Kreativquartier in Potsdams Mitte: Ambitionen und Misstöne
Bald wird das neue Kreativquartier in der Innenstadt errichtet – doch einige Künstler schlagen Alarm. Sie fühlen sich nicht gehört und genügend beteiligt.
Potsdam - Die Planungen, eine der letzten Brachen in der Potsdamer Innenstadt zu einem urbanen Kunst- und Kreativkiez mit teilweise subventionierten Mieten zu gestalten, kommen voran. Voraussichtlich ab September wird die Baustelle für das neue Kreativquartier auf dem Gelände der ehemaligen Feuerwache an der Werner-Seelenbinder-Straße eingerichtet. Das kündigte Christopher Weiß vom Investor, dem Projektentwickler Glockenweiß, am Freitag auf PNN-Nachfrage an. Am Vorabend hatte er bereits im Kulturausschuss zahlreiche neue Details und Bilder für das rund 85 Millionen Euro teure Vorhaben vorgestellt – wobei es auch Missklänge gab.
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Weiß erläuterte im Ausschuss, in dem Kiez seien für die Öffentlichkeit auch gastronomische Einrichtungen und Einzelhandel geplant, sowie mindestens zwei bis drei Räume für Konzerte oder andere Veranstaltungen. Einziehen soll auch eine Musikschule. Nach Terminen im Potsdamer Gestaltungsrat, der die Stadt in Architekturfragen berät, habe es noch Änderungen für den Eingangsbereich des Quartiers gegeben – „zum Guten“, wie er sagte.
So soll die große Halle des sogenannten Langen Stalls zum Eingang, Treffpunkt und Veranstaltungsraum werden. „Ein Kommunikationsort für alle, egal ob Künstler:innen, Besucher:innen oder einfach Interessierte“, heißt es dazu auch im eigens eingerichteten Internet-Blog für das Großprojekt. Vorgesehen ist auch ein rund vier mal vier Meter großer Glasbildschirm auf dem Dach, der sich multimedial bespielen lasse. Dafür habe man schon die Firma Xenorama aus dem benachbarten Kreativhaus Rechenzentrum gewinnen können.
Der DDR-Bau ist in mehrfacher Hinsicht Taktgeber. Im ersten Bauabschnitt sollen in dem neuen Kreativquartier bis Herbst 2023 rund 4300 Quadratmeter Nutzfläche entstehen – so viel, wie jetzt im Rechenzentrum zur Verfügung stehen. Dieses soll wie berichtet nach 2023 abgerissen werden soll, was allerdings hochumstritten ist und keinesfalls als sicher gilt.
Weiß sprach gegenüber den PNN von einem „straffen Zeitplan“, er sei aber „guten Mutes“. So soll noch im Juni der Bauantrag für das gesamte Quartier eingereicht werden, „150 Leitzordner“ voller Akten. Allein für die nötigen Unterschriften müsse er wohl einen Tag sitzen, sagte Weiß.
Kritik nicht nur am "straffen Zeitplan"
Die Schnelligkeit und andere Aspekte des Großvorhabens passen aber nicht jedem – zumal eigentlich eine Beteiligung der Kreativen vorgesehen ist. Allerdings kritisierte Frauke Röth aus dem Rechenzentrum, sie sei inzwischen frustriert aus dem Prozess ausgestiegen. Es handele sich nicht mehr um eine gemeinwohlorientierte Entwicklung. Auch Annette Paul vom Rat für Kunst und Kultur bemängelte den „großen Zeitdruck“, die eine angemessene Beteiligung schwierig mache: „Wir fühlen uns manches Mal nicht gehört.“
Hingegen verwies Weiß auf produktive runde Tische mit den Kreativen. Diese hatten zum Beispiel im vergangenen November moniert, es würden noch Bandprobenräume fehlen. Nun sagte Weiß, auf bis zu 900 Quadratmetern seien Probenräume geplant, aus Lärmschutzgründen in Untergeschossen: „Das deckt ein Drittel des Bedarfs in Potsdam.“
Gleichwohl gebe es einen straffen Zeitplan, eine Vorgabe der Stadtpolitik. Werde das Kreativquartier nicht rechtzeitig fertig, müsse er eine Vertragsstrafe zahlen, so Weiß. Wie berichtet sollen in dem Quartier potente Mieter auch dafür sorgen, dass die Preise für andere Räume bei neun Euro pro Quadratmeter liegen können. Dem städtischen Potsdam Museum war zum Beispiel für Ausstellungsräume ein Mietpreis von rund 34 Euro pro Quadratmeter angeboten worden.
SPI und Genossenschaft sollen Inhalte vorschlagen
Klarer wird nun auch, wer künftig im Quartier das Sagen hat und entscheidet, wer welche Räume bekommt. Weiß erklärte, die Stiftung SPI, die bereits das Rechenzentrum verwaltet, und eine neugegründete Genossenschaft aus dem Künstlerhaus sollten die Inhalte vorschlagen – die Mietverträge selber zeichne dann Glockenweiß. Genaue Kriterien sollten Anfang nächsten Jahres feststehen. „Wir übernehmen das wirtschaftliche Risiko.“ Im Ausschuss hatte Weiß auch gesagt, man suche keinen Generalmieter mehr, um ein Ausfallrisiko zu begrenzen. Potenzielle Interessenten konnten damit also nicht zum Zuge kommen.
Zugleich kündigte Weiß an, zur Finanzierung setze man auch auf einen Nachhaltigkeitsfonds, der nach den Vorstellungen der EU strenge Mindestanforderungen für Transparenz, Klimaschutz und soziale Kriterien erfüllen müsse. Dieser sogenannte ESG-Fonds könnte später zum Eigentümer und „nachhaltigem Betreiber werden“. Weiß sagte, für den Klimaschutz seien auf den Dächern des Kreativquartiers auch Photovoltaikanlagen vorgesehen.
Rechenzentrum-Nutzer kritisieren Verkauf an Investmentfonds
Kulturvertreter sehen das alles aber mit Sorge. In einer gemeinsamen Erklärung von Nutzern des Rechenzentrums war am Freitag von einem „Verkauf an internationalen Investmentfonds“ aus der Versicherungsbranche die Rede. Vertreter dieses Fonds würden schon zur inhaltlichen Ausrichtung des Quartiers mitsprechen. Auch die Betreiberschaft durch Glockenweiss sei so eigentlich nicht gedacht gewesen, monierten die Kreativen. Wichtig sei aus ihrer Sicht ein Entwicklungsbeirat, der das Projekt begleite, hieß es weiter.
Projektentwickler Weiß sagte hingegen, die Nutzerbindung für Potsdams Kunst- und Kreativwirtschaft sei aus seiner Sicht weiterhin gegeben. Zugleich solle es auch ein Kuratorium und einen Beirat geben, erinnerte er. Außerdem kündigte er an, für die nun begonnene Namensfindung für das Quartier wolle er auch die Stadtgesellschaft einbinden: Details würden noch folgen.