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Vollere Reihen. Lange war am Personal gespart worden, erst mit dem jetzigen SPD-Innenminister Karl-Heinz Schröter habe sich die Lage nach Einschätzung der Gewerkschaft gebessert. Trotzdem fühlen sich viele Beamte von der AfD angesprochen.
© Christoph Soeder/dpa

Serie zur Landtagswahl: Sicherheit: „Wir gaukeln dem Bürger was vor“

Polizeigewerkschaftler Andreas Schuster über Brandenburgs Sicherheit, Frust bei Beamten und die AfD.

Für unsere Wahlserie haben wir eine Reihe von Polizisten für ein Interview angefragt, das Präsidium hat abgewinkt. Bei Ihnen, der Gewerkschaft der Polizei, sind Interviewpartner abgesprungen. Wurde es allen so kurz vor der Landtagswahl zu heiß?
Wir haben Kollegen im aktiven Dienst angesprochen. Aber sie haben deutlich gemacht, sie würden einen Höllenärger bekommen. Im Landtagswahlkampf sind alle gemahnt worden, sich an die Neutralitätspflicht zu halten. Selbst Kollegen, die sich trauen würden, sagen: Bis zur Landtagswahl machen wir nichts.

Was treibt die Polizisten um?
Dass wir zu wenig Personal haben. Sie kriegen mit Ach und Krach die Schichten voll und die Streifenwagen auf die Straße. 200 Stellen im Wach- und Wechseldienst sind nicht besetzt, bei der Kriminalpolizei mehr als 100 Stellen.

Und wie wirkt sich das aus?
Vor Jahren gab es die Festlegung: Brandenburg braucht ständig 180 Streifenwagen auf der Straße, um in einer vernünftigen Zeit vor Ort zu sein. Das wurde auf 130 runtergefahren. Heute schaffen wir gerade so 100 Streifenwagen. Bei schweren Fällen müssen wir gleich hin. Es gibt Bürger, die warten ewig. Dann entlädt sich der Frust. Im Speckgürtel sind wir schnell vor Ort. In Richtung Uckermark kann es dauern, da darf nichts dazwischenkommen. Präventivstreifen, die den Landkreis abfahren, gibt es nur selten.

Wie ist es bei der Kriminalpolizei?
Bei der Kriminalpolizei war angedacht, dass ein Beamter 180 Fälle pro Jahr übernimmt. Ein Kollege sagte kürzlich, er kann die Fälle nicht so bearbeiten, wie er es sich wünscht. Er arbeitet nur ab. Anstatt wirklich zu ermitteln, Zeugen zu befragen, Spuren aufzunehmen, wird das Notwendigste gemacht. Bei schweren Fällen kommt das volle Programm, beim Rest gaukeln wir dem Bürger vor, was wir nicht leisten können. Der Bürger bekommt irgendwann die Einstellung des Verfahrens.

Was macht das mit Polizisten?
Sie wollen mehr tun, können aber nicht. Es kommt eine Stimmung auf, die ich früher nicht kannte: Wenn es politisch nicht gewollt ist, machen wir es auch nicht. Ein großes Problem ist die zunehmende Gewalt gegen die Polizisten.

Im ruhigen Brandenburg?
Überall. Kollegen werden zu einem Ehestreit gerufen, wollen schlichten, plötzlich geht es gegen die Beamten. Da wird geschubst, getreten, geschlagen. Selbst bei Unfallaufnahmen rasten die Leute aus. Die haben offenbar so viele Probleme, dass irgendwann das Ventil platzt. Das erfahren Kollegen täglich, da gibt es keine Achtung mehr. Selbst im hintersten Dorf, nur nicht so krass. Da wird als Drohung die Axt oder die Mistgabel geholt.

Früher war Brandenburg Spitze beim Autodiebstahl, dann bei Wohnungseinbrüchen. Wie hat sich die Kriminalität entwickelt?
Die Zahl der Straftaten ist zurückgegangen. Die Wohnungseinbrüche haben wir in den Griff bekommen, mit hohem Aufwand. Die Rumänen- und Bulgaren-Banden tauchen nicht mehr so stark auf. Fahrzeugdiebstahl findet mehr in Berlin statt. Bleibt die Grenzkriminalität. Es ist für einen Straftäter günstig, schnell einzubrechen, Autos, Agrartechnik, Spezialgeräte von Baustellen zu stehlen – und ruckzuck über die Grenze nach Polen zu bringen.

Wird ausreichend kontrolliert?
Wenn wir denn kontrollieren, finden wir was. Fahrzeugteile, Werkzeuge, Kunstgegenstände, die gestohlen wurden in anderen Bundesländern oder sogar in Frankreich. Auch Flüchtlinge, also illegal Einreisende. Aber wenn kaum Autos und Lkw kontrolliert werden, können wir nichts feststellen. Damit registrieren wir weniger Straftaten. Man muss aufpassen mit der Statistik. Bei Wahlveranstaltungen in der Grenzregion braucht man den Bürgern nicht damit kommen, der Autodiebstahl sei um zehn Prozent zurückgegangen. Dann steht einer auf und sagt: Bei mir wurde das und das gestohlen, beim Nachbarn das. Da gibt es großen Beifall.

