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Gedrängel Berlin-Brandenburg: Mehr und größere Züge für die Region

Ein neuer Nahverkehrsplan soll das Bahnangebot mit deutlich mehr Zügen in Brandenburg und Berlin verbessern - Potsdam gehört zu den Profiteuren der Änderungen.

Potsdam - Nirgendwo sonst in Deutschland wächst die Zahl der Fahrgäste so rasant wie in der Hauptstadtregion. Allein bei den Regionalexpresszügen und Regionalbahnen des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) lag der Anstieg bei 5,2 Prozent. Deutschlandweit ist das mit Abstand der höchste Wert. Pendler merken es ohnehin: Die Züge werden immer voller. Selbst auf den Strecken der Brandenburger Regionen, in denen die Einwohnerzahlen zurückgehen, wie Infrastrukturministerin Kathrin Schneider (SPD) sagt.

Deshalb sollen die Strecken ausgebaut werden und künftig mehr Züge fahren – nicht nur zwischen Berlin und dem Speckgürtel, sondern darüber hinaus für „neue Entwicklungschancen in der zweiten Reihe“. Das sieht der Entwurf für den neuen Nahverkehrsplan, den Schneider am Montag gemeinsam mit VBB-Geschäftsführerin Susanne Henckel in Potsdam präsentiert, vor. Ein Überblick.

Mehr Strecken als Wachstumschance

Nirgendwo im Land sollen Strecken dichtgemacht werden, vielmehr soll Berlins Wachstum ins weite Land getragen werden. „Wir werden das Angebot an vielen Stellen im Netz ausweiten“, sagte Schneider. Statt aktuell 31,5 Millionen Zugkilometern pro Jahr im Regionalverkehr sollen es 2022 rund 34 Millionen sein – ein Zuwachs um acht Prozent.

Schneider will damit das Wachstum aus Berlin und aus dem Speckgürtel in das gesamte Land hinaustragen – auch um der Entwicklung in den Randregionen entgegenzuwirken. Viele Städte hätten sich stabilisiert, weniger Menschen ziehen fort als zuziehen. Aber die Alterung bleibt, die Sterberate ist höher als die Geburtenrate – hinzu kommt das sogenannte demografische Echo als Folge der geburtenschwachen Jahrgänge in den 1990er-Jahren. Das sei aber kein Grund, so Schneider, nicht für sinnvolle Anbindungen zu sorgen und der Entwicklung entgegenzuwirken.

Mehr Züge für die Pendler

Auf mehreren Strecken wird künftig häufiger und mit größeren Zügen gefahren. Statt zweimal in der Stunde soll es den RE1 zwischen Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) künftig in der Hauptverkehrszeit im 20-Minuten-Takt geben. Entlastet wird die Strecke einmal stündlich durch eine neue Linie von Potsdam über den Wissenschaftsstandort Golm und das mit neuen Wohngebieten wachsende Elstal nach Spandau, nach Schneiders Wünschen sogar bis Gesundbrunnen. Weitere neue Linien sollen Oranienburg und Ludwigsfelde an den Flughafen BER anbinden. Von Nauen sollen vier statt drei Züge pro Stunden fahren, ab Falkensee kommt sogar mit dem Prignitz-Express ein fünfter Zug hinzu.

Auch aus anderen Regionen sollen mehr Züge nach Berlin fahren, etwa der RE7 vom mittelmärkischen Bad Belzig zwei- statt einmal pro Stunde oder von Lübbenau im Süden mit drei statt zwei Fahrten. Hinzu kommen neue Direktverbindungen aus Finsterwalde oder die verlängerte Ostbahn, auf der ab Dezember Züge vom Ostkreuz ins polnische Kostrzyn fahren. Die RB33 von Jüterbog über Beelitz endet nicht mehr in Wannsee, sondern führt zum Potsdamer Hauptbahnhof.

Die neue Linie RB37 soll von Beelitz Stadt nach Potsdam-Rehbrücke fahren und bis nach Wannsee, perspektivisch sogar bis nach Berlin-Steglitz verlängert werden. Selbst auf Randstrecken wie von Eberswalde nach Frankfurt (Oder) wird auf einen Stundentakt aufgestockt. Bis 2023 soll auch der obere Bahnsteig des Bahnhofs Pirschheide wieder offen sein auf der Strecke zwischen Potsdam und Schönefeld. Weil die Lage auf den wichtigen Pendlerstrecken bereits ernst ist, verhandeln Berlin und Brandenburg mit den Bahnunternehmen über Zusatzzüge ab Dezember 2018.

