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Fotograf Bernd Blumrich mit Uta Gerlant, der Leiterin der Gedenkstätte. 
© Ottmar Winter

Zwischen den Zeiten: Ausstellung gibt Einblicke in Stasigefängnis

Bernd Blumrich war im Januar 1990 dabei, als Potsdams Bürgerrechtler das Stasigefängnis übernahmen. Eine Ausstellung zeigt jetzt Bilder des Fotografen.

Potsdam - Mustertapete an der Wand, davor Polstermöbel mit übergeworfenen Karo-Wolldecken. Sofakissen. Auf dem Fußboden Linoleum in Holzoptik, ein Paar Filzhausschuhe. Der Aufenthaltsraum für die Frauen, die in der Bügelstube des Gefängnisses arbeiteten, sollte wohnlich wirken. Sogar Tierbilder hängen an der Wand und zwei mickrige Topfpflanzen. Ein piefiger, beinah spießbürgerlich hergerichteter Raum. War es Erleichterung und Abwechslung, hier mal sitzen zu dürfen? Oder erst recht eine Demütigung?

Als der Kleinmachnower Fotograf Bernd Blumrich ein Foto von diesem Raum machte, war es erst wenige Tage her, dass er noch genutzt worden war. Anfang Januar hatten die letzten Häftlinge das Gefängnis in der Lindenstraße verlassen und am 11. Januar 1990 fand eine erste Begehung mit Vertretern der neuen Bürgerbewegungen und Parteien statt. Bernd Blumrich war dabei und machte Bilder, die von einem zwar überstürzten aber auch perfide geplanten Rückzug erzählen. Man ahnt, dass trotz des zurückgelassenen Mülls viel vertuscht wurde. Das alleine macht betroffen.

Ausstellung zeigt 15 Bilder

Jetzt werden 15 dieser Bilder in der Gedenkstätte, die das frühere Gefängnis seit 1995 ist, gezeigt. Als große Bildtafeln mit den nötigen Erklärungen stehen sie genau dort, wo Blumrich damals beim Fotografieren stand. Der Besucher hat auf seinem Rundgang durch das weitestgehend in seinem früheren Zustand als Stasiknast erhaltene Haus jetzt auch die Zeit der Übernahme vor 30 Jahren vor Augen. Die Ausstellung „Zeiten des Umbruchs 1989/90. Eine fotografische Intervention in der Gedenkstätte Lindenstraße“ bildet Vergangenheit, Unrechtsstaat, Revolution und den Beginn der neuen Zeit in einem ab. 

Im Aufenthaltsraum für die Frauen standen sogar Polstersessel.
Im Aufenthaltsraum für die Frauen standen sogar Polstersessel.
© Bernd Blumrich

Blumrich war der Dokumentar und Archivar. Die Intervention liegt beim Besucher, der sich der Spannung und der Erinnerung aussetzt. Das ist, auch im Abstand von drei Jahrzehnten, immer noch bewegend und berührend.
Auf den Bildern vom ehemaligen historischen Gerichtssaal ist der politische Umbruchsprozess besonders sichtbar. In dem von den Stasimitarbeitern als Kulturraum genutzten Saal prangte an einer Wand die politische Losung „Mit dem Blick auf den XII. Parteitag die Aufgaben der Gegenwart lösen“. Im Januar 1990 sind einzelne Buchstaben schon heruntergefallen. Auflösung ganz bildhaft. Ein zweites Foto zeigt den Berg voller Aktenordner und Tonbandschachteln.

Heute stehen hier bequeme Stuhlreihen für Veranstaltungen. Im Januar 1990, sagt Blumrich, fand man hier auch elektrisches Gerät, Fotoprojektoren, Tonbandgeräte. Es ist der Raum, in dem damals Vertreter von Neuem Forum, Demokratie Jetzt, SDP und Argus anhand von Bauplänen des Gebäudes festlegten, wer welche Räume für Büros bekam. „Eine Mitarbeiterin vom Rat der Stadt führte erst uns herum. Am 20. Januar fand der erste Tag der offenen Tür für alle statt“, erinnert sich Blumrich.

