Anti-Asyl-Protest in Cottbus: Neonazis und Bürger überrennen Polizei: Brauner Flashmob: Sächsische Verhältnisse in Brandenburg
In Cottbus rotten sich 400 Anwohner und Neonazis vor einem Flüchtlingsheim zusammen. Der aufgebrachte Mob überrennt die Polizei, die kann nur mit Mühe einen Gewaltausbruch gegen die Flüchtlinge verhindern. Es ist eine neue Taktik. Auch andernorts gab es am Wochenende in Brandenburg Anti-Asyl-Proteste.
Cottbus/Potsdam - Es ist ein Phänomen, das es in Sachsen, aber noch nicht in Brandenburg gab. 400 Menschen, darunter zahlreiche Neonazis, zogen am Freitagabend im Cottbuser Stadtteil Sachsendorf gemeinsam vor eine Turnhalle, die als Notunterkunft für 120 Flüchtlinge dient. Experten befürchten nun, dass die Welle der offen rassistischen und gewaltsamen Anti-Asyl-Proteste aus Sachsen in den Süden Brandenburgs überschwappen könnte. In sozialen Netzwerken wie Facebook wird auch in Brandenburg immer stärker gegen Flüchtlinge mobil gemacht, die Stimmung wird immer aggressiver. Und nun lassen sich Bürger in Cottbus von Neonazis anstacheln zu blankem Hass und zu Gewalt. Es ist eine Art brauner Flashmob, organisiert über Soziale Netzwerke, ohne das etwa die NPD oder andere rechte Gruppen direkt in Erscheinung treten. Und es soll nur der Anfang gewesen sein, heißt es in Cottbus.
Besonders perfide an dem Aufmarsch am Freitagabend: Er richtete sich gegen ein Willkommensfest für die rund 120 Flüchtlinge. Dagegen mobilisierten in sozialen Netzwerken bislang unbekannte Personen. Über Whatsapp wurde laut "Welt" der Aufruf verbreitet, "Gewaltfrei, aber bestimmt zu zeigen, dass es Grenzen gibt". Die Polizei will jetzt die Urheber finden und ermittelt wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.
"Besorgte Bürger" betrunken und mit Kindern im Mob
Die Polizei war zwar auf Anti-Asyl-Proteste vorbereitet, ging aber nur von 30 bis 50 Teilnehmern aus. Da die Versammlung nicht angemeldet, sondern nur über Soziale Netzwerke organisiert war, hatte die Polizei nur vage Hinweise. Am Abend kamen dann 400 Menschen auf einem Supermarkt-Parkplatz zusammen, eine Versammlung war nicht angemeldet.
Unter den Teilnehmern waren überwiegend Einwohner Sachsendorfs, aber auch bekannte Neonazis. Teils waren die Demonstranten stark angetrunken und auch mit Kindern unterwegs. Schließlich zogen die Teilnehmer zur Flüchtlingsunterkunft. Den Anweisungen der Polizei, die illegale Versammlung aufzulösen, folgte niemand, auch weil es keinen verantwortlichen Ansprechpartner für den Aufzug gab. "Niemand konnte erklären, wer hier eigentlich verantwortlich ist", sagte Polizeisprecherin Ines Filohn der "Welt". "Einer geht vor und alle anderen gehen einfach hinterher. Stillschweigend." Die Polizei scheiterte mehrmals beim Versuch, den Aufmarsch zu stoppen und wurde von Demonstranten geradezu überrannt. Und die riefen lauthals: „Wir sind das Volk“, „Weg mit den Asylanten" und "Deutschland den Deutschen".
