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Geteiltes Leid. Heidelore Rutz und Jochen Stern saßen zu ganz unterschiedlichen Zeiten im Gefängnis Lindenstraße. Nun berichteten sie in der Gedenkstätte von ihrem Schicksal.
© Ottmar Winter

Berichte aus der Haft: Als die Staatsmacht zuschlug

Heidelore Rutz und Jochen Stern berichteten beim Zeitzeugengespräch in der Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam von Verfolgung und Haft.

Potsam - Die Perspektive war brutal. Niederschmetternd. Geradezu vernichtend. Zu 25 Jahren Zwangsarbeit hatte man Jochen Stern 1948 verurteilt. Der Vorwurf: Spionage. Sterns Entlassungsdatum hätte exakt der – damals unendlich fern scheinende – 13. Oktober 1972 sein sollen. „So stand es auch in der Kartei“, berichtete der heute 90-Jährige am vergangenen Dienstagabend in einem Zeitzeugengespräch in der Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße. Hier an diesem Ort, an dem damals der sowjetische Geheimdienst ein Untersuchungsgefängnis betrieb, begann die Haftzeit von Jochen Stern.

Zu viel Bürgersinn

Jahrzehnte später, im Jahre 1983, saß im selben Haus auch Heidelore Rutz in Haft. Sie hatte zuvor mit ihrem Mann Dietrich einen Antrag auf Ausreise aus der DDR gestellt. Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen und sich auch mit Gleichgesinnten zu treffen, war das Ehepaar in Jena zum sogenannten Weißen Kreis gestoßen – eine Art stumme Demonstration, bei der sich Ausreisewillige auf dem Platz der Kosmonauten im Zentrum der thüringischen Universitätsstadt versammelt hatten. Am 30. Juli 1983 werden die Teilnehmer der stummen Demo in Jena verhaftet. Die Staatsmacht duldete so viel Bürgersinn nicht. Heidelore Rutz wird nach Potsdam in die Lindenstraße gebracht. Da war das Haus schon längst kein Gefängnis der Sowjets mehr, sondern – seit Anfang der 1950er Jahre, ein Untersuchungsknast der DDR-Staatsicherheit.

Auch Heidelore Rutz, in Potsdam heutzutage nicht zuletzt durch ihre Mitwirkung am Hans Otto Theater im Stück Staatssicherheiten bekannt, berichtete am Dienstagabend im Zeitzeugengespräch von ihrer Haftzeit in der Lindenstraße. Eine „totale Isolation“ habe hier geherrscht. Von Sommer 1983 bis kurz vor Weihnachten desselben Jahres saß Rutz, die heute in Potsdam lebt, im Stasiknast ein, dann überstellte man sie in das Frauengefängnis Hoheneck im Erzgebirge. Erst ein Häftlingsfreikauf durch den Westen schenkte Rutz und ihrem Mann die Freiheit: Im Mai 1984 konnten beide nach Westdeutschland ausreisen.

Keine Informationen von den Kindern

Die ersten Tage der Haft waren für Rutz durch die Sorge um die beiden damals neun und 13 Jahre alten Söhne geprägt. „Wo sind die Kinder? Das wussten wir wochenlang nicht“, berichtete Rutz in der Gedenkstätte. Man hatte die Söhne zunächst in einem Heim untergebracht. Bald jedoch konnte die Familie von Heidelore Rutz’ Schwester die beiden Kinder aufnehmen. Erst zwei Monate nachdem Rutz und ihr Mann in den Westen aussiedeln konnten, kamen die Kinder nach. Es waren zwei Monate der Angst, ob die Söhne nun auch wirklich nachkommen dürfen, erinnert sich Rutz. Und der Moment, als sie ihre Sprösslinge schließlich am Bahnhof in Empfang nehmen kann, der sei „eben unfassbar“ gewesen. „Ich zitterte am ganzen Leib.“ Vor allem der Kinder wegen hätten sie damals den Ausreiseantrag gestellt, sagt Rutz. Die Söhne sollten das Abitur machen können. Die Befürchtung war groß, dass ihnen dies als Christen verwehrt worden wäre.

Während die Haftzeit für Heidelore Rutz und ihren Mann „nur“ zehn Monate dauerte, blieb Jochen Stern zwar nicht das für ihn vorgesehene Vierteljahrhundert in Haft, aber immerhin doch mehr als sechs Jahre. Von Oktober 1947 bis zum September des Folgejahres steckten ihn die Sowjets zunächst in den Potsdamer Knast in der Lindenstraße. Stern, der später Schauspieler wurde – unter anderem spielte er Alfred Tetzlaffs Freund Koslowski in der Serie „Ein Herz und eine Seele“ – war gerade einmal 19 Jahre alt, als man ihn inhaftierte. Er stammte aus Frankfurt (Oder). In einem dortigen Kursus für Junglehrer, den er belegte, hatte man den Kursteilnehmern gesagt, sie sollten in irgendeiner Weise ein politisches Bekenntnis ablegen und sich in einer Partei engagieren, erzählte Stern am Dienstag in der Gedenkstätte. Er habe sich damals für die liberaldemokratische LDP entschieden. Als er einem Dozenten von seinem Parteieintritt berichtet habe, da sei der sehr traurig geworden. So könne man ihn ja gar nicht als Genossen anreden, eröffnete er Stern. Nur die Mitglieder der mächtigen SED waren schließlich Genossen.

Spionagevorwurf war schnell konstruiert

Und dann, so Stern, habe er auch noch jemanden gekannt, der Kontakte zu einem CDU-Mann nach Westberlin hatte. Schnell war so der Spionagevorwurf konstruiert. Eine Gruppe von mehr als 40 Menschen wurde schließlich wegen angeblichen Aufbaus eines Spionagezentrums festgenommen – ein Vorwurf, der, wie Stern betont, völlig aus der Luft gegriffen war. Inzwischen sei er von Russland rehabilitiert worden. Damals jedoch in Potsdam kam Stern, der heute in Bonn lebt, vor ein sowjetisches Militärtribunal. Und hier wurde er zu 25 Jahren verurteilt. Nach Ende seines Prozesses ging es für Stern von Potsdam aus in den Knast nach Bautzen. Im Januar 1954 wurde er aufgrund einer Amnestie in den Westen entlassen. Dorthin waren mittlerweile auch seine Eltern übergesiedelt. Ihnen konnte er in der Haft lange Zeit kein Lebenszeichen zukommen lassen. „Meine Angehörigen waren fast zwei Jahre ohne Nachricht“, berichtete Stern. Bis August 1949 habe er niemandem mitteilen können, dass er lebe.

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