Interview | Brandenburgs Polizeipräsident Oliver Stepien: "Generalverdacht gegen Polizisten wäre falsch"
Seit 1. Mai ist der Berliner Oliver Stepien neuer Polizeipräsident in Brandenburg. Im Interview spricht er über Rassismus, Frauenförderung und seinen Start unter Corona-Bedingungen.
Herr Stepien, seit 1984 waren Sie bei der Berliner Polizei. Was zieht Sie nach Brandenburg? Hat es Ihnen in Berlin nicht mehr gefallen?
Für mich hat sich in Brandenburg die wunderbare Gelegenheit geboten, nach fast 36 Dienstjahren noch einmal etwas Neues machen zu können, neue Menschen kennenzulernen. Das sehe ich als schöne Herausforderung.
Ihr Einstieg in Brandenburg war in doppelter Hinsicht nicht ganz so schön. Ihr Start fiel mitten in die Coronakrise. Zudem gab es Personalquerelen. Ihrem Vize Roger Höppner soll der Posten des Polizeipräsidenten vom Innenministerium zugesagt worden sein. Sie galten in der Öffentlichkeit nur als zweite Wahl. Hat Ihnen das die Ankunft in Brandenburg vermiest?
Nein. Wenn man bei Spitzenämtern dieser Art überhaupt in den Kreis der potenziellen Kandidaten kommt, spricht das doch für sich. Und ich weiß, dass es gar nicht um mich als Person geht bei der ganzen Geschichte.
Roger Höppner, der vor Gericht gezogen ist, weil er auch den Abteilungsleiterposten im Ministerium nicht bekam, ist weiter Ihr Stellvertreter. Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Ihnen?
Wir gehen damit sachlich um und arbeiten nicht nur professionell, sondern auch vertrauensvoll zusammen.
Zur Personalkrise kam die Coronakrise. Hat Sie das eingeschränkt?
Ja, schon, manches Treffen war nicht in der geplanten Größe möglich, aber ich habe trotzdem sämtliche Direktionen besucht, auch Inspektionen und Reviere, ich war bei der Direktion Besondere Dienste und im Landeskriminalamt.
Werden Sie im kommenden Jahr eine Kriminalstatistik präsentieren, die sich coronabedingt anders darstellt als frühere? Ein Rückgang bei Einbrüchen und grenzüberschreitenden Autodiebstählen, dafür mehr häusliche Gewalt?
Es ist noch zu früh, um wirklich belastbare Aussagen zu treffen. Wir haben aber gewisse Anhaltspunkte, dass es in einigen Felder tatsächlich Rückgänge, in anderen, zum Beispiel bei häuslicher Gewalt, Steigerungen gegeben haben könnte.
Wurde die Polizeiarbeit selbst durch Corona erschwert?
Die Brandenburger Polizei hat sehr professionell agiert und war eher stabilisierender Faktor in der für alle neuen Situation. Ich habe den Eindruck, dass die Kolleginnen und Kollegen, wenn es um die Einhaltung der Eindämmungsverordnung ging, mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl vorgegangen sind.
Corona verzögert die Aufarbeitung der Kesy-Affäre um die massenhafte automatische Kennzeichenspeicherung auf Autobahnen. Wie ist der Stand?
Wir arbeiten daran, die kritischen Punkte abzustellen. Trotz Einschränkungen während der Corona-Pandemie wurden bereits einige datenschutzrechtliche Anpassungen vorgenommen. Unter anderem sind die Daten bereits vom Kesy-Server runter auf extra Medien gespeichert worden. Diese werden den zuständigen Staatsanwaltschaften übergeben. Das heißt, Daten können nicht mehr einfach bis 2017 zurück recherchiert, sondern nur noch für konkrete Ermittlungsverfahren eingesehen werden. Geplante Zuarbeiten von externen Partnern konnten jedoch coronabedingt nicht in dem gewünschten Zeitablauf erfolgen. Die Softwareumstellung kann daher nicht so schnell vorgenommen werden wie zunächst gedacht.
