Sozialer Wohnungsbau in Brandenburg: „Das treibt die Gesellschaft auseinander“
Die Zahl der Sozialwohnungen im Land sinkt. Forscher Matthias Bernt über die Folgen und Möglichkeiten des sozialen Wohnungsbaus in Brandenburg.
Herr Bernt, 2017 hat Brandenburg fast ein Fünftel seiner Sozialwohnungen verloren. Überrascht Sie der starke Rückgang?
Nein, in Deutschland ist der soziale Wohnungsbau so konstruiert, dass private Investoren staatliche Förderung für den Bau bezahlbarer Wohnungen erhalten. Läuft die Förderung nach 15 bis 30 Jahren aus, fallen die Wohnungen in den freien Markt und der Investor darf die Mieten an die örtlichen Preise anpassen. In Ostdeutschland wurde erst nach der Wende in den sozialen Wohnungsbau investiert, deshalb läuft jetzt – 20 Jahre später – verstärkt die Preisbindung aus. In Brandenburg sind so seit 2004 über die Hälfte aller Sozialwohnungen verloren gegangen. Ohne kontinuierliche Förderung sinkt der Bestand an Sozialwohnungen. Im internationalen Vergleich ein außergewöhnliches System.
Verletzt der Staat hier seine Pflichten in der Daseinsfürsorge?
Das ist eine Definitionsfrage. Der Staat hat die Verantwortung, angemessenen Wohnraum bereitzustellen. Wo dieser sein sollen, was er kosten darf und wie er konzipiert ist, wird dabei nicht berücksichtigt. Fest steht, dass der Druck auf den Wohnungsmarkt zugenommen hat und Wohnen zum Top-Thema geworden ist.
Wie macht sich das bemerkbar?
Der Druck auf Menschen aus unteren Einkommensschichten hat enorm zugenommen, für sie wird die Wohnraumversorgung immer knapper. Bei Mietbelastungen von 30 Prozent des Einkommens ist es ein Unterschied, ob man bei 1000 Euro Einkommen noch 700 Euro oder bei 5000 Euro noch 3500 Euro zur Verfügung hat. Und diese Tendenz setzt sich fort.
Welche gesellschaftlichen Folgen hat das?
Die soziale Zusammensetzung in Städten verändert sich. Menschen mit geringen Einkommen müssen in preiswertere Lagen ausweichen, also meist in periphere Gebiete mit schlechterer infrastruktureller Versorgung – die klassische Verdrängung. Das ist längst keine Entwicklung mehr, die nur in Großstädten stattfindet. Die räumliche Segregation nach Einkommen ist Studien zufolge in ostdeutschen Städten inzwischen höher als in Westdeutschland. Dadurch steigen die Probleme von ohnehin schon benachteiligten Menschen. Das treibt die Gesellschaft weiter auseinander.
Wie lässt sich das messen?
Man kann das beispielsweise am Wahlverhalten ablesen. In den ostdeutschen Innenstädten erzielten SPD, Grüne und Linke zuletzt ihre stärksten Ergebnisse. An den Stadträndern dagegen gab es einen deutlich höheren Anteil an AfD-Wählern. Natürlich sind die Mieten für die Wahlentscheidung nur ein Faktor, aber sie sind Teil eines Ausgrenzungsgefühls.
Auch im Berliner Speckgürtel und rund um Potsdam sind die Mieten in den vergangenen Jahren stark gestiegen.
Hier beobachten wir nicht nur eine Zunahme der Segregation, sondern auch einen Rückgang der Mobilität. Menschen ziehen seltener um, gleichzeitig nimmt die Überbelegung zu. Das bedeutet, dass man länger in der bezahlbaren Wohnung bleibt, selbst wenn dann durch Kinder die Räume knapp werden. Das führt vor allem zu Stress und hat auch negative Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung.
Welche Möglichkeiten hat die Politik?
Beim Thema Wohnen gibt es verschiedene Ebenen. Generell muss die Politik Fördern, Fordern und Überzeugen. Es müsste viel mehr Geld in den langfristigen sozialen Wohnungsbau fließen. Wir müssen da weg von einer temporären Förderung und hin zu langfristigen, nicht-profitorientierten Trägerschaften.
Also nach dem Prinzip der Wohnungsgemeinnützigkeit, bei der die Immobilien nicht mehr aus der Preisbindung herausfallen können. Der Deutsche Mieterbund fordert das schon seit Langem.
Genau, das wäre der wichtigste Schritt. Stadtstaaten wie Berlin versuchen bereits, das System über den kommunalen Wohnungsbau zu verändern. Das Paradebeispiel ist Wien, wo die Hälfte aller Wohnungen in kommunaler Hand sind. Dadurch sind die Bestandsmieten und soziale Durchmischung stabil geblieben. Helfen würde auch eine effektivere Mietpreisbremse, die auf Bundesebene hoffentlich bald modernisiert wird. Und wichtig wäre vor allem die Förderung von Unternehmensformen wie kommunalen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften, die langfristig leistbaren Wohnraum zur Verfügung stellen.
Das Gespräch führte Felix Hackenbruch
Matthias Bernt (48) ist Politologe und Soziologe. Seit 2008 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz Institut für raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner.
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