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Britta Ernst, Ministerin für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (Klaer)
© Andreas Klaer

Bildungsministerin Britta Ernst im PNN-Interview: „Brandenburgs Schulen indoktrinieren nicht“

Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) spricht im PNN-Interview über die Meldeplattform der AfD, den Zustand ihrer Partei, Politikunterricht und gute Kitas. 

Frau Ernst, bei der SPD gilt der Spruch „Schlimmer geht’s nimmer“ offenbar nicht mehr. Haben Sie eine Erklärung für das Bayernwahl-Desaster Ihrer Partei?
Das bedrückt uns natürlich. Wir werden ein paar Tage brauchen, um das Ergebnis zu analysieren. Sicher haben auch wir nicht alles richtiggemacht. Die Kontroversen innerhalb der Union haben jedoch die Debatten bundesweit über Monate dominiert. Wenn auf offener Bühne permanent solche Machtkämpfe ausgetragen werden, dann ist das für eine Regierung schlecht. Das hat sich auch auf uns, die SPD, ausgewirkt, sodass die Leistungen von Bundesministern wie Franziska Giffey, Hubertus Heil oder Heiko Maas nicht vom Wähler gesehen wurden.
Welche Konsequenzen sollte die SPD daraus ziehen, auch mit Blick auf die Landtagswahl 2019 in Brandenburg?
Wir müssen bei jedem Thema die Bürgerinnen und Bürger überzeugen und um Akzeptanz werben. Und das mehr denn je. Dies ist kein Selbstläufer. In Brandenburg steht zum Glück die Sachpolitik im Vordergrund. Die rot-rote Koalition arbeitet vertrauensvoll zusammen. Niemand kann hier sagen, dass Machtkämpfe die Politik dominieren.
Trotzdem droht auch der SPD in Brandenburg ein Einbruch. Die SPD liegt nur noch bei 23 Prozent, gleichauf mit der AfD. Sie haben in Schleswig-Holstein erlebt, wie die SPD abgewählt wurde. Sie verloren Ihr Ministeramt. Fürchten Sie ein Déjà-vu? 
Nein, für die Wahl in Brandenburg bin ich zuversichtlich. Wir sehen natürlich, dass die Parteienlandschaft in einem Maße in Bewegung ist, wie wir es bisher nicht kannten. Deshalb sind wir vorsichtiger mit Prognosen. Aber wir haben noch ein knappes Jahr bis zur Wahl. In der Zeit werden wir viel vor Ort präsent sein und für unsere Politik werben.
Sie wollen gern über 2019 hinaus Ministerin bleiben, kandidieren aber nicht für den Landtag. Warum eigentlich nicht?
Ich möchte mich auf das Ministeramt konzentrieren können und als Ministerin im ganzen Land unterwegs sein. Wenn man gleichzeitig einen Wahlkreis betreut, ist das schwieriger. Ich war vierzehn Jahre lang in Hamburg Parlamentarierin mit Leib und Seele. Das war eine lange Zeit. Nach meinem Ausscheiden aus der Bürgschaft 2011 war für mich klar: Ich werde nicht wieder für einen Landtag kandidieren. Das habe ich auch in Schleswig-Holstein nicht getan. Es hindert mich ja niemand daran, trotzdem Wahlkampf in Brandenburg zu machen. Und das werde ich auch tun, mit voller Kraft.
Die AfD macht mit Online-Meldeplattformen Furore. Eltern und Schüler sollen Lehrer melden, die sich gegenüber der AfD kritisch äußern. Wie sehen Sie das?
Das ist ein Angriff auf den Schulfrieden. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern fühlen sich viele dabei zu Recht an Stasi-Überprüfungsmethoden erinnert.
Werden Sie dagegen vorgehen?
Noch ist es ein Phantom. Wir werden, wenn es so eine Plattform für Brandenburg geben sollte, rechtlich prüfen, ob das erlaubt ist. Und wir werden, wenn nötig, Lehrkräfte unterstützen. 

