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Carsten Wist an seinem Arbeitsplatz im Literaturladen. „Jede Stadt bekommt den Buchladen, den sie verdient“, ist sein Lieblingsspruch.
© Andreas Klaer

Potsdam: Buch oder Bratpfanne

Beim Amazon-Buchkauf liegt Potsdam bundesweit auf Platz 8 – geraten Buchhandlungen in der Stadt in Gefahr?

Vor wenigen Tagen veröffentlichte der Online-Händler Amazon eine Statistik zu seinen Pro-Kopf-Buchverkäufen in Deutschland. Im Ranking der Städte mit mehr als 150 000 Einwohnern schafft es Potsdam auf den achten Platz. In Mainz wird am meisten bestellt, Berlin belegt Rang 14. Wie viele Bestellungen aus Potsdam kommen, verrät Amazon allerdings nicht.

Macht das Internet dem Potsdamer Buchhandel Konkurrenz? Nein, glaubt Carsten Wist, Inhaber des bekannten Literaturladens in der Brandenburger Straße Ecke Dortustraße. Wist ist gerade von der Buchmesse zurück gekommen und traut ohnehin keiner Statistik. Vielleicht sei das Amazon-Ranking für Potsdam sogar eine gute Nachricht, sagt er: „Ist doch Wahnsinn, wie viel hier gelesen wird!“ Und schiebt, Geschäfte witternd, nach zwei Sekunden hinterher: „Es gibt also in Potsdam noch nicht genug Buchläden!“

Zählt man Stern-Center und Hauptbahnhof mit, existieren in der Stadt 15 Läden, in denen man ohne Amazon Druckerzeugnisse erwerben kann. „Geht außerdem viel schneller“, ist Wist überzeugt. Dank des Liefernetzes ist Bestelltes meist einen Tag später im Laden. Und überhaupt, wenn alles nur noch per Knopfdruck funktioniert, da bleibe die ganze herrliche Kommunikation auf der Strecke. Wists Literaturladen ist Treffpunkt einer ganzen Lesegemeinschaft. Manche Kunden werden mit Namen begrüßt, ins Gespräch kommt er mit allen.

„Theaterstücke von Elfriede Jelinek, wer kauft das heute noch?“, exklamiert er begeistert, während er den Preis für das Taschenbuch eintippt und versucht, seine kleine Tochter im Auge zu behalten, die um die Regale spaziert. Die Dame, die das Jelinek-Buch kauft, hat lange überlegt. Eigentlich sind ihr neue Bücher zu teuer. Sie kauft oft im Antiquariat. Wist sagt: Bücher sind nicht teuer, im Gegenteil. Die Preissteigerungsrate liege im unteren Bereich. „Für den Preis einer Bratpfanne kriegt man zwei ordentliche Hardcover, es ist immer eine Sache von Prioritäten!“

Die setzt er auch für sich. Sonst wäre er längst krachen gegangen mit seinem Laden, den er vor 22 Jahren mit Siegfried Ressel gründete. „Ich verkaufe keine Bücher, ich verkaufe Literatur“, betont er. Keine Ratgeber, kein „Moppel-Ich“ findet sich in der Auslage. Ihm geht es um Sprache. Er liest viel, täglich mindestens 100 Seiten, ein „Pegel-Leser“, aber deshalb wisse er auch, was drin steht in den Büchern. Das sei der kleine aber feine Unterschied. „Geh mal in so einen großen Laden, da wissen sie höchstens, in welchem Regal man suchen muss.“

Noch vor wenigen Monaten, zur Eröffnung der Buchhandlung „Viktoriagarten“ in Potsdam-West, hatte er die Kolleginnen scherzhaft gewarnt: So eine Unternehmung sei vermutlich die stilvollste Art, sich finanziell zu ruinieren. Er lacht. Man kann durchaus Erfolg haben im Buchgeschäft, man müsse nur seine Nische finden. Die Zeit der großen Läden sei vorbei. Gerade habe Hugendubel in der Tauentzienstraße in Berlin zu gemacht. Er lasse sich nicht Angst machen. „Wir können doch auf Krisen viel schneller reagieren.“

Auch deshalb ist die jährliche Fahrt zur Messe in Leipzig, die am Sonntag zu Ende geht, nicht nur eine Art Klassentreffen der Print-Szene sondern wichtiger Pflichttermin. Sich sehen lassen, Kontakte knüpfen zu Verlagen, zu Autoren. Was kommt in einem halben Jahr? Wenn Carsten Wist gut ist, gelingt es ihm zu erahnen, was in einem halben Jahr gut laufen wird, wer vielleicht einen Buchpreis bekommt. Dann kann er rechtzeitig angesagte Autoren für eine Lesung buchen, ohne sich finanziell zu ruinieren. Autorenlesungen kosten. Aber er braucht sie. Seine Kunden brauchen sie. In dem Stübchen, über eine halsbrecherische Wendeltreppe zu erreichen, haben schon viele namhafte Gäste gelesen. Er will den Schnittpunkt bieten von Autor, Käufer – und eigenem Interesse. Ein Glücksfall, wenn alles zusammenpasst.

Weil es passt, hat Wist auch keine Angst vor den E-Books. Laut eigenen Angaben verkauft Amazon wöchentlich eine Million dieser Kindle-Geräte. Wist ist das egal. Man könne die zwar bei ihm bestellen, im Laden wird er so was aber nie haben. „Ein E-Book ist nicht sexy!“

Am 21. März um 20 Uhr ist der Büchner-Preisträger 2011 bei Wist, Dortustraße 17, zu Gast: Friedrich Christian Delius liest aus „Als die Bücher noch geholfen haben. Biographische Skizzen“. Eintritt 5 Euro.

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