Verschwundene Impfdosen für Brandenburg: Keiner will’s gewesen sein
Warum sind 34.134 Impfstoffdosen für Brandenburger Praxen nicht abgerufen worden? Eine Spurensuche.
Potsdam - In keinem Bundesland ist so wenig Impfstoff für die Corona-Schutzimpfungen angekommen wie in Brandenburg. Mit 54,7 Impfdosen je 100 Einwohner blieb die Mark auf dem Impfdashboard der Bundesregierung auch Freitag Schlusslicht in Deutschland. Zugleich wurden, wie PNN publik machten, laut aktuellem Länderreport des Paul-Ehrlich-Instituts seit Mitte April 34.134 Impfdosen, die für Impfungen in Brandenburger Arztpraxen bereit standen, nicht abgerufen. Und das, obwohl Zehntausende auf Impftermine warten.
KVBB-Chef: "Wir haben dafür keine Erklärung"
Dagegen gingen im gleichen Zeitraum nach Mecklenburg-Vorpommern 80.000 Dosen mehr, als das Landes- Soll vorsieht. Die 34.134 Brandenburger Dosen (je zur Hälfte Astrazeneca und Biontech) müssen irgendwo im Bermudadreieck von Praxen, Apotheken und Pharmagroßhandel – das ist die Lieferkette des so genannten „Bundesstrangs“ – verlorengegangen sein. Aber wo? „Wir haben dafür keine Erklärung. Das ist eine Sache, die geklärt werden muss zwischen dem Bundesbelieferer und den Apotheken“, sagte Peter Noack, Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBB). „Wir sind beim Erforschen, warum da was fehlt.“ Er schloss aus, dass hiesige Arztpraxen zu wenig Impfstoff ordern würden. „Wir haben nicht zu wenig bestellt. Wir kriegen hunderte Anrufe unserer Praxen, das weniger geliefert wird als bestellt, 80 bestellt, nur 20 geliefert, 20 bestellt, keine geliefert“, so Noack. „Das ist die Realität.“ Das ist die Praxis. Allerdings belegt dies nicht, dass über diesen Lieferstrang tatsächlich Impfstoffbestellungen in dem Maß erfolgen, wie sie Brandenburg nach der Einwohnerzahl zustehen. Und es erklärt nicht das Ländergefälle.
Apotheken dürfen Bestellungen nicht aufstocken
An den Apotheken liegt es jedenfalls nicht. „Jeweils bis Dienstag müssen in den Apotheken die Bestellungen der Ärzte für die Lieferungen der kommenden Woche eingegangen sein“, erläutert Mathias Braband-Trabandt, Sprecher des Brandenburger Apothekerverbandes gegenüber den PNN. „Diese Bestellungen gehen Eins zu Eins weiter an den Pharmagroßhandel. Die Apotheken dürfen die Bestellungen der Ärzte gar nicht aufstocken. Alles, was Brandenburger Arztpraxen bestellen, wird an den Großhandel weitergeleitet.“ Das würde regelmäßig gekürzt. Bestellen Praxen in anderen Ländern präventiv gleich mehr?
Überblick über Bestellungsmengen nicht vorhanden
Die KVBB hat gar keinen exakten Überblick, ob die Bestellungen der Praxen das Brandenburger Kontingent ausschöpfen. Denn Noack weist die Forderung des Brandenburger Innen- und Impfministers Michael Stübgen (CDU), dass die KVBB unverzüglich den Abruf jeder Impfdose sicherstelle, so zurück: „Dem Minister müsste bekannt sein, dass wir als Kassenärztliche Vereinigung mit dem ganzen Thema Logistik nichts zu tun haben. Wir haben keine Steuerungsmöglichkeiten“. Und: „Wir haben keine logistische Handhabe, an irgendeiner Stelle in diesen Prozess einzugreifen.“ Und: „Es ist ungefähr so, als wenn sie den Passagier im Autobus in der letzten Reihe verknacken wollen, dass vorne der Fahrer nach rechts abbiegt. Da muss man schon den Fahrer nehmen.“
KVBB hält Impfzentren weiterhin entbehrlich
Zugleich sagte Noack erneut, dass die Arztpraxen die Corona-Schutzimpfungen komplett übernehmen könnten, Impfzentren entbehrlich seien. Es geht um rund 2,4 Millionen noch ausstehende Impfungen im Land, die bis 21. September erfolgen müssen. Verzichten die Ärzte notfalls auf Betriebsferien im Sommer, um das zu schaffen? Das sei zu bewältigen, mit Hausärzten, den Facharztpraxen, so Noack. Und zwar so, dass ein Arzt dennoch in der Lage sein wird, „im Sommer seinen Urlaub zu nehmen.“ Die 150.000 Impfungen pro Woche in Arztpraxen, die beim Landesimpfgipfel zugesagt wurden, seien zu schaffen – „wenn genügend Impfstoff da ist.“ Von Forderungen, auch in Apotheken zu impfen, hält der KVBB-Chef nichts. Die ärztliche Versorgung in Deutschland sei gut, so Noack. „Wir brauchen keinen Drive-In, keinen Supermarkt, keine Apotheke, wo geimpft wird.“
Und dann ist da noch die Mathematik. Das Land Brandenburg hat mit Abstand die geringste Ärzte- und Praxendichte in Deutschland. Das heißt, dass die wenigen Arztpraxen der Mark überproportional Impfstoff ordern und erhalten müssten, mehr als Praxen in allen anderen deutschen Ländern, damit keine Dose für das Land Brandenburg verloren geht.
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