Emotionaler Schlagabtausch: Beim PNN-Talk gerieten Jauch und Schubert aneinander
TV-Moderator Günther Jauch zeigte sich beim PNN-Talk im Angriffsmodus. Oberbürgermeister Mike Schubert verteidigte sich gegen die scharfe Kritik. Die Diskussion zum Nachlesen.
Potsdam - Wie hat sich Potsdam in den vergangenen 30 Jahren verändert? Sind Fehler gemacht worden, vor allem im Umgang mit DDR-Architektur? Warum fühlen sich manche Potsdamer heute entfremdet von ihrer Stadt? Hat das etwas mit den hohen Mieten zu tun? Und wie kann man in der an vielen Punkten stark polarisierten Diskussion um Stadtentwicklung – Stichworte: Garnisonkirche, Fachhochschule, Rechenzentrum, Mercure, Minsk – wieder aufeinander zugehen? Um diese Fragen ging es am Dienstagabend beim PNN-Talk „Heimat Potsdam?!“ im ausverkauften einstigen Defa 70 in der Babelsberger Medienstadt, heute ein topmodernes Kinomischstudio der Firma Rotor.
Der ganze PNN-Talk im Video:
Auf dem Podium saßen vier Potsdamer, die alle seit langem für ihre Stadt brennen und sie lieben – die diese Leidenschaft aber ganz verschieden leben: Der in Potsdam aufgewachsene Medienunternehmer Peter Effenberg, der mit seinem PNN-Gastbeitrag vor knapp einem Jahr die Heimatdebatte wieder angestoßen hatte; der TV-Journalist Günther Jauch, der seit den 1990er-Jahren nicht nur in viele Sanierungs- und Restaurierungsprojekte und das Fortunaportal am späteren Stadtschloss investiert hat, sondern unter anderem auch das Kinderhilfsprojekt Arche in Drewitz finanziert; Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD), der bei seinem Amtsantritt Ende 2018 angekündigt hatte, die Potsdamer in Fragen der Stadtentwicklung wieder mehr ins Boot zu holen und Gräben schließen zu wollen, und die Grünen-Stadtverordnete Saskia Hüneke, die seit 1988 für den Erhalt der historischen Bausubstanz kämpft.
Jauch kritisierte Schubert für Entscheidung zum Goldenen Buch
Die 220 Gäste im Defa 70 erlebten eine emotional geführte Debatte, die zwischenzeitlich zum Schlagabtausch zwischen Schubert und Jauch wurde. Jauch war dabei ein Stück weit die Enttäuschung über den neuen Kurs im Potsdamer Rathaus anzumerken. Etwa, wenn er Schubert wiederholt dafür kritisierte, dass er als Oberbürgermeister einer streitbaren linksalternativen Persönlichkeit wie Lutz Boede Platz im Goldenen Buch der Stadt gemacht hat – wohl in der Hoffnung auf Wählerstimmen von links, wie Jauch vermutete. Das wies Schubert zurück. Es gehe ihm darum, Brücken zu bauen: „Aufgabe eines Oberbürgermeisters ist es nun mal, zu versuchen, Stadtgesellschaft immer wieder zusammenzuführen.“ Es sei über Jahre hinweg versäumt worden, den Ausgleich zwischen verschiedenen Identitäten in der Stadt zu erreichen, so der Oberbürgermeister.
Das manifestiert sich in den erbittert geführten Debatten um Gebäude wie die Fachhochschule, das Hotel Mercure, das Terrassenrestaurant Minsk oder das Rechenzentrum. Auch am Dienstagabend klangen die Dauerstreitthemen an – mit teils neuen Tönen. So machte Schubert seinen Standpunkt zur Garnisonkirche deutlich: Es gehe ihm um eine Lösung unter Einbeziehung aller Seiten, betonte er. Einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen werde er im September/Oktober machen, kündigte er an. Er könne sich vorstellen, dass der Verzicht auf den Bau des Kirchenschiffs Teil eines Kompromisses sein könnte, sagte er auf Nachfrage aus dem Publikum vom früheren SPD-Stadtverordneten und Stadtpräsidenten Helmut Przybilski. Günther Jauch wiederum verteidigte seine Unterstützung für das Projekt – für das er sich erst entschieden habe, nachdem die Stiftung von der Forderung nach dem Aufbau der kompletten Kirche abgerückt ist: „Der Turm würde eine Riesenattraktion für Potsdam bedeuten!“ Die Geschichte der Kirche zur NS-Zeit lässt er als Gegenargument nicht gelten: „Ein böser Geist der Vergangenheit hat für meine Begriffe nie etwas mit Gebäuden oder Plätzen zu tun, sondern immer mit Menschen.“
Jauch: Wohnungen bauen lohnt sich für keinen Vermieter
Im Angriffsmodus zeigte sich Jauch bei der Frage nach Schuldigen für die hohen Potsdamer Mieten: „Die Stadt ist einer der größten Preistreiber“, erklärte er. Anhand eines von der Stadt für rund zwei Millionen Euro verkauften 1000 Quadratmeter großen Grundstückes an der Berliner Straße rechnete er vor, dass sich der Kauf und die Errichtung von Wohnungen bei einer Quadratmetermiete von zehn Euro frühestens nach 50 Jahren für einen Investor rechnen würde. „Und den größten Reibach hat da schon die Stadt Potsdam gemacht.“ Das lohne sich für keinen Vermieter: „Es lohnt sich nur für einen Spekulanten.“ Er habe sich beispielsweise um den Kauf der Volkshochschule in der Dortustraße beworben, um dort Studentenwohnungen zu schaffen, sagte Jauch. Damit sei er aber – offenbar wegen eines höheren Angebots – auf kein Interesse gestoßen: „Die Stadt Potsdam verdient richtig am Bauland!“ Schubert hielt ebenso energisch dagegen. Die Stadt sei keine Privatperson, „die das Geld in die Tasche steckt“, sagte er. Das Geld fließe zum Beispiel in notwendige Infrastruktur, an der sich Investoren „nicht in dem Maße“ beteiligten: „Eine neue Schule kostet 25 Millionen Euro, die bezahlt mir keiner!“ Investoren würden auch nicht „aus rein karitativen Zwecken preiswert bauen“, merkte Schubert an.
Selbstkritische Töne gab es vom Oberbürgermeister zur bisherigen Entwicklung in der Potsdamer Mitte. Es sei bei den Entscheidungen zu oft nur um „eine reine Restauration“ gegangen, es habe die Bereitschaft gefehlt, „Brüche zuzulassen“. Darin fänden sich viele Potsdamer nicht wieder: „Da müssen wir ein bisschen mehr hinhören“, sagte Schubert und erntete Applaus. Die Abrissentscheidungen, die er selbst mit getragen habe, seien „teilweise zu unsensibel gefallen“, räumte er auf Nachfrage von Moderatorin und PNN-Chefredakteurin Sabine Schicketanz ein. „Auch der Innenstadtbereich muss verschiedene Identitäten widerspiegeln, vielleicht waren wir an der einen oder anderen Stelle etwas zu forsch.“
Schubert: "Zum Teil begeben wir uns sofort in Schützengräben"
Schubert sieht das Problem als Generationenfrage: Während die ältere Generation teils noch persönliche Erinnerungen mit Gebäuden wie dem Stadtschloss und der Garnisonkirche verbinde, seien die später Geborenen „in einem anderen Potsdam aufgewachsen“. Der Bezug zur Kindheit auf beiden Seiten sei „völlig legitim“, betonte Schubert. Klar sein müsse aber auch: „Wenn ich Dinge abreiße, nehme ich damit einer anderen Generation Teile ihrer Identität.“ Als Beispiel nannte er das Ernst-Thälmann-Stadion, das dem Lustgarten gewichen ist, und den Rohbau des Hans Otto Theaters auf dem Alten Markt, der für den Wiederaufbau des Stadtschlosses abgerissen wurde. Die jeweils andere Perspektive müsse man wahrnehmen. Potsdamer Debatten wie die um die Garnisonkirche seien auch deshalb so verfahren, „weil wir uns sofort in die Schützengräben begeben“, so Schubert: „Wir müssen ein Stück weit mit diesem Gegeneinander aufhören.“
Günther Jauch und Saskia Hüneke teilten diese Einschätzung nicht. Er käme nie auf die Idee, sich das West-Berlin der Nachkriegsjahre zurückzuwünschen, auch wenn er schöne Erinnerungen daran habe, sagte Jauch. In Potsdam habe es aber unter der DDR eine systematische Zerstörung des Stadtgrundrisses gegeben. Es sei zudem nicht richtig, dass es heute keine DDR-Architektur mehr gebe, sagte Jauch. Als Beispiele nannte er das Alte Rathaus, das Hotel Mercure, die Seerose und Plattenbaugebiete wie Drewitz: „Egal, wo Sie in Potsdam hinschauen, sehen Sie diese DDR-Architektur.“ Aus seiner Abneigung machte er keinen Hehl: „Das ist für meine Begriffe in weiten Teilen genau so furchtbar, wie das, was wir zu dieser Zeit im Westen gemacht haben.“ Abrisse „aus ideologischen Gründen“ seien aber auch der verkehrte Weg: „Das wäre das Allerfalscheste.“ Saskia Hüneke ihrerseits verwies auf die wiederholten Beschlüsse zur Potsdamer Mitte in der Stadtverordnetenversammlung, die das Vorhaben über vier Legislaturperioden immer wieder mehrheitlich bestätigt haben: „Die Beschlusslage ist Ergebnis eines offenen intensiven Diskurses.“
Effenberg forderte starkes Selbstbewusstsein der Ostdeutschen
Peter Effenberg wollte den Blick von solchen Details in den Potsdamer Debatten auch wieder aufs große Ganze lenken. Für den 45-Jährigen ist das in seinen PNN-Beiträgen beschriebene Unbehagen mit der Entwicklung seiner Heimatstadt auch eine spezifisch ostdeutsche Erfahrung. Er beklagt ein Desinteresse an den Lebenserfahrungen von Ostdeutschen, das sich auch bei der Frage nach Erhalt oder Abriss von Gebäuden zeige. Dabei hätten die Ostdeutschen, die sich vor 30 Jahren die friedliche Revolution selbst erarbeitet hätten, gerade Grund für ein starkes Selbstbewusstsein. Das müsse man nutzen und klar machen, sagte Effenberg: „Wir haben auch etwas erlebt und möchten an der Debatte teilnehmen.“
Dazu gehöre auch der Mut, mitzumachen, betonte Mike Schubert, der selbst in Schwedt geboren und in Potsdam aufgewachsen ist. Er beobachte immer wieder, dass sich gerade Zuzügler „sehr zügig in der Stadt organisieren“, etwa in Parteien oder Initiativen. Das habe aber nichts mit einer vermeintlichen Bevorzugung zu tun. Es reiche nicht aus, das Ostdeutsch-Sein „wie eine Monstranz vor sich herzutragen“, sagte Schubert: „Wir müssen uns auch fragen: Wie viel bringen wir uns denn ein?“