Sie erwähnten die Migration. Warum?
Bei mehr Kontrollen würden wir häufiger Fälle von illegaler Einreise feststellen. Viele Flüchtlinge kommen aus Russland oder Tschetschenien. Wir haben durchaus ein Migrantenproblem. Dazu gehören zunehmend die jungen Männer, die seit 2015 gekommen sind, viele zeigen sich dominant und aggressiv. Das sehen wir an den Zahlen zur Gewaltkriminalität, da ist der Anteil junger Migranten bis 30 Jahre deutlich höher als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. Das polarisiert natürlich, nicht nur die rechte Szene, und schaukelt sich hoch.

Und wie sieht die Lösung aus?
Wir wissen nicht, wie wir gegensteuern können. Denen fehlen die Familien. Sie denken, ihnen gehört die Welt. Wir merken es in den großen Asylzentren, also Eisenhüttenstadt, Zossen, Doberlug-Kirchhain, Neuruppin, die Hotspots, wo ständig Einsätze gefahren werden. Man muss ihnen helfen, wirklich anzukommen. Ich habe das Gefühl, viele wollen es nicht, weil es ihnen gut geht.

Sehen Polizisten das Thema anders?
Ein heikles Thema, die Flüchtlingskrise ist neben Stellenabbau und Finanzen das größte Problem. Viele Polizisten, die für Recht und Ordnung sorgen müssen, finden, dass damals gegen geltendes Recht verstoßen wurde, weil Menschen unkontrolliert gekommen sind. Weil wir nicht wissen, ob die Angaben stimmen, weil sie keine Pässe oder gleich mehrere haben. Das macht Kollegen wütend, weil sie die Folgen sehen. Für Polizisten hätte es anders laufen müssen, auch mit einer Million Menschen, es ist nicht die Zahl, aber bitte jeder mit Pass, mit Biografie, die nachvollziehbar ist, jeder wird ordnungsgemäß registriert.

Auch Islamismus spielt eine Rolle, es gibt ein paar Gefährder. Ist das Land gerüstet?
Wir sind Rückzugs- und Durchreiseland. Die Gefährder haben wir nicht im Griff. Das können wir gar nicht. Pro Gefährder brauchen wir 30 Beamte, um rund um die Uhr zu observieren. Deshalb wird eine Prioritätenliste aufgestellt. Wenn aber Nummer sieben, der gerade nicht Priorität hat, einen Anschlag verübt, kommt die Frage: Warum wurde nichts getan?

In Cottbus gab es im Frühjahr eine Razzia gegen Rechtsextreme. Was ist da los?
Cottbus ist der absolute Schwerpunkt. Es gibt überall Rechte, die nehmen auch zu, aber so gut organisiert wie in Cottbus ist die Szene nirgends. Hinzu kommt der Verein „Zukunft Heimat“ mit seinen Demonstrationen gegen die Asylpolitik.

Nicht wenige Polizisten meinen, die Rechten haben recht. Wie gehen Sie damit um?
Wir reden mit den Kollegen, wollen wissen, warum sie bei der AfD mitmachen. Eins ist verbreitet: Kollegen wählen die SPD, CDU und Linke nicht mehr, dann schielen sie zur Alternative. Wir spiegeln da die Gesellschaft wider, aber nicht über dem Durchschnitt.

Was ist die Ursache?
Sie sind enttäuscht wegen gebrochener Versprechen. Der große Bruch liegt schon ein Jahrzehnt zurück, als mit einer Polizeireform massiv Stellen abgebaut wurden, Weihnachtsgeld abgeschafft, die Besoldung vom Bundestrend entkoppelt wurde. Obwohl wir 2017 nachgesteuert haben mit einem großen Paket, kommt das nicht mehr an. Die Kollegen sagen über die Politik: Die haben uns beschissen. Deshalb wählen auch Polizisten die AfD. Das hätte ich nie gedacht, dass es so nachhängt. Viele Kollegen sagen, die SPD wird weg sein und damit leider Innenminister Karl-Heinz Schröter.

Die Polizei weint ihm Tränen nach?
Er ist in der Polizei beliebt, weil es endlich wieder ein richtiger Polizei-Innenminister ist, weil er aus Überzeugung etwas für die Polizei machen will. Den Personalzuwachs verdanken wir ihm, das hat vor ihm kein anderer gemacht.

Gibt die GdP eine Wahlempfehlung ab?
Nein, unsere Kolleginnen und Kollegen sind mündige Bürger.

Wenn die AfD den Innenminister stellte, was wäre dann?
Das ist die Frage. Wenn man Kollegen fragt, wird es dünn. Mir hat noch kein Kollege erklärt, was konkret besser für die Polizei wäre. Ich als Gewerkschafter will die AfD aus vielen Gründen nicht in der Regierung.

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