Grüne-Fraktion fordert: Brandenburg soll 500.000 Euro an NSU-Opfer zahlen
Aus Sicht der Grünen hätte Brandenburgs Verfassungsschutz die Mordserie des NSU verhindern können. Wenn er wichtige Infos an die Polizei oder Justiz weitergegeben hätte.
Potsdam - Einen Tag vor der entscheidenden Abstimmung zur Neuordnung des Verfassungsschutzes haben sich die Abgeordneten im Landtag erneut einen Schlagabtausch über die Rolle des Nachrichtendienstes geliefert. Im Kern ging es dabei um die brisante Frage, ob die Brandenburger Behörde eine Mitverantwortung an den Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) trägt. Für die Grünen lautet die Antwort eindeutig: Ja. Sie fordern deshalb, dass Brandenburg nach dem Vorbild Thüringens mindestens eine halbe Million Euro in den Fonds für die Angehörigen der NSU-Opfer einzahlt. Die Familien der neun ermordeten Migranten waren teilweise selbst über Jahre fälschlicherweise verdächtigt worden, hinter den Morden zu stecken.
Grüne: Brandenburg hätte die Mordserie vereiteln können
Wenn der Brandenburger Verfassungsschutz den Hinweis seines Spitzenspitzels „Piatto“ auf die Rechtsterroristen seinerzeit nicht nur an andere Nachrichtendienste, sondern an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben hätte, wäre die Chance besser gewesen, die untergetauchten Thüringer Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe noch vor Beginn ihrer Mordserie mit insgesamt zehn Opfern zu fassen, erklärte die Obfrau der Grünen im zu Ende gegangenen NSU-Untersuchungsausschuss, Ursula Nonnemacher. „Das Land Brandenburg trägt eine Mitverantwortung dafür, dass das später als NSU bekannte Neonazi-Trio jahrelange Morde begehen und Sprengstoffanschläge verüben konnte“, sagte sie am Mittwoch während der Debatte über den Abschlussbericht des U-Ausschusses. Die SPD hingegen erkenne die Mitschuld Brandenburgs nicht an. Deswegen wäre ein gemeinsames Votum im Sinne der SPD zur Arbeit des Ausschusses „eine Blamage für das Parlament gewesen“, so Nonnemacher – und vor den Opfern und ihren Angehörigen nicht zu vertreten. Wie berichtet gab es sieben Sondervoten zum Bericht des NSU-Ausschusses, der vor zehn Tagen vorgelegt wurde.
Der Vorwurf der Grünen, Brandenburg habe Schuld auf sich geladen, sei „ein starkes Stück“, erklärte hingegen die SPD-Abgeordnete Inka Gossmann-Reetz. Der Brandenburger Verfassungsschutz habe mit der Weitergabe der „Piatto“-Infos „die zentrale Botschaft gesendet“. Der Ausschuss, der nach einem Landtagsbeschluss seine Tätigkeit aufnahm, habe das deutlich herausgearbeitet. „Wir waren gründlich, sehr gründlich“, so die SPD-Obfrau. Am Ende habe sich aber kein neuer Skandal aufgetan. Mit der geplanten Novelle des Verfassungsschutzgesetzes würden zudem ausreichend Konsequenzen aus dem NSU-Ausschuss gezogen. Der Quellenschutz in der Zusammenarbeit mit V-Leuten müsse Grenzen habe. Das sei mit dem neuen Gesetz gewährleistet, das am heutigen Donnerstag nach koalitionsinternen Querelen zwischen SPD und Linke den Landtag passieren soll. Die Zustimmung innerhalb der Linken wackelt aber.
Der Obmann der Linken im NSU-Ausschuss, Volkmar Schöneburg, machte am Mittwoch ein ums andere Mal unmissverständlich deutlich, wie seine Haltung ist. „Für mich ist der Verfassungsschutz ein Fremdkörper in der Demokratie“, sagte der frühere Justizminister, der den heutigen Präsidenten des sächsischen Verfassungsschutzes und früheren Brandenburger Nachrichtendienstmitarbeiter Gordian Meyer-Plath der Falschaussage im Brandenburger Ausschuss bezichtigt. Das V-Mann-Wesen gehöre abgeschafft. Langfristig solle die Behörde durch ein wissenschaftliches „Analysezentrum zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ ersetzt werden, forderte Schöneburg. Den Vorschlag der Grünen, dass Brandenburg einen Beitrag für den Opferfonds leiste, unterstütze er.
Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) verteidigte den Verfassungsschutz des Landes gegen Bestrebungen zur Auflösung. Der Ausschuss habe eine Zeit vor 15 und mehr Jahren beleuchtet. Seither habe sich auch innerhalb der Behörde viel verändert. „Ich halte einen gut funktionierenden Verfassungsschutz mit einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle für notwendig für eine wehrhafte parlamentarische Demokratie“, so Schröter.
Für den Ausschuss-Vorsitzenden bleibt nur Staunen
Die oppositionelle CDU teilt die Einschätzung der Grünen, dass die Nichtweitergabe der „Piatto“-Infos an die Strafverfolgungsbehörden ein Fehler war. „Damit wurde eine Chance vertan, das Trio früher zu entdecken“, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer Jan Redmann. Aber er ziehe daraus andere Schlüsse als Grüne und Teile der Linken. Der Verfassungsschutz sei wichtig, er und besonders das V-Mann-Wesen müssten aber streng überwacht werden.
Der AfD-Abgeordnete Franz-Josef Wiese wiederum forderte, dass sich der Verfassungsschutz stärker um Linksextremismus und Islamismus kümmern solle. Wie berichtet fordert die AfD-Fraktion auch das Aufkündigen des in den 1990er-Jahren nach schweren rechtsextremistischen Übergriffen ins Leben gerufenen Handlungskonzeptes „Tolerantes Brandenburg“, weil es sich nicht gegen alle Formen des Extremismus wende.
Was also bleibt nach 45 Sitzungen, sechs Sachverständigenanhörungen, 210 Beweisanträgen und knapp drei Jahren Arbeit des Untersuchungsausschusses? Für den Vorsitzenden Holger Rupprecht (SPD), der bis zuletzt blass geblieben war in der Leitung des Gremiums, vor allem Staunen – über nichtöffentliche Verhöre in Schutzräumen in den Katakomben des Landtags und vermummte Zeugen. „So etwas kennt man ja sonst nur aus Funk und Fernsehen“, erklärte der frühere Bildungsminister.
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