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200.000 Schutzmasken aus China sind im Potsdamer Lager angekommen, dazu tausende OP-Tücher, Schutzbrillen und Schutzanzüge. 
© Ottmar Winter PNN

Coronakrise in Potsdam: Das geheime Lager der Masken

Die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg lieferte am Montag 200.000 Masken aus China an 3300 Vertragspraxen in Brandenburg aus. Wir haben das geheime Lager besucht. 

Potsdam - Holger Rostek, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB), steht am Montag in einer tristen, etwa 500 Quadratmeter großen Lagerhalle in der Potsdamer Umgebung. Der Ort soll geheim gehalten werden. Das Grundstück ist mit Sichtschutz abgeschirmt, Wachmänner beobachten das Geschehen. Neben Rostek liegen zu beiden Seiten Dutzende Kartons und Tüten mit chinesischen Schriftzeichen, die Ware ist über Shanghai und Leipzig in die Landeshauptstadt gekommen. 

Ihr Inhalt ist in Coronazeiten hochbegehrt und von großem Wert: Gerade sind 200.000 Schutzmasken aus China angekommen, dazu tausende OP-Tücher, Schutzbrillen und Schutzanzüge. Die Kassenärztlichen Vereinigung hat für die Lieferung 500.000 Euro bezahlt, auf dem Schwarzmarkt wird dieselbe Menge mit mehr als einer Million Euro gehandelt.

Holger Rostek, stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der KV Brandenburg.
Holger Rostek, stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der KV Brandenburg.
© Ottmar Winter PNN

Sicherheitsvorkehrungen wurden getroffen

80 Prozent der Ware kam auf Bestellung der KVBB nach Potsdam, 20 Prozent orderte das Bundesgesundheitsministerium. In Potsdam wurden deswegen große Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Schließlich haben Kriminelle allein in einer Kölner Klinik 50.000 Masken gestohlen und am Flughafen von Bangkok verschwanden 200.000 Masken, die für die Berliner Polizei bestimmt waren. „Natürlich haben wir hier Angst vor den Piraten“, sagt Rostek. „Deswegen soll die Ware nach der Anlieferung innerhalb von 24 Stunden ausgeliefert werden.“ Und tatsächlich: Eine halbe Stunde später sind die Masken am frühen Montagmorgen verladen. Transporter machen sich auf den Weg in die Mark und liefern sie an 4400 Ärzte und Psychotherapeuten in 3300 Vertragspraxen der Kassenärztlichen Vereinigung sowie die sogenannten Abklärungsstellen aus, die Corona-Tests vornehmen. Jeder Arzt erhält zehn höherwertige Masken und 50 OP-Schutzmasken.

Unter anderem Schutzbrillen, Schutzkittel und Schutzhandschuhe wurden geliefert.
Unter anderem Schutzbrillen, Schutzkittel und Schutzhandschuhe wurden geliefert.
© Ottmar Winter PNN

Es ist immer noch zu wenig

„Nicht viel“, sagt Rostek. „In den Hotspots wie Potsdam und Cottbus reicht das für zwei Tage“. Die Not ist groß: Mancherorts mussten Ärzte ihre Arbeit schon einstellen, weil sie sich vor den Viren nicht schützen konnten – und auch ihre Patienten nicht, falls sie sich selbst, ohne es zu wissen, infiziert haben sollten. 

