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Carsten Wist an seinem Arbeitsplatz im Literaturladen. „Jede Stadt bekommt den Buchladen, den sie verdient“, ist sein Lieblingsspruch.
© Andreas Klaer

Deutscher Buchhandlungspreis 2015 für Potsdam: Carsten Wist hat eine "besonders herausragende Buchhandlung"

Jede Stadt bekommt die Buchhandlung, die sie verdient - sagt jedenfalls Carsten Wist. Nach 25 Jahren in Potsdam ist sein Literaturladen nun mit dem Deutschen Buchhandlungspreis gewürdigt worden.

Der Potsdamer Literaturladen Wist gehört zu den besten acht Buchhandlungen Deutschlands.   Carsten Wist ist am Donnerstagabend beim Deutschen Buchhandlungspreis 2015 in der Kategorie „Besonders herausragende Buchhandlung“ für seinen Literaturladen in der Dortustraße ausgezeichnet worden.  Daneben sind vier weitere Buchhandlungen am Abend in der Nationalbibliothek in Frankfurt am Main ín dieser Kategorie geehrt worden. Mit dem Gütesiegel verbunden ist eine Prämie von 15000 Euro.

Mit dem Preis werden kleinere, inhabergeführte Buchhandlungen mit Sitz in Deutschland ausgezeichnet, die ein literarisches Sortiment oder ein kulturelles Veranstaltungsprogramm anbieten, die innovative Geschäftsmodelle verfolgen oder sich im Bereich der Lese- und Literaturförderung engagieren. Die Gütesiegel wurden in Frankfurt am Main in drei Kategorien vergeben. 25.000 Euro gab es für die drei besten der für den Deutschen Buchhandlungspreis nominierten Buchhandlungen. Für bis zu hundert hervorragende Buchhandlungen gibt es Prämien von je 7000 Euro

Wist kommt sich vor wie Sisyphos

Erst kürzlich hatte Wist anlässlich des 25-jährigen Bestehens seines Literaturladens ein großes Fest abgehalten und erinnerte an die Zeit, seit am 2. Juli 1990 seine 50 Quadratmeter kleine Buchhandlung eröffnet. Die Erinnerungen an 25 Jahre Literaturladen seien „verdammt schön, aber auch verdammt gefährlich“, wie Wist sagte. Aber wie diese unglaubliche Leidenschaft behalten, fragte er sich, „woher die Kraft und die Ideen nehmen, um dieses Niveau zu halten?“ Wie Sisyphos, dem die Kugel immer wieder runterrollt, komme er sich manchmal vor. Doch dann gebe es wieder ein neues Buch, sagte Wist, das einen elektrisiere und den Berg, vor dem man steht, anlächeln lasse.

Im Frühjahr startete er seine  eine „Hall of Fame“, eine Reihe von Autoren, deren Gesamtausgabe stets und immer im Laden vorrätig sein soll. Ob er dafür noch Leser und Käufer findet?  Wist selbst gab sich da pessimistisch und zitierte den britischen Autor Howard Jacobson, der mit „Im Zoo“ eine zynische Abrechnung mit dem Literaturbetrieb in Zeiten von Twitter, Amazon und den Ramschkisten bei Oxfam. Zeiten, in denen die Leute gern in 140 Zeichen lesen wollen, worum es in „Schuld und Sühne“ geht und nicht verstehen, dass ein Roman eben mehr ist als seine Zusammenfassung.

Das erste verkaufte Buch war ein Erotikroman

Ganz so schlimm scheint die Lage dann doch nicht zu sein, zumindest in Potsdam nicht. „Wir haben immer das gemacht, was uns selbst interessiert hat, damit sind wir bisher gut gefahren“, sagte Wist. Im Frühjahr. Am 2. Juli, dem Tag der Währungsunion, stand Wist mit einem Tapeziertisch auf der Straße, das erste Buch, das er verkaufte, war „Angst vorm Fliegen“, der Klassiker der weiblichen erotischen Literatur von Erica Jong. „Das war ein sensationeller Erfolg, das war sofort weg“, sagte Wist. Überhaupt gab es einen ziemlichen Run auf die Bücher, die man in der DDR nicht bekommen hatte, ob Günter Grass, Henry Miller oder Milan Kundera. Ein geistiger Hunger also nach dem so lange Verbotenem.

Wist hat sich der Literatur einerseits exzessiv verschrieben

Grundsätzlich aber ist das Interesse an guter Literatur eigentlich gleich geblieben, es gibt gute Jahrgänge und schlechtere, sagte Wist. Vielleicht läuft es bei Wist auch deshalb so gut, weil er sich der Literatur einerseits exzessiv verschrieben hat, weil er seine Arbeit ein bisschen auch mit der der Schriftsteller – und mit Sisyphos – vergleicht. Jeden Tag neu anfangen, mit neuem Elan. Und dann kam ihm natürlich die Wende zur Hilfe. „In der DDR hatte ich immer das Gefühl, ich kann eigentlich mehr, und diese Pfeifen lassen mich nicht.“ Zur zweiten Lesung kam Günter Schabowski, „der wollte erst gar nicht, weil er Attacken witterte, die Sicherheitslage nicht richtig beurteilen konnte, der Mob tobte ja noch“. Der fragte Wist damals: „Haben Sie denn in der DDR auch schon nen Buchladen gehabt?“ Wist lacht noch immer, wenn er davon erzählt. „Wie hätten wir das denn machen sollen? Neben den konfessionellen gab es quasi keine privaten Buchhandlungen.“

Andererseits hat er auch immer an seinem Konzept festgehalten, sich nicht von den Regeln des Marktes verramschen lassen. „Wir hatten eben nicht nur die Stars, sondern auch Wolfgang Hilbig, oder Herta Müller, lange bevor sie den Nobelpreis gewann. Das waren immer traurig-schöne Lesungen, da ging es immer um ganz existentielle Fragen, um Leben und Tod.“ Die beste Mannschaft aber, die haben die Amerikaner, sagt Wist. „Die verbinden am besten abenteuerlich gute Unterhaltung mit Niveau.“ Wenn es bei den Deutschen unterhaltsam wird, sei es auch schnell kitschig. (mit Grit Weirauch und Alexander Fröhlich)

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