Es muss gebaut werden

Doch mit dem größeren Angebot stößt der VBB „an die Grenzen der Infrastruktur“. Daher verhandeln die Länder Berlin und Brandenburg derzeit mit der Bahn im Rahmen des Zukunftsprojekts „i2030“ über den Ausbau der Strecken, besonders auf dem eingleisigen Weg nach Cottbus ist es eng. Schneider forderte auch ein drittes Gleis nach Hamburg. Ob die verlängerte S-Bahn nach Falkensee und Stahnsdorf kommt, wird noch geprüft. Schneider ist aber gegen Vorfestlegungen auf S- und Regionalbahn. Auf der möglichen Stammbahn nach Potsdam hält Schneider Regionalbahnen für sinnvoller, um die überfüllte Stadtbahn in Berlin zu entlasten. Bis 2030 soll auch ein zweites S-Bahn-Gleis zwischen Griebnitzsee und Wannsee kommen.

Auf der Ost-West-Strecke RE1 müssen Engstellen beseitigt, Bahnsteige verlängert werden. Beim Prignitz-Express sind höhere Takte samt Berlin-Halte nur mit Baumaßnahmen möglich, auch die S-Bahn-Verlängerung von Hennigsdorf nach Velten wird geprüft. Ganz oben auf der Liste steht der Lückenschluss der Dresdner Bahn von Berlin-Südkreuz nach Blankenfelde für den Flughafen-Express. Nach Dresden ist die Strecke weiter im Ausbau. Ein Engpass ist in Königs Wusterhausen, wo neue Gleise hermüssen.

Bis 2030 müssen ganze Abschnitte sogar erst mal elektrifiziert werden, etwa zwischen Wustermark, Rathenow und Stendal oder von Cottbus nach Görlitz und nach Forst. Erst bis 2030 soll die Strecke Cottbus–Lübbenau ein zweites Gleis bekommen, die Lausitzstadt als Knoten für Verbindungen nach Dresden und Leipzig ausgebaut werden. Und nach Stralsund sollen die Trassen über Angermünde/Pasewalk sowie Neustrelitz/Neubrandenburg ausgebaut werden.

Züge gesucht – mit neuem Service

Probleme gibt es mit den Herstellern: Es sollen mehr Doppelstockzüge fahren, doch die fehlen. In ganz Deutschland sei die Nachfrage groß. Für die neuen Waggons – egal ob von Siemens, Bombardier, Alstom oder Stadtler – sind klare Vorgaben geplant. VBB-Chefin Henckel will nach erfolgreichen Tests reine Fahrradabteile in den Zügen ohne Klappsitze und neben W-Lan auch neue Digitalanzeigen an den Einstiegen. Darauf sollen Fahrgäste künftig lesen können, ob im anderen Ende des Züge mehr Sitzplätze frei sind.

Spätes Handeln – die Kritik

Die Reaktionen sind gemischt. Die oppositionelle CDU-Fraktion sprach von halbherziger Verkehrspolitik. „Brandenburger Pendler werden sich weiter in überfüllten Zügen die Beine in den Bauch stehen müssen“, sagte CDU-Experte Rainer Genilke. Und er warf Schneider vor, nur eine Schmalspurversion des CDU-Verkehrskonzeptes vorgelegt zu haben. „Kommt der Zug, kommt der Zuzug. Wer Regionen entwickeln will, muss schnell für mehr Züge mit mehr Sitzplätzen sorgen. Und das nicht erst zum Ende der nächsten Wahlperiode“, sagte er.

Grünen-Verkehrsexperte Michael Jungclaus befand, der Landesnahverkehrsplan zeige nur, was in den vergangenen Jahren trotz steigender Fahrgastzahlen alles versäumt wurde. Verbesserungen seien „jetzt schon überfällig“. Der Streckenausbau hätte vor Jahren begonnen werden müssen.

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Kommentar: PNN-Autor Enrico Bellin über den neuen Nahverkehrsplan und gute Nachrichten für die Region Berlin-Brandenburg.

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