt. Heute in der Stadt bekannt als Wirt der „Hohlen Birne“ in der Mittelstraße, hatte er 1988 das Haus, in dem er schon länger wohnte, von der Stadt Potsdam kaufen können. Für 4200 Mark, wie Hildebrandt erzählt. Marode war eigentlich alles in dem Gemäuer. Völlig heruntergekommen. Die Heizmöglichkeiten miserabel. „Im Sommer war es schön, im Winter war es scheiße“, sagt der heutige Kneipenwirt. Also fing er an, das Gebäude zu entkernen, nahm einen Kredit auf. Auch die Denkmalpflege gab etwas dazu. Erst 1994 war Hildebrandt mit der Sanierung des Hauses fertig. Dann machte er dort seine Kneipe auf.
Das Ende der DDR brachte Hausbesitzer Hildebrandt zwar gute Möglichkeiten, an vernünftiges Baumaterial zu kommen. Aber es drohte nun neues Ungemach. Hildebrandt war jetzt nicht mehr einfach nur Besitzer eines in Rekonstruktion befindlichen Hauses. Das Objekt war plötzlich eine wertvolle Immobilie. Und das Dumme dabei: Den Grund und Boden hatte Hildebrandt zu Ost-Zeiten nicht kaufen können. Es folgten zehn Jahre Rechtsstreit. „Da konnte ich ein paar Nächte nicht schlafen.“ Heute gehöre ihm das Anwesen nicht mehr, sagt der Kneipenwirt, er habe aber lebenslanges Wohnrecht. Irgendwie also doch noch ein Happy End. So wie für das gesamte Holländische Viertel. Wobei: Zu Ende ist hier noch lange nichts.
Die Ausstellung im Atrium der Wilhelmgalerie zur Sanierung des Holländischen Viertels nach 1990 ist bis 27. April zu sehen