Auch in der Asservatenverwaltung müssen Sie kräftig aufräumen. Beschlagnahmte Drogen, die in Büroschubladen gelagert werden, Beweismittel in Garagen, eine verschwundene Pistole…
Das ist eines der Themen, in das ich mich gerade im Detail einarbeite. Ich habe mir Asservatenkammern anschaut, bin im Austausch mit der eingesetzten Arbeitsgruppe. Es gibt zwei Handlungsfelder: Die analoge und die digitale Welt. Dass in den Regalen ordentlich aufgeräumt wird, ist schon veranlasst worden. Der Aufbau eines digitalen Asservaten- und Spurenmanagementsystems ist viel komplexer und wird noch einige Zeit dauern.
Das ist wichtig für die Strafverfolgung. Kommen wir zur Prävention. Sie waren in Berlin länger im Staatsschutz tätig. Die größte Bedrohung im extremistischen Bereich komme von rechts, betont Brandenburgs CDU-Innenminister Michael Stübgen. Teilen Sie die Einschätzung?
Ja, die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Anschlag von Halle haben das gezeigt. Es gibt grundsätzlich eine große Bedrohung durch Rechtsextremismus oder -terrorismus, ob sie nun von Gruppierungen oder Einzeltätern ausgeht. Es ist aber nicht so, dass die Brandenburger Polizei jetzt erst aufwacht. Im Bereich der Extremismusprävention wurde schon eine Menge unternommen. Mit dem neuen Maßnahmepaket soll das nun weiterentwickelt werden.
Was genau ist geplant?
Beim Landeskriminalamt sollen eine Zentralstelle „Internetrecherche -rechts-“, eine Zentralstelle „Gefährdersachbearbeitung Politisch motivierte Kriminalität -rechts-“ und eine Zentralstelle „Bekämpfung der Hasskriminalität im Internet“ mit zunächst insgesamt fünf Beamten aufgebaut werden, um unter anderem im Netz frühzeitig Personen ausmachen zu können, die sich radikalisieren, Hasskommentare verbreiten. Das ist der eine Part. Wir wollen aber auch raus auf der Straße, in der Fläche noch mehr Präsenz zeigen. Die auf Rechtsextremismus spezialisierten Einheiten „MEGA“ und „TOMEG“, die für einen hohen Verfolgungsdruck gegenüber gewaltbereiten politischen Einzelpersonen oder Gruppierungen sorgen, sollen um insgesamt 20 Polizisten, fünf je Direktion, verstärkt werden.
Wie sieht es im Inneren aus? Gibt es Rassismus und Rechtsextremismus in der Brandenburger Polizei?
Wer will das ausschließen? Wenn die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, wäre es falsch, davon auszugehen, dass es dort keinen Extremismus gibt. Einzelfälle sind denkbar. Aber wie viele Einzelfälle ergeben ein strukturelles Problem? Die Verhältnisse in den USA lassen sich aus meiner Sicht nicht auf Deutschland, auf Brandenburg übertragen. Ein Generalverdacht gegen alle Polizisten ist falsch, das haben die Kolleginnen und Kollegen nicht verdient.
Sie wollen trotzdem genauer hinschauen.
Ja, das werden wir tun. Die Polizei ist Inhaber des Gewaltmonopols, da muss man es auch aushalten, dass in der Öffentlichkeit über das Verhalten von Polizisten diskutiert wird. Aber dass wir da konsequent sind, hat der jüngste Fall aus Bad Belzig gezeigt, der in den Medien war. Ich will mit solchen Vorfällen transparent umgehen und scheue diesbezüglich auch keine kontroversen Diskussionen, wenn nötig.
Sie sprechen von den beiden mittlerweile suspendierten Polizisten aus dem Revier in Bad Belzig, die einen älteren, betrunkenen Mann auf der Straße bedrängt und ein Video davon in einer Whats-App-Gruppe hochgeladen haben sollen. Es hieß, Sie hätten sich persönlich in den Fall eingeschaltet.