Haben Sie Sorge, dass allein schon die Plattform-Ankündigung der AfD eine gewisse Wirkung zeigt, Lehrer in Debatten zur Flüchtlingspolitik vorsichtiger werden? 
Es wird diskutiert. Auch deswegen muss man den Pauschalvorwurf der AfD, Lehrer würden diffamieren, zurückweisen. Wir sagen den Lehrkräften ganz klar: Wir stehen hinter euch! Die Schülerinnen und Schüler haben ein Recht darauf, unterschiedliche Positionen kennenzulernen. Die Kontroversität der Gesellschaft muss sich in Schule wiederfinden. Mein Eindruck ist, dass Lehrer sehr verantwortungsvoll mit dieser Aufgabe umgehen. Brandenburgs Schulen indoktrinieren nicht. 
Zur Potsdamer Oberbürgermeisterwahl ist für die AfD ein Kandidat angetreten, der als Lehrer für Geografie und Geschichte in Berlin arbeitet. Ist das ein Problem für Sie? 
Eine Lehrkraft, die Mitglied der AfD ist, kann für das Amt kandidieren. Aber sie muss sich im Unterricht auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. Das ist die Grenze. Der gern von der AfD angelegte Maßstab gilt gleichermaßen für die AfD selbst. 
Die AfD ist im Osten besonders stark, inzwischen auch in Brandenburg. Was tun?
Das beschäftigt mich, und ich frage mich oft: Ist das Erstarken der AfD nun besonders ein Ost-Thema oder nicht … 
... das Ost-West-Gefälle beim Abschneiden der AfD ist auffällig. 
Im Osten Deutschlands haben die Menschen kürzere Erfahrungen mit Demokratie. Das Aushalten von Unterschiedlichkeit ist noch nicht so eingeübt. Ich vermute, dass das eine Rolle spielt. Aber ich merke auch, wie schnell Leute, denen irgendetwas nicht gefällt, heute sagen: Dann wähle ich eben AfD.
Emotionale Absolutheit, rigorose Ungeduld.
Mein Gott, wie lange haben wir im Westen gebraucht, etwas durchzusetzen. Gleiche Bezahlung für Frauen, Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe? Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mich von meiner Partei abzuwenden. Das Ringen gehört dazu. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich im demokratischen Gemeinwesen zu betätigen. Sie werden viel zu oft nicht genutzt. Andererseits ist die Welt unruhiger geworden, nachdem der Kalte Krieg lange auch vermeintliche Stabilität garantierte. Viele dachten, danach wird alles besser. Nun machen wir die Erfahrung, dass das kein Automatismus ist. Und auch bei der Perspektive der eigenen sozialen Sicherheit und der der Kinder ist etwas ins Rutschen geraten. Das verunsichert. Ich bin überzeugt: Wir können das Sozialstaatsversprechen nach wie vor geben. Und wir sollten es auch tun.