Was die Kassenärztliche Vereinigung organisiert hat, ist erstaunlich. Vor vier Wochen – als klar wurde, dass die vielfachen Versprechungen der Politik, für eine ausreichende Versorgung mit Schutzmasken zu sorgen, nicht eingehalten wurden – ergriff sie Eigeninitiative. Auf verschlungenen Pfaden gaben die Brandenburger ihre Bestellung auf. „Wir lernten jemanden kennen, der jemanden kannte, der Verbindung zu Lieferketten hat. Und dann war da ein Kontaktmann in China“, sagt Rostek. Die Kassenärztliche Vereinigung warf vieles über Bord, was den Ruf der Deutschen begründet, besonders korrekt zu sein. Sie überwies, weil das Maskengeschäft über Vorkasse läuft, eine Million Euro aus eigenem Budget irgendwo nach China – es ging gut. Das Bundesgesundheitsministerium hat immerhin zugesagt, die Auslagen zu erstatten. Am Montag fehlen plötzlich Tüten, um die Hilfsmittel für Arztpraxen in kleine Portionen aufzuteilen – Mitarbeiter der KVBB eilen in einen Supermarkt, um Frühstücksbeutel zu besorgen.

Weil man Angst vor Piraterie hat, wird die Anlieferung innerhalb von 24 Stunden ausgeliefert.
Weil man Angst vor Piraterie hat, wird die Anlieferung innerhalb von 24 Stunden ausgeliefert.
© Ottmar Winter PNN

Plötzlich auf dem Weltmarkt unterwegs

Es ist nicht leicht für die KVBB-Frauen- und Männer, die Verwaltungsprofis sind, sich in dem Wirrwarr zurechtzufinden. „Wir sind als Angestellte der Kassenärztlichen Vereinigung plötzlich auf dem Weltmarkt unterwegs“, sagt Pressesprecher Christian Wery. Der Maskenmarkt allerdings folgt eigenen Gesetzen. Es gibt keine Sicherheit, keine verbindlichen Zusagen, Bangen und Hoffen sind die wesentlichen Vertragsbestandteile. Und auch den Potsdamern ist bekannt geworden, dass Menschen mit Koffern voller Bargeld auf Flughäfen unterwegs sind, um die heiße Ware vor dem Abflug nach Deutschland schnell noch in ein anderes Land umzulenken. Das werde, so Rostek, „osteuropäischen Staaten, aber auch Österreich nachgesagt“.

Lieferungen sind oft ominös: „Mitunter fährt ein Fahrer unser Lager gegen Mitternacht an, spricht kaum Deutsch und legt einen Lieferschein vor, der schwer zu interpretieren ist“, sagt Pressesprecher Wery. Zudem ist eine Qualitätskontrolle der Produkte nicht möglich. „Das würde Tage dauern, und die Zeit haben wir nicht“, sagt Vorstand Rostek. Da erreichen Pappkartons mit chinesischen Schriftzeichen das geheime Potsdamer Lager, groß prangen die Buchstaben „KN“ sowie die Ziffer „95“ darauf. „Diese Masken“, erläutert Rostek, „werden mit zwei bis vier Euro pro Stück gehandelt und sollen ähnliche Eigenschaften haben wie unsere hochwertigen FFP2“. Auf die Frage, wie es denn um die Qualität der chinesischen Produkte bestellt sei, blickt der KVBB-Vorstand sehr ernst: „Durchwachsen.“

Jeder Arzt in der Mark erhält zehn höherwertige Masken und 50 OP-Schutzmasken.
Jeder Arzt in der Mark erhält zehn höherwertige Masken und 50 OP-Schutzmasken.
© Ottmar Winter PNN

"Hier ist jetzt Wildwest"

Ärger, der auf ihn zukommen könnte, will sich Rostek stellen: „Es könnte Probleme mit dem Landesrechnungshof geben, und auch unsere Innenrevision könnte viel zu schreiben haben. Aber hier ist jetzt Wildwest. Und, nochmal, es geht darum, Leben zu schützen.“ Eine weitere halbe Million hochwertiger Masken ist bestellt.

Als die letzten Fahrzeuge des Deutschen Roten Kreuzes den Hof verlassen haben, meldet sich am Montag unangemeldet ein Lkw-Fahrer am Tor. Er hat Zehntausende Einmalhandschuhe im Frachtraum. „Es wusste niemand, dass noch einer kommt“, sagt der Pressesprecher. 

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