Angriff auf Polizisten - Gewaltausbruch knapp verhindert
Die Demonstranten - Neonazis und Anwohner - waren überaus aggressiv. Sie griffen die Poliziste an, bespuckten sie und überschütteten sie mit Bier, wie die „Lausitzer Rundschau“ berichtete. Erst kurz vor dem Flüchtlingsheim konnte eine Polizeikette den Aufmarsch stoppen und einen Zusammenstoß mit Flüchtlingshelfern und Asylbewerbern verhindern, die sich bereits mit Eisenstangen bewaffnet hatten."Geht doch zu Merkel, ihr Affen!", riefen die Demonstranten. Es hat nicht viel gefehlt - und die Situation wäre eskaliert. Laut „LR“ grölten die Teilnehmer noch, als sie abzogen: „Wir kommen wieder.“ Das Willkommensfest konnte weiter geführt werden, die Stimmung war allerdiings dahin. Bei Facebook ist bereits zu einer erneuten Demonstration gegen die Flüchtlingsunterkunft für kommenden Freitag aufgerufen worden.
Der Ort selbst ist historisch vorbelastet: Ende August 1992 hatten in Sachsendorf hunderte Neonazis mehrere Tage lang an derselben Stelle mehrere Wohnblöcke angegriffen, die als Asylunterkünfte genutzt wurden. Die Neonazis warfen Molotow-Cocktails, Flaschen und Steine, die Polizei musste damals Wasserwerfer einsetzen. Sachsendorf gilt als Viertel der Wendeverlierer und ist ein sozialer Brennpunkt: alte DDR-Plattenbauten, hohe Arbeitslosigkeit und die Droge Crystal Meth.
Am Wochenende Cottbus, Guben, Wriezen - was kommt noch?
Auch in Wriezen (Märkisch-Oderland) kam es am Samstag zu Anti-Asyl-Protesten. Während der „Christliche Verein junger Menschen“ (CVJM) im Stadtzentrum ein Willkommensfest veranstaltete, versammelten sich am Bahnhof mehrere hundert Einwohner und Neonazis, darunter Mitglieder der rechten Splitterpartei „Die Rechte“. Mehr als 100 Einwohner und Neonazis demonstrierten in der ostbrandenburgischen Grenzstadt Guben (Spree-Neiße) direkt vor einer Flüchtlingsunterkunft. Beworben wurde die Veranstaltung auf einer NPD-nahen Facebook-Seite. Bereits im Frühjahr demonstrierten hier 70 Neonazis aus NPD und Freien Kräften gegen die Einrichtung.
Auch für die kommenden Tage und Wochen sind in Brandenburg ähnliche Kundgebungen gegen Flüchtlingsunterkünfte angekündigt. Neonazis verzichten dabei gezielt auf Parteilabels, um eine breite Beteiligung zu erzielen. Bei einem landesweiten Aktionstag vor einer Woche in rund 20 Kommunen, welcher vorwiegend durch die NPD organisiert wurde, fanden sich weniger als 400 Teilnehmer ein.
In Sachsen kam es am Wochenende zu Gewaltaktionen. In Chemnitz griffen Neonazis Flüchtlingshelfer an, in Dresden warfen Unbekannte Feuerwerkskörper auf eine Asylunterkunft.
TV-TiPP:
„Dunkles Deutschland“ im Herbst 2015.: Eine RBB-Reportage hinterfragt die Front der Fremdenfeinde und entdeckt dabei Erstaunliches, in fast allen Bundesländern. 500 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in diesem Jahr. Wer sind die Brandstifter? Woher kommt der Fremdenhass? Vor allem: Gibt es eine (schweigende) Übereinkunft aus bürgerlichem Unmut und Rechtsextremismus? Den Fragen gehen Jo Goll, Torsten Mandalka und Olaf Sundermeyer in der Doku „Dunkles Deutschland“ nach. Die Autoren begeben sich auf Spurensuche in Sachsen, Brandenburg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Treffen auf AfD-Vize Alexander Gauland, für den die Anhänger der Pegida-Bewegung „natürliche Verbündete“ sind.
„Dunkles Deutschland - Die Front der Fremdenfeinde“, Montag, ARD, 22 Uhr 45
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