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Brandenburgs Generalstaatsanwalt Andreas Behm in seinem Büro in Brandenburg/Havel.
© Marion Kaufmann

Interview | Generalstaatsanwalt Andreas Behm: "In Brandenburg herrscht nicht die reine Ödnis"

In seinem ersten Interview seit Amtsantritt spricht Brandenburgs Generalstaatsanwalt Andreas Behm über das Erbe Erardo Rautenbergs, Verschwörungstheorien und Parship im Knast.

Herr Behm, bei Ihrer Vorstellung als neuer Generalstaatsanwalt im Rechtsausschuss des Brandenburger Landtags sagten Sie, „wir haben das Erbe von Erardo Rautenberg zu achten“. Ihr Vorvorgänger war deutschlandweit bekannt für seinen Einsatz gegen Rechtsextremismus. Haben Sie ein Konzept, wie Sie seinen Kampf fortsetzen möchten?
Ich bin noch dabei, mir ein Bild zu machen. Die Lage ist inzwischen diffuser. Zum Beispiel in Neuruppin, vor allem aber in Cottbus zeigt sich: Wir haben es nicht mehr mit einer Gruppe Rechtsextremer zu tun. Es sind mehrere Gruppen, etwa in Cottbus die Türsteher-, die Kampfsport- und die Fanszene, die sich zwar in ihrer politischen Anschauung ähneln, aber die nicht konzertiert zusammenarbeiten. Die Kollegen aus den Staatsanwaltschaften berichten auch von Straftaten Jugendlicher, die Beleidigungen von sich geben, den Hitlergruß zeigen - wohl wissend, dass sie deshalb Ärger kriegen. Ein nicht geringer Teil solcher Delikte bricht sich in enthemmtem Zustand Bahn.

Alkohol?
Ja, in Brandenburg ist in diesem Zusammenhang Alkohol das Hauptdrogenproblem. Ich glaube, dass man die Zahlen der aus rechtsextremistischem Ansinnen begangenen Äußerungs- und teils auch Körperverletzungsdelikte senken kann, weil der Verfolgungsdruck groß ist. Dazu gibt es übrigens eine nette Geschichte.

Erzählen Sie, bitte.
Ich war seinerzeit in Hamburg in der politischen Abteilung tätig und hatten einen Abteilungsleiter, der mit Verve jegliche rechtsextreme Straftat verfolgte, egal wie klein sie war, egal wie alt der Verdächtige war. Jedes Hakenkreuz wurde verfolgt. Wir in der Abteilung waren davon manchmal genervt. Diesen Kollegen, der jetzt schon pensioniert ist, traf ich vor einem Jahr wieder und sagte: „Ich möchte mich ausdrücklich bei Ihnen entschuldigen. Wie Sie die Verfolgung von uns gefordert haben, war richtig.“ Es hilft nichts, zu warten. Das haben wir in Amerika gesehen, aber auch hier, in Zusammenhang mit Corona-Leugnern und Reichsbürgern beispielsweise.

Weil sich Rechtsextreme unter sogenannte Querdenker mischen?
Weil die Leute das Gefühl haben, sie könnten wieder alles sagen. Die Mehrheit, die sich auf Demos gegen die Corona-Maßnahmen tummelt, ist ja nicht rechtsextrem. Aber die Pandemie hat eine Szene entstehen lassen, die auf der Straße Autoritäten angreift, Fake News verbreitet. Wenn ich sehe, wie Leute Verschwörungstheorien Glauben schenken, da wäre ich im Traum nicht darauf gekommen, dass so etwas bei einer allumfassenden Schulpflicht noch möglich ist.  Zudem war das Rechts-Links-Schema früher von der Vorstellung geprägt: Die Rechten sind blöd und die Linken sind schlau. Das stimmt so nicht mehr. Die Rechtsextremisten sind inzwischen auch anders vernetzt, nutzen wie Linksextremisten, deren Zahl in Brandenburg leicht zunimmt, verstärkt die sozialen Medien.

