Interview mit dem Lausitzbeauftragten Klaus Freytag: „Wir gestalten, anstatt gestaltet zu werden“
Klaus Freytag soll den Strukturwandel in Brandenburgs Lausitz organisieren. Über Ideen und Schwierigkeiten bei der Transformation der Braunkohleregion
Herr Freytag, 20,4 Milliarden Euro wird die Brandenburger und Sächsische Lausitz an Mitteln erhalten, die im Strukturstärkungsgesetz festgelegt sind. Wie hoch ist die jährliche Summe, mit der Ihre Geschäftsstelle für den Strukturwandel in der brandenburgischen Lausitz kalkulieren kann?
Für Brandenburg sind davon 10,3 Milliarden Euro vorgesehen, die in zwei Kategorien aufgeteilt sind: Über den größeren Teil verfügt der Bund. Das sind rund 6,7 Milliarden Euro. Er investiert in Projekte, die in seiner Zuständigkeit liegen, zum Beispiel in Schiene und Straße. Über den anderen Teil – rund 3,6 Milliarden Euro - bestimmt das Land. Diese Mittel sind für regionale und kommunale Projekte sowie Landesprojekte vorgesehen – also Projekte, die die lokale Infrastruktur, Ausbildung und Forschung, aber auch den Tourismus, voranbringen. Dafür können wir in der brandenburgischen Lausitz mit gut 200 Millionen Euro jährlich rechnen.
Es gibt unzählige Initiativen, die sich in der Lausitz engagieren. Wer hat bei der Gestaltung des Strukturwandels den Hut auf?
Wir arbeiten als Geschäftsstelle für den Strukturwandel der Staatskanzlei eng mit der Wirtschaftsregion Lausitz zusammen, die von den Landkreisen und der kreisfreien Stadt Cottbus getragen wird. Dort sollen Projekte diskutiert und priorisiert werden. Ein Beispiel: Mit Strukturmitteln können auch Projekte der öffentlichen Daseinsvorsorge finanziert werden, also Schulen oder Kitas. Ein Vorschlag könnte sein, die Kita oder Grundschule im Ort auszubauen, weil durch Strukturmittel eine neue Forschungseinrichtung in der Nähe entsteht. Die Kinder der Mitarbeiter brauchen eine Betreuung. So werden verschiedene Projekte miteinander verzahnt. Eine unserer Aufgaben als Geschäftsstelle ist zu prüfen, ob überhaupt Geld für die vorgeschlagenen Projekte vorhanden ist. Jährlich gut 200 Millionen Euro hören sich im ersten Moment nach einer großen Summe an. Doch wenn die Strukturentwicklung richtig Fahrt aufnimmt, ist das Geld schnell verplant.
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Bezogen auf die Landesprojekte: Sind die gut 200 Millionen Euro für 2020 denn schon in die Lausitz überwiesen worden?
Wir können nicht einfach mit der Kreditkarte zum Bankschalter gehen und das Geld abheben. Vorher gibt es noch eine Menge zu tun. Mit den Maßnahmen können wir erst jetzt beginnen, nachdem das Strukturstärkungsgesetz Anfang Juli final verabschiedet wurde: Aus den Rahmenbedingungen des Gesetzes entwickeln wir jetzt ein Programm, das wir mit den Landesministerien abstimmen.
"Viel Arbeit, bevor wir richtig loslegen können"
Dieses Programm braucht der Bund als Nachweis, dass das Geld wie vorgeschrieben im Sinne der Strukturentwicklung ausgegeben wird. Eine Landesförderrichtlinie ist notwendig, damit die Kommunen wissen, nach welchen Regularien Mittel eingesetzt werden können. Das wollen wir natürlich möglichst unbürokratisch aufsetzen. Es liegt also noch viel Arbeit vor uns, bevor wir richtig loslegen können.
Vielen Lausitzer Kommunen war es wichtig, dass ein Staatsvertrag zwischen Bund und Landesregierungen vereinbart wird, um die Strukturhilfen verbindlich zu sichern. Einen solchen gibt es nun nicht. Sind die Strukturhilfen über 18 Jahre sicher, wenngleich kommende Bundesregierungen das Strukturstärkungsgesetz ja auch ändern können?
Ich verstehe das Misstrauen gegenüber einem Prozess nicht, der klar im Strukturstärkungsgesetz sowie im Kohleausstiegsgesetz geregelt ist. Hier sind die 40 Milliarden Euro Strukturhilfen verbindlich festgelegt und damit langfristig gesichert. Der Kohleausstieg ist gesellschaftlicher Konsens in allen Parteien bis auf die AfD. Der damit verbundene Verlust der Wertschöpfung über die Braunkohleindustrie ist die Begründung für die Strukturhilfen.