Bei der Brandenburger Jugendstudie kam heraus, dass die 12- bis 14-Jährigen wieder anfälliger sind für Rechtsextremismus. Ein Alarmsignal?
Wir nehmen das ernst. Ich sage aber auch: Die Schule ist keine Korrekturinstanz für alles, was in der Gesellschaft schief läuft. Wenn Elternhäuser bestimmte politische Ansichten haben, geht das an den Kindern eben auch nicht spurlos vorüber. 
Aber Schule sollte Korrekturinstanz sein!
Natürlich hat Schule einen Bildungsauftrag für Demokratie und kommt dem auch nach. Manchmal sind die Erwartungen an Schulen aber überhöht. Die Polarisierung, die die Gesellschaft gerade erlebt, hat auch Auswirkungen auf die Zwölf- bis 14-Jährigen. 
Politische Bildung ist ein Randfach. Tut mehr Politikunterricht not? 
Darüber denke ich nach und ich kann mir gut vorstellen, den Politikunterricht auszuweiten. Es geht aber nicht nur um klassischen Politikunterricht, sondern zum Beispiel auch um Podiumsdiskussionen und um den Besuch außerschulischer Lernorte. 
Bemerken Sie Unterschiede zwischen Brandenburg und Schleswig-Holstein in der politischen Kultur? 
Den Wechsel von Schleswig-Holstein nach Brandenburg empfand ich als nicht so gravierend, weil beides Flächenländer sind. Da ähnelt sich viel. Aber in Brandenburg wird mehr über Ost-West-Verhältnisse und die Folgen der Wiedervereinigung diskutiert. Das ist schon dominant. In Schleswig-Holstein hat das in der Tagespolitik keine Rolle gespielt. 
Wie gehen Sie mit Ihrer West-Vita damit um, verhalten Sie sich anders?
Ich stelle mich darauf ein. Ich schaue schon bei Leuten, wo sie herkommen. Das habe ich in Schleswig-Holstein nicht getan, in Berlin auch nicht. Ich überlege bei manchen Themen, ob es eine West- und eine Ost-Sicht gibt. Die gibt es oft. Die Lehrkräfte beispielsweise, die in der DDR ausgebildet wurden, haben eben einen anderen Hintergrund. Das versuche ich zu berücksichtigen. Bei manchen Themen gehe ich vorsichtiger heran, da kann ich nicht mit westdeutscher Brille Politik machen. Etwa beim gemeinsamen Lernen, der Inklusion. Da haben die Bundesländer ein sehr unterschiedliches Tempo eingeschlagen. Schleswig-Holstein etwa ist den Weg zum gemeinsamen Unterricht sehr früh konsequent gegangen. Brandenburg hat sich später auf den Weg gemacht. Das muss man berücksichtigen. 
Sie treten deshalb bei der Inklusion, vor ein paar Jahren noch das Bildungsthema in Brandenburg, auf die Bremse? 
Nein. Das Tempo entscheiden die Schulen. Sie können sich an unserem Programm beteiligen. Das halte ich für den richtigen Weg. Inklusion kann man nicht von oben überstülpen. Das klappt nur, wenn auch Akzeptanz da ist. Gründlichkeit geht in dem Fall vor Schnelligkeit. 
Wo steht Brandenburg bei der Inklusion? 
Ich bin insgesamt sehr zufrieden mit der Entwicklung. Aber wir haben, ähnlich wie in Deutschland generell, beim Anteil von Kindern mit sonderpädagogischen Förderbedarf sehr große Unterschiede im Land und zwischen den Kreisen. Mal sind es fünf, mal zehn Prozent. Das schaue ich mir vor Ort an und suche das Gespräch. Es geht aber nicht um eine Normierung. Im Mittelpunkt stehen die Kinder und Eltern. Wichtig ist, dass die Schülerinnen und Schüler Schulabschlüsse erreichen, das muss funktionieren. 
Was ist Ihre Kernagenda bis zur Wahl? 
Qualität, Qualität, Qualität! Das steht über allem im Bildungsbereich. Das Lernen mit digitalen Medien, auch im außerschulischen Bereich, ist dabei eine große Herausforderung. Und auch weitere Qualitätsverbesserungen in der Kita stehen oben auf der Agenda.
Qualität ist das Stichwort. Bei der Digitalisierung hat nach jüngsten Zahlen aus Ihrem Haus nur jede sechste Schule schnelles Internet. Wer hat da etwas verschlafen?
Ganz Deutschland hat da zu lange geschlafen. Ich erinnere daran, dass die damalige CDU-Bundesbildungsministerin Johanna Wanka 2016 ein Fünf-Milliarden-Paket für Digitalisierung angekündigt hat, das nicht kam. Das führte zu Stillstand. Die Länder haben mit eigenen Programmen abgewartet, weil sie nicht wussten, wie ihre Kofinanzierung aussehen soll. Und die Schulträger haben gedacht: Warum soll ich jetzt Geld ausgeben, wenn sowieso bald ein Bundesprogramm kommt? Mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek sind wir uns nun einig, dass der Digitalpakt schnell umgesetzt werden muss. Da sind wir auf einem guten Weg. Und Brandenburg gibt in diesem Jahr über unser Programm „Medienfit“ 2,5 Millionen Euro für die weiterführenden Schulen. Dennoch werden wir leider noch ein paar Jahre mit der unterschiedlichen technischen Ausstattung an den Schulen leben müssen. 
Mit der Handschrift fängt es an: Können Sie sich noch erinnern, wie Sie Lesen und Schreiben gelernt haben?
Ja, mit einer Fibel. 