Bei Brandenburgs Generalstaatsanwaltschaft wurde bereits eine Beauftragte für Hasskriminalität im Netz installiert.
Bei Brandenburgs Generalstaatsanwaltschaft wurde bereits eine Beauftragte für Hasskriminalität im Netz installiert.
© Lukas Schulze/dpa

Wie wollen Sie dem begegnen?
Wir warten auf das Hatespeech-Gesetz auf Bundesebene, das den Kampf gegen Extremismus und Hass im Netz erleichtern soll. Wir werden dann vermehrt Anzeigen von den Providern bekommen. Entsprechende Straftaten sollen zentral beim Bundeskriminalamt gesammelt und dann zwei Generalstaatsanwaltschaften zur Vorprüfung vorgelegt werden, die sie dann an die Bundesländer weiterleiten. In Brandenburg sollen die Fälle auf alle vier Staatsanwaltschaften verteilt werden, da wir mit jährlich 6000 Verfahren rechnen, das kann die für Internetkriminalität zuständige Staatsanwaltschaft in Cottbus nicht alleine stemmen. Zudem haben wir bei der Generalstaatsanwaltschaft bereits eine Beauftragte für Hasskriminalität im Netz installiert. Insgesamt können wir Extremismus aber nur begegnen, wenn es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, diesem entgegenzutreten. Ich finde, was das angeht, sind wir in Brandenburg ganz gut aufgestellt.

Gleichzeitig sitzt die AfD als zweitstärkste Kraft im Brandenburger Landtag. Der Verfassungsschutz hat den AfD-Landesverband zum rechtsextremistischen Verdachtsfall erklärt, wogegen dieser nun juristisch vorgeht. Gegen den Abgeordneten Daniel Freiherr von Lützow ermittelt die Staatsanwaltschaft Cottbus, weil er bei einer Corona-Party Polizisten bedroht haben soll.
Wenn es zu Straftaten kommt, verfolgen wir die natürlich konsequent. Aber ich glaube, die Parteileute der AfD stehen eher für eine gesellschaftliche Stimmung – die ich mir ehrlich gesagt nicht so richtig erklären kann. Die Menschen sind unzufrieden, hieß es – und da spreche ich jetzt von der Zeit vor Corona, als es auch in Brandenburg wirtschaftlich ganz gut lief. Ich komme aus Schleswig-Holstein, einem Bundesland, in dem tatsächlich alle zufrieden sind. Und dort leben mitnichten die Reichsten.

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Auch 30 Jahre nach der Deutschen Einheit fühlen sich im Osten immer noch viele abgehängt.
Aber es ist ja nicht so, dass in Brandenburg die reine Ödnis herrscht. Ich bin zum Beispiel angetan von Cottbus, was für ein Kulturangebot es dort gibt!  Anfangs, nach der Wende, gingen viele für die Ausbildung in den Westen, aber viele kommen wieder, weil es mittlerweile auch hier gute Berufschancen gibt. Das gilt auch für die Justiz. Wir stellen permanent junge Staatsanwälte ein. In den vergangenen drei, vier Jahren übrigens Dreiviertel Frauen.

Woran liegt das?
Die Frauen haben einfach bessere Noten.

Trotzdem sind Frauen auf Führungsebene in der Justiz weiter unterrepräsentiert. Die Ausschreibung für den Posten des Generalstaatsanwalts musste laut Gleichstellungsgesetz wiederholt werden, weil sich keine Frau bewarb. Als es in der zweiten Runde auch keine Bewerberin gab, kamen Sie zum Zug.
Es wird noch etwas dauern, bis wir die Spitzenpositionen ausgeglichen besetzt haben. Geeignete Frauen gibt es genügend, aber man muss auch welche finden, die das wollen. Stichwort Work-Life-Balance, da müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden. Ich erlebe es zudem immer wieder, dass Frauen sich fragen: Kann ich das? Ein Satz, den Sie von Männern nicht hören. Ich habe mich nie gefragt, ob ich das kann.  Als mir der Hamburger Senator 2003 anbot, eine Justizvollzugsanstalt mit bis zu 1000 Gefangenen zu leiten – obwohl ich vorher nie in einer JVA tätig war – habe ich gesagt: Klar mach ich das! War auch nett (lacht).

„Der Herr über 800 schwere Jungs“ hat eine Hamburger Zeitung getitelt, als Sie Chef der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, Santa Fu, wurden, einem der größten Gefängnisse Deutschlands. Wie sehr hilft es Ihnen jetzt, dass Sie das Ende der Justizkette gut kennen?
Es weitet den Blick. Ich finde es schwierig, sich als Staatsanwalt in eine Verhandlung zu stellen, eine bestimmte Strafe zu fordern und nicht zu wissen, was dann passiert, wie es im Gefängnis zugeht. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Staatsanwälte eine Zeit lang im Justizvollzug arbeiten würden, sei es in Form eines Praktikums oder auch über eine Abordnung für zwei, drei Jahre.