Werden denn die für die Lausitz geplanten Strukturhilfen nur an Standorten ausgegeben, an denen direkt Braunkohlewirtschaft angesiedelt ist – also etwa in einem Ort, wo direkt das Kraftwerk nebenan steht?
Das Strukturstärkungsgesetz legt die Landkreise und kreisfreien Städte fest, in denen das Geld investiert werden kann. Strukturhilfen für die brandenburgische Lausitz können also nicht in Teltow-Fläming oder in Potsdam ausgeben werden. Vorrang haben natürlich die direkt betroffenen Regionen.
Auch in Königs Wusterhausen kann das Geld verbaut werden
Andererseits haben wir uns als Landesregierung stets gegen das Konzept der Kernreviere gewehrt. Das hätte bedeutet, dass die Strukturgelder nur an jenen Orten ausgegeben werden dürfen, die unmittelbar einen Bezug zur wegfallenden Braunkohlewirtschaft haben. Mit der flexibleren Handhabung können wir jetzt auch entferntere Infrastrukturen wie den Bahnhof Königs Wusterhausen ausbauen und damit die Verbindung aus Berlin und dem Umland in die Lausitz verbessern. Davon profitieren selbstverständlich auch Städte wie Spremberg als typischer Kraftwerksstandort in der Lausitz.
Erhält der Energiekonzern Leag als großer Arbeitgeber in der Lausitz Mittel aus dem Strukturwandeltopf, um etwa in Wasserstofftechnologie zu investieren?
Das ist ausgeschlossen, denn Unternehmen können mit den Strukturhilfen nicht direkt gefördert werden. Möglich aber ist, dass mit diesen Finanzen in entsprechende Infrastruktur investiert wird, um etwa einen Kraftwerkstandort der Leag fit für neue Industrien zu machen. Natürlich wollen wir die Leag dabei unterstützen, neue Geschäftsfelder zu entwickeln. Im Konzern arbeiten hervorragend ausgebildete Fachkräfte, die wir brauchen, denn wer fossile Energie kann, der kann auch grüne Energie. Auch die Ausbildungsstätten des Unternehmens sind top und auf dem neuesten Stand. Da bietet es sich an, auch junge Menschen ausbilden zu lassen, die nicht direkt bei der Leag arbeiten werden, sondern in einem anderen Betrieb.
8000 Arbeitsplätze hängen in der Lausitz noch direkt an der Braunkohle. Ist der Strukturwandel gelungen, wenn diese eins zu eins neu geschaffen werden können?
Ich würde den Erfolg des Strukturwandels nicht zu sehr an Zahlen festmachen, das ist nur ein Indikator. Auch Faktoren wie die Nachhaltigkeit der Ansiedlung und die Schaffung von gut bezahlten Arbeitsplätzen spielen eine wesentliche Rolle.
"Der Ausbau des DB Bahnwerkes in Cottbus ist ein Sechser im Lotto"
Wie einen Sechser im Lotto empfinden wir den Ausbau des DB Bahnwerkes hier in Cottbus. Damit werden über 1000 gut bezahlte Industriearbeitsplätze in einer zukunftsträchtigen Infrastruktur geschaffen. Das ist quasi ein direktes Jobangebot für den Elektriker, der jetzt noch im Kraftwerk bei der Leag arbeitet. Und hervorragend ist natürlich auch, dass es in Cottbus künftig eine Medizinerausbildung geben wird. Das strahlt auf die gesamte Region aus.
Sie haben als langjähriger Präsident der Landesbergbehörde umstrittene Tagebauvorhaben genehmigt und neue Tagebaue vorbereitet. Können Sie mit dieser Biographie nun als Lausitzbeauftragter den Wandel von der Kohle glaubhaft verkörpern?
Ja, ganz eindeutig. Ich halte diesen Weg für richtig und bin ständig in der Region unterwegs, um deutlich zu machen: Das Glas ist nicht halbleer, sondern halbvoll. Für mich persönlich nehme ich in Anspruch, dass ich aufgrund meiner Geschichte und der Kenntnis des Themas Bergbau eine gewisse Authentizität mitbringe und die Region gut kenne. Hier lebe ich. Hier will ich etwas voranbringen. Ich stehe voll hinter der Chance, die wir mit dem Strukturstärkungsgesetz und den Finanzmitteln bekommen. Diese Chance hat es 1990, beim Strukturbruch nach der Wende, nie gegeben. Jetzt können die Menschen gestalten, damals wurden wir von außen gestaltet. Das ist eine super Sache. Ich merke so langsam, wie die Welt auf die Lausitz schaut und sieht, dass aus einer Kohleregion wirklich etwas Neues entstehen kann. Damit können wir auch Vorbild für andere Regionen in Europa und der Welt sein, die sich von einer Branche verabschieden müssen. Wir wollen hier Klimaschutz und Wirtschaftswachstum zusammenbringen.
- Das Interview führte Nora Marie Zaremba
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