Ihre Ankündigung, die Fibel-Methode zur Prämisse zu erklären, hat viel Resonanz hervorgerufen. Positive von Eltern, die die Methode „Lesen durch Schreiben“ ablehnen. Aber es gab auch Kritik. Muss man das verordnen? Wissen die Lehrer nicht selbst, wie sie am besten unterrichten? 
Doch, natürlich. Aber wir müssen uns klar machen, dass die Ergebnisse der Schulen des Landes Brandenburg beim IQB-Bildungstrend in Lesen und Orthografie nicht gut sind. 
Das ist ein „Bildungs-TÜV“, bei dem ein Institut untersucht, ob Schüler die Kompetenzen entsprechend der deutschlandweiten KMK-Standards erlernen. 
Deshalb geht es uns auch nicht allein um die Lernmethode. Wir haben ein Fünf-Punkte-Programm aufgelegt, um die Lesekompetenz der Brandenburger Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Wir brauchen mehr Lesezeit. Die Rechtschreibung muss stärker überprüft werden, und zwar nicht nur im Fach Deutsch. Das alles ist aus meiner Sicht sogar wichtiger als der Methodenstreit. 
Warum dann Ihr Verbot? 
Weil die Methode „Lesen durch Schreiben“ gerade lernschwächere Kinder in ihrer Entwicklung eher behindert. Und eine Methode, die bei den Eltern für Verunsicherung sorgt, die sie zweifeln lässt, ob ihre Kinder damit wirklich richtig Schreiben lernen, weckt kein Vertrauen in das Bildungssystem. Aber gerade das ist mir wichtig. 
Spielte auch eine Rolle, dass viele Seiteneinsteiger unterrichten, die fachlich nicht in der Lage sind, eine Methode auszuwählen?
Ich weiß, dass die Lehrerinnen und Lehrer ihren Job gut machen. Aber nochmal: In Brandenburg haben 23,5 Prozent der Viertklässler schlechte Orthografieleistungen. Da müssen sich alle fragen: Wie können wir das verbessern? Das ist kein Misstrauen gegenüber den Lehrkräften, sondern das Plädoyer für eine kollektive Kraftanstrengung. 
Müssen Eltern befürchten, dass die Leistungen wieder schlechter werden, weil immer mehr Seiteneinsteiger unterrichten? 
Das ist überall eine große Sorge. Aber wir tun alles, damit der Einsatz von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern nicht zum Leistungsabfall führt, zum Beispiel durch Qualifizierung. Deshalb ist es wichtig, dass Schulen ein internes Qualitätsmanagement haben und nicht nach dem Motto herangehen: Es wird schon werden. 
In Brandenburg und in Berlin hat man sich daran gewöhnt, bei Ländervergleichen sowieso schlecht abzuschneiden. Ergebnisse werden eher abgetan. Warum sind Sie eine klare Befürworterin solcher Erhebungen? 
Ich bin für Bildungspolitik auf empirischer Grundlage. Ich bin geprägt durch Hamburg, einem Bundesland, das bei den ersten Pisa-Tests damals sehr, sehr schlecht abgeschnitten hat. Ich gehörte zu denen, die sich damit nie zufrieden gegeben haben. Und Hamburg hat erfolgreich eine große Aufholjagd hingelegt, es hat vorgemacht, dass es geht. 
Und wie? 
Dort wurden jene Schulen besser ausgestattet, in denen der Bedarf nach Indikatoren besonders groß war. Also maßgeschneidert. Das ist der Weg, den wir auch in Brandenburg gehen wollen.
Die Grundlagen für schulische Leistung werden schon in der Kita gelegt. Wie wollen Sie dort die Qualität verbessern?
Mein Haus ist vom Landtag beauftragt, sich mit der Qualität in den Kitas zu befassen. Dafür brauchen wir einen langen Atem. Wichtig ist mir, Qualität nicht nur am Betreuungsschlüssel fest zu machen. Ich habe inzwischen eine ganze Reihe von Kitas besucht und schon große Unterschiede gesehen, welche Rolle Bildung, Sprache und Qualität spielen. Darüber müssen wir reden. 
Die Träger drängen auf mehr Geld für längere Betreuungszeiten. Da wollten Sie den Bedarf ermitteln. Wie weit sind Sie?
Wie gesagt: Qualität hat nicht nur mit dem Betreuungsschlüssel zu tun. Die Ergebnisse der Evaluierung werden gerade ausgewertet, und die Koalitionsfraktionen werden im Rahmen der Beratungen zum Doppelhaushalt einen Vorschlag unterbreiten. 
Das heißt, der Bedarf für längere Betreuungszeiten ist da?
Ja, aber regional sehr unterschiedlich. Das haben wir auch so erwartet. Deshalb wird es zur Finanzierung einer dritten Betreuungsstufe einen Vorschlag geben, der die diese regionalen Unterschiede berücksichtigt. Aber da will ich den Fraktionen nicht vorgreifen. 
Seit August zahlen Eltern für das letzte Kitajahr keine Beiträge mehr. Wird es vor der Landtagswahl einen weiteren Schritt für mehr Beitragsfreiheit geben?
Das sehe ich nicht.
Wie lange müssen Brandenburger Eltern noch warten, bis die Kitas wie im Nachbarland Berlin komplett beitragsfrei sind?
Mein Wunsch wäre, dass bis zum Ende der nächsten Wahlperiode in Brandenburg die Kitas komplett beitragsfrei sind. 

Das Interview führten Marion Kaufmann, Thorsten Metzner und Sabine Schicketanz 

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