Ich habe mich persönlich damit befasst. Aber das heißt nicht, dass ich mich einschalten musste, damit etwas passiert. Die beteiligten Dienststellen haben von selbst konsequent gehandelt. Da bedurfte es nicht meiner Intervention. Die internen Mechanismen haben funktioniert.
Die Brandenburger AfD wird nun vom Verfassungsschutz beobachtet. Was bedeutet das für Polizisten mit AfD-Parteibuch?
In diesem Stadium – die AfD ist ja keine verbotene Partei – ist das nach meiner Einschätzung eine Frage des Einzelfalls. Überhaupt betrifft das Thema ja nicht nur die Polizei, sondern wohl den öffentlichen Dienst generell. Im Zusammenhang mit dem in Brandenburg geplanten Verfassungstreue-Check dürfte es dann bei der jeweils erforderlichen Einzelfallprüfung auch um Fragen gehen wie: Ist die Parteizugehörigkeit an sich schon ein Indiz für eine extremistische Einstellung? Haben wir konkrete Anhaltspunkte, dass ein Polizist nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht?
Gleichzeitig nimmt die Gewalt gegen Polizisten zu. Im Vorjahr wurden in Brandenburg 2161 Polizisten Opfer von Straftaten, 1262 Angriffe auf Polizisten wurden gezählt. Was schließen Sie daraus?
Dass Polizist ein schwieriger Beruf ist und wir die Verpflichtung haben, unsere Polizisten gut aufzustellen, was Ausstattung und Ausbildung angeht.
Brandenburgs Polizei braucht Nachwuchs. Wie wollen Sie junge Leute motivieren, trotz schwieriger Bedingungen und den aktuellen Debatten Polizist zu werden?
Es ist ja nicht so, dass wir keine Bewerber haben. Aber: Ein nicht unerheblicher Teil der jungen Leute, die ihre Ausbildung bei uns begonnen haben, brechen sie ab, kommen im System gar nicht an, das ist in allen Bundesländern zu beobachten. Wenn von 400 Bewerbern am Ende 40 hinwerfen, müssen wir genauer hinschauen. Das will ich tun. Wie übrigens auch bei einer anderen Sache, die mir bei meinen Antrittsbesuchen in den Direktionen aufgefallen ist.
Welche denn?
Der Anteil von Frauen in Führungspositionen entspricht oft nicht ihrem Gesamtanteil innerhalb der Brandenburger Polizei. Warum ist das so? Das will ich wissen und plane unter anderem eine Befragung der Kolleginnen, um dann gezielt etwas ändern zu können.
Warum sind Sie eigentlich selbst Polizist geworden?
Das mag jetzt vielleicht etwas abgedroschen klingen, aber ich dachte, das ist eine sinnvolle, interessante, abwechslungsreiche Tätigkeit. Und das stimmt ja auch. Ich habe mich beworben, ich wurde genommen, es hat Spaß gemacht.
Fehlt es Ihnen manchmal, nicht mehr selber ermitteln können?
Ja.
Zur Person:
Oliver Stepien, 54, ist seit 1. Mai ]neuer Polizeipräsident in Brandenburg und damit Chef von rund 8000 Landesbediensteten. Er folgte auf Hans-Jürgen Mörke, der Ende 2019 in den Ruhestand gegangen war. Stepien startete seine Laufbahn 1984 bei der Polizei Berlin. Der gebürtige Berliner war lange Zeit im Bereich Rauschgiftkriminalität eingesetzt. Danach arbeitete er mehrere Jahre im Staatsschutz – erst als Dezernats- und später als Abteilungsleiter im Bereich politisch motivierte Kriminalität. Anschließend führte er bis 2018 die Abteilung Operative Dienste – Spezialeinheiten und Spezialkräfte der Berliner Polizei. Bis zu seiner Ernennung zum neuen Brandenburger Polizeipräsidenten war Stepien Ständiger Vertreter des Leiters des Berliner Landeskriminalamtes.