Woidke startet Bürgerdialog in Brandenburg: Wenn der Wutbürger zu Hause bleibt
Der SPD in Brandenburg droht 2019 die Abwahl. Nun startet Parteichef Woidke einen „Bürgerdialog“.
Birkenwerder - Der Nächste bitte! Moderatorin Helga Lensch reicht einem Mittfünfziger das Mikrofon. Er sei selbstständig, Freelancer, auf das Internet angewiesen, könne aber hier in Birkenwerder nur mit lächerlich geringen Übertragungsraten surfen, sagt der. „Herr Woidke, nur drei Kilometer außerhalb der deutschen Hauptstadt ist absolute IT-Pampa.“ Brandenburgs Ministerpräsident versucht da gar nicht erst zu widersprechen. Es werde gerade ein neues 200-Millionen-Euro-Programm für den Breitbandausbau aufgelegt, antwortet Dietmar Woidke (SPD). „Das wird auch im Berliner Umland Auswirkungen haben.“ Und wann hier vor Ort? Oberhavel-Landrat Ludger Westkamp (SPD) ergänzt: „Zielstellung 2021.“
Doktor Woidke soll helfen
Noch drei Jahre, eine halbe Ewigkeit. Trotzdem kein Widerspruch, kein Zwischenruf, kein Murren in der Aula der Regine-Hildebrandt-Gesamtschule in Birkenwerder (Oberhavel), als am Dienstagabend 150 Leute zum neuen „Bürgerdialog“ von Brandenburgs Ministerpräsident kamen. Unter dem Titel „Zur Sache, Brandenburg“ soll der in allen vierzehn Landkreisen und den vier großen Städten stattfinden, angelegt als eine öffentliche Sprechstunde: Doktor Woidke hilft, ohne Vorträge und Sonntagsreden.
„Alles kann gefragt werden. Ich freue mich darauf“, hatte er eingangs gesagt. Die Premiere für die Reihe, mit der Woidke ein Jahr vor der Landtagswahl auf den dramatischen Absturz seiner Partei – die SPD bei 23 Prozent, die AfD gleichauf – reagieren will, war mit Spannung erwartet worden. Von Woidke selbst, in der Staatskanzlei. Wie hitzig wird es? Kommen AfD und rechte Störer?
Typische Brandenburger Probleme
Und nun wird Problem für Problem abgearbeitet, jedes typisch für Brandenburg, vor allem heiße Eisen in der Region nördlich Berlins. Da ist die geplante neue 380-Kilovolt–Hochspannungsleitung mitten durch Birkenwerder, für die eine Bürgerinitiative und die Gemeinde vehement wie vergeblich auf eine unterirdische Verlegung drängen. „Die Landesregierung setzt sich für Erdverkabelung ein“, verspricht Woidke. In der Gemeinde, die von der Autobahn und einer Eisenbahnstrecke zerschnitten wird, sei die „Grenze der Belastung erreicht“. Bislang habe das Land beim Bund allerdings keinen Erfolg. Man versuche es weiter. Oder, immer wieder, Verkehrsprobleme, wie in allen Berliner Randgemeinden. Immer mehr Menschen seien hergezogen, „aber die Infrastruktur sei auf dem Stand vor zwanzig Jahren“, sagt ein älterer Herr. „Täglich steigen hier 3000 Menschen in die S-Bahn. Wir brauchen endlich eine Taktverdichtung.“
Das setze den „Bau eines zweiten Gleises voraus, sonst ist es fast unmöglich“, antwortet Woidke. Statt einer schnellen Lösung kann der Regierungschef zumindest verkünden, dass schrittweise mehr Regionalbahnen fahren werden. Er nennt einige Linien und Jahreszahlen, wann es damit losgehen soll, 2019, 2020, 2022. Und auch die geforderte „Heidekrautbahn“, die ebenfalls erst geplant und dann gebaut werden müsse, sei im Fokus, bis 2030. Vorsorglich weist er darauf hin, dass es zwar viele Befürworter gibt, es nach den bisherigen Erfahrungen mit Infrastrukturprojekten dann aber entlang der von den einen geforderten Strecke Bürgerinitiativen geben werde, weil einige doch lieber ihre Ruhe behalten wollen. „Wir müssen mit den Menschen reden, nicht nur denen an den Enden, die es wollen, sondern auch mit denen dazwischen.“
Bezahlbarer Wohnraum in Potsdam und Brandenburg immer knapper
Dann wird beklagt, dass es kaum noch bezahlbare Wohnungen „für Normalverdiener gibt, für die Verkäuferin, die Frisöse“, dass nur über neue Sozialwohnungen geredet werde. Es ist ein Problem, das in Potsdam, im Berliner Umland immer akuter wird. Woidke, der von „Wohnungsnot“ spricht, überrascht mit einem Lösungsvorschlag. Er empfiehlt, dass keine städtischen Grundstücke mehr an Wohnungsbau-Investoren verkauft werden sollten. „Denn dann wird es keine Sozialwohnungen geben.“ Da es für Investoren attraktiver sei, Wohnungen für den freien Markt zu errichten.
Und so geht es weiter – um die umstrittene, geplante Massentierhaltungsanlage in Oranienburg, um Lärmschutzwände an der Autobahn, um Französischunterricht, um die Braunkohle und um die Beschwerde eines Ehrenamtlers von der Verkehrswacht, dass in Berlin Radfahrunterricht in der vierten Klasse Pflicht sei, in Brandenburg aber nicht.
Woidke: BER öffnet 2020
Und als die Rede auf den künftigen Flughafen in Schönefeld kommt, der für die Brandenburger in den nördlichen Regionen schwerer zu erreichen sein wird als Tegel, ruft jemand: „Glauben Sie wirklich, das der BER eröffnet?“ Allgemeines Gelächter. „Ja!“, sagt Woidke, treuherziger Blick, Kunstpause. „Ich soll ja kurz antworten.“ Wann? „2020“.
So unaufgeregt ist die Stimmung. Die Leute hören aufmerksam zu, nicht aufgeladen, mit den Antworten mal mehr, mal weniger zufrieden. Sie finden, wen man danach auch fragt, die Veranstaltung gelungen. Und ein Thema hat in den zwei Stunden keine Rolle gespielt: die Flüchtlinge. Zumindest diesmal muss der Wutbürger zu Hause geblieben sein.
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