In Hamburg haben Sie ein Belohnungssystem für Häftlinge eingeführt: Wer sich gut führt, bekommt beispielsweise längere Besuchszeiten.
Dieser Ansatz war früher verpönt, aber inzwischen wird das fast überall so gemacht, auch hier. In Brandenburg haben wir wenig zu tun mit organisierter Kriminalität, mit Clans. Für Einzeltäter ist es ein guter Weg, ihnen im Vollzug berufliche Perspektiven zu bieten, etwa durch eine Ausbildung. Ich habe mal gesagt: Wenn es jetzt noch gelingt, Parship für die Häftlinge zu etablieren, haben wir die soziale Integration erreicht.

In Santa Fu haben Sie zunächst ganz andere Verhältnisse vorgefunden.
Als ich dort anfing, herrschte quasi Anarchie. Am Wochenende wurden morgens die Türen für alle Gefangenen aufgemacht, auch zum Hof. Fünf Bedienstete sollten das beaufsichtigen. Spätestens, als es eine kleine Revolte gab, war mir klar: Das geht so nicht, wir brauchen kleinere Gruppen.  Auch Strafgefangene wollen klare Ansagen haben. Ich erinnere mich da an ein Erlebnis. Bei meiner Verabschiedung in Santa Fu 2006 mit etwa 200 Leuten war ein Gefangener für die Ausgabe von Kaffee und Kuchen zuständig. Ein Doppelmörder, der zwei Mal seine Frau umgebracht hat.

Wie geht denn das?
Es waren zwei Frauen. Nachdem er aus der ersten Haft entlassen war, hat er seine nächste Frau auch umgebracht. Zu dem also ging ich, um mir einen Kaffee zu holen. Er sagte zu mir: „Das ist nicht alles richtig gewesen, was Sie gemacht haben, aber uns geht’s jetzt besser.“ Das war für mich das schönste Lob.

Als bekannt wurde, dass Sie in Brandenburg Generalstaatsanwalt werden, gab es wenig Lob, sondern Skepsis. Ihnen wurden Pannen aus Ihrer Zeit als Chef der Berliner Staatsanwaltschaft vorgehalten. Es ging um Ermittlungen zu Schrottimmobilien, die Razzia im Bordell Artemis und um den Rapper Bushido, den sie 2014 wegen Beleidigung des damaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit in einem Hass-Song gegen den Rat von Fachleuten anklagen ließen. Die Anklage wurde abgewiesen. Haben Sie in Berlin Fehler gemacht?
Ja. Ich war zehn Jahre Leiter der größten Staatsanwaltschaft Deutschlands mit 300 Staatsanwälten und 300.000 Verfahren pro Jahr. Da hat man als Behördenleiter nicht ansatzweise die Möglichkeit, alle Verfahren zu kontrollieren. Natürlich kann es dann passieren, dass etwas schiefläuft. Dann hilft nur eins: Man muss zu seinen Fehlern stehen. Alle meine Fehler habe ich alleine gemacht und bin nicht von anderen dazu gedrängt worden. Wenn man aber das Gefühl hat, man hat keinen Fehler gemacht, muss man das auch nicht einräumen, auch wenn andere das kritisieren. Bei Bushido beispielsweise bin ich der Meinung: Es war richtig, gegen diese Art Liedtexte vorzugehen. Dass es anders ausgegangen ist, gehört zum Risiko.

Ist es angenehmer, in Brandenburg Staatsanwalt zu sein als in Berlin?
Ist es, aus mehreren Gründen. In großen Städten wie Berlin oder Hamburg ist die Nähe zur Politik und zu den Vorgesetzten viel größer. Hier haben die Staatsanwaltschaften viel mehr Ruhe – jetzt auch vor mir als General. Der Öffentlichkeitsdruck ist nicht so hoch, gleichzeitig ist das Renommee der Staatsanwaltschaft in Brandenburg größer. Wir sind eine Institution vor Ort.

Bushido im Sommer 2013. Andreas Behm hatte gegen den Rapper Anklage erhoben. Der Staatsanwalt hatte dem Künstler Volksverhetzung vorgeworfen. Das Verfahren wurde nie eröffnet.
Bushido im Sommer 2013. Andreas Behm hatte gegen den Rapper Anklage erhoben. Der Staatsanwalt hatte dem Künstler Volksverhetzung vorgeworfen. Das Verfahren wurde nie eröffnet.
© Paul Zinken/dpa

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