Im sogenannten Kulturraum blieb ein Berg leerer Aktenordner zurück.
Im sogenannten Kulturraum blieb ein Berg leerer Aktenordner zurück.
© Bernd Blumrich

Vieles von damaliger Einrichtung verloren

An jenem Tag stand das Volk, das Jahrzehnte nicht mal den Bürgersteig vor dem Haus Lindenstraße 54 betreten durfte, während drinnen vor allem politische Häftlinge litten, in Gefängnishof, Zellentrakt und Überwachungsbüro, schaute sich Küche und Waschräume an. Heute ist von der damaligen Einrichtung vieles verloren. Oder zurückgebaut. Und so ist es gut, den Zustand direkt nach Auszug sich wieder in Erinnerung rufen zu können. Auch wenn der bereits geschönt war. „Alle Zellen waren frisch mit Ölfarbe gestrichen, damit es gut aussah“, so Blumrich. Die neuen Hausherren hingen Schilder auf: „Bitte nichts entwenden“. 

Wenige Tage nachdem das Foto entstanden war, verschwand der Behandlungsstuhl.
Wenige Tage nachdem das Foto entstanden war, verschwand der Behandlungsstuhl.
© Bernd Blumrich

Trotzdem sei in den ersten Wochen vieles weggekommen. Die Menschen, die damals das Haus besichtigten, seien bewegt gewesen. Aber Zeit zum Nachdenken oder gar Aufarbeiten hatte keiner. „Da war erstmal Staunen, dass man jetzt hier stand“, so Blumrich. „Vor allem ging es darum, endlich mit der politischen Arbeit zu beginnen. Das war das Wichtigste.“ Bei aller Euphorie standen vielen Besuchern damals dennoch Schmerz, Trauer und Entsetzen in den Gesichtern. Die Autorin und Publizistin Lea Rosh kam aus Westberlin, um sich das Gefängnis anzusehen und war bestürzt. 

Die Publizistin Lea Rosh im Flur des Zellentrakts.
Die Publizistin Lea Rosh im Flur des Zellentrakts.
© Bernd Blumrich

Auf dem Flur im Zellentrakt hat Blumrich sie fotografiert: ernstes Gesicht und wie beim Frösteln verschränkte Arme. Rudolf Tschäpe vom Neuen Forum setzte sich im Foto-Raum auf den Stuhl, auf dem die Häftlinge erkennungsdienstlich fotografiert wurden. In seinem Gesicht ein skurriles, noch ungeübtes Siegerlächeln.

Rundolf Tschäpe auf dem Foto-Stuhl der Stasi.
Rundolf Tschäpe auf dem Foto-Stuhl der Stasi.
© Bernd Blumrich

Häftlinge durften alle 14 Tage duschen

Weitere Bildtafeln zeigen die Gefängnisküche mit den Großgeräten und Möbeln, die es heute alle nicht mehr gibt. Nur auf dem Boden sind die Grundrisse zu erkennen. Das Foto vom Duschraum ist nüchtern: Die typischen graubunten DDR-Handtücher hängen noch an der Hakenleiste, aber in der Zellenecke liegt bereits eine zerknüllte Alditüte. „Die Häftlinge durften wöchentlich oder alle 14 Tage duschen“, steht im Bildtext. Zu sehen ist auch eine saubere Krankenzelle, die sogenannte Bibliothek mit einem Regal politisch-korrekter Bücher und im Hof die Freigangzellen von der Größe einer halben Garage. Die Menschen davor wirken verloren.

Blumrich hält es für wichtig, sich damit immer noch und wieder auseinander zu setzen. „Es ist gut, dass das Haus Gedenkstätte und Museum wurde“, sagt er. „Das Haus ist ein plastisches Beispiel für das, was anderswo noch praktiziert wird. In der Türkei zum Beispiel. Und wenn man nichts dagegen unternimmt“, stellt er hypothetisch in den Raum: „Könnte es nicht auch hier schnell wieder so sein?“ 

Bis 3. Oktober in der Gedenkstätte Lindenstraße, Lindenstraße 54, geöffnet, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Mehr Bilder gibt es im Online-Bildarchiv von Bernd Blumrich hier.

Steffi Pyanoe

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