Interview | Chefstadtplaner Andreas Goetzmann: "Am Griebnitzsee müssen wir ins Risiko gehen"
25 Jahre lang leitete Andreas Goetzmann das Planungsamt der Stadt Potsdam. Ende April geht er in Rente. Ein Gespräch über das Spannungsfeld zwischen Historie und Moderne, den Uferwegsstreit am Griebnitzsee und das autoarme Krampnitz.
Herr Goetzmann, Sie sind 1996 nach Potsdam gekommen. Vorher waren Sie in Essen und Leverkusen tätig. Was hat Sie hier gereizt? Wie war Ihr erster Eindruck?
Ich habe in den Jahren