Ein Jahr Kenia-Koalition: Drei Seuchen und die AfD
Brandenburgs Kenia-Koalition besteht seit einem Jahr – und muss sich im Krisenmanagement bewähren.
Potsdam - Bei der Krisenkommunikation klemmt es manchmal. Um sich rasch verständigen zu können, haben Brandenburgs Kenia-Fraktionschefs beim Messengerdienst Signal eine Chatgruppe eingerichtet. Praktisch, findet Grünen-Fraktionschefin Petra Budke. Wenn da nicht Erik Stohn wäre. Der SPD-Fraktionschef ist mit seinen 36 Jahren ein Mann alter Schule. „Ich bin schreibfaul“, bekennt er, „ich telefoniere lieber.“ Und fügt dann hinzu: „Aber sonst verstehen wir uns gut.“
Das müssen SPD, CDU und Grüne auch, wenn sie in diesem Krisenjahr bestehen wollen. Als die Neu-Koalitionäre nach zügigen Verhandlungen am 24. Oktober 2019 auf der Dachterrasse des Potsdamer Kongress-Hotels mit Smoothies in den Parteifarben anstießen, konnte keiner ahnen, dass gut ein Jahr später die Abarbeitung des 84 Seiten dicken Koalitionsvertrags „Zusammenhalt. Nachhaltigkeit. Sicherheit“ hinten anstehen muss, weil Brandenburg per Signal-Chat, Videokonferenz und Telefon durch die Krise geführt werden muss.
Schweinepest, Vogelgrippe und Corona
Drei Seuchen zählt CDU-Fraktionschef Jan Redmann auf, die es in Brandenburg gemeinsam zu bewältigen gilt: Afrikanische Schweinepest, Vogelgrippe und natürlich, vor allem, die Corona-Pandemie. Und dann ist da noch die AfD, die nach der Wahl am 1. September 2019 als zweitstärkste Fraktion mit 23 Abgeordneten in den Landtag einzog. „Uns hat das Wahlergebnis sehr nachdenklich gemacht“, sagt Redmann. „Dieser Vertrauensverlust in Politik“, der da deutlich geworden sei.
Mit 26,2 Prozent lag die SPD zwar auf Platz eins – aber dicht gefolgt von der AfD mit 23,5 Prozent. Die CDU kam auf 15,6, die Grünen holten 10,8 Prozent. Die Linke, zuvor acht Jahre Partner in einer rot-roten Koalition: 10,7 Prozent. Gelingt es Kenia, die AfD in Schach zu halten, die mit ihrem neuen Fraktionsvorsitzenden Hans-Christoph Berndt, Chef des rechtsextremen Vereins „Zukunft Heimat“ und selbsternannter „Corona-Ketzer“, das Lager der Pandemie-Skeptiker und -Leugner bedient?
In der jüngste Umfrage kommt die AfD auf 20 Prozent
Schaut man auf die jüngste Umfrage, stellt man fest: Die AfD ist tatsächlich in der Wählergunst gesunken. Nach dem Meinungstrend des Instituts „Insa" für die „Bild“- Zeitung kommt die AfD auf 20 Prozent. Allerdings: Die Zahl stammt von Anfang Oktober, vor Beginn des erneuten Teil-Lockdowns. Und: Die SPD stürzt bei der Umfrage auf 21 Prozent ab. Die beiden kleineren Kenia-Partner hingegen legen zu: Die CDU verbessert sich leicht auf 17 Prozent, die Grünen profitieren am meisten, liegen jetzt bei 16 Prozent.
Aber gerade die kleineren Partner betonen, dass es angesichts der Krise nicht darum gehe, sich zu profilieren. Es sei jetzt nicht die Zeit für „Egoismus, eigene Ziele durchzudrücken“, sagt Redmann. Es gehe darum, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. „Die Krise hat die Koalition zusammengeschweißt“, sagt er. Petra Budke, gemeinsam mit Benjamin Raschke an der Grünen-Fraktionsspitze, meint: „Die Konstellation in dieser Situation ist ein Glücksfall für Brandenburg.“ Erik Stohn, der kurz nach Beginn der Legislatur Mike Bischoff an der Fraktionsspitze ablöste, formuliert es so: „Diese Koalition war nicht alternativlos.“ Aber nun herrsche eine große Kollegialität. In der Tat: Über große Unstimmigkeiten hinter den Kenia-Kulissen ist in dem Jahr nichts nach draußen gedrungen.
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Die CDU will das Thema "Einsamkeit" angehen
Wie zum Beweis werden bei einer Bilanzpressekonferenz der Koalitionsfraktionen am Montag jeweils die Themen vorgetragen, die man eher beim anderen Partner erwarten würde. Das Thema „Einsamkeit“, die Vereinsamung von Senioren, liege der CDU-Fraktion besonders am Herzen, sagt Redmann. Stohn wiederum lobt den Stand Brandenburgs beim Ausbau erneuerbarer Energien, während Budke auf Bildung abhebt, ein Ur-SPD-Thema.
Welche Ziele aus dem Koalitionsvertrag angesichts der wegen Corona extrem angespannten Kassenlage womöglich aufgegeben werden müssen – dazu treffen die Fraktionen am Montag keine Aussage. Bislang verschoben: die Installierung von Regionalbeauftragten, von denen – wie Linksfraktionschef Sebastian Walter spottete – ohnehin niemand wusste, was die eigentlich tun sollen. Schmerzlicher: Die weitere Verbesserung des Betreuungsschlüssels in den Kitas wird wohl nicht so zügig umgesetzt werden wie geplant.
Sondersitzung des Landtages am Mittwoch
Doch dem Ziel, Brandenburg gut durch die Corona-Pandemie zu bringen, ist alles andere untergeordnet. Die Opposition kritisiert, dass die Krise nicht länger nur die Zeit der Exekutive sein dürfe, das Parlament müsse vor Entscheidungen einbezogen werden. Die Rolle des Parlaments, sagen die Koalitionäre am Montag, müsse gestärkt werden – gerade auch um nicht Wasser auf die Mühlen der AfD zu gießen. Am Montag, just nach der Kenia-Pressekonferenz, wird ein Antrag für eine Landtags-Sondersitzung am Mittwoch gestellt, bei der über die auf Bundesebene geplanten Änderungen am Infektionsschutzgesetz beraten werden soll. Von der AfD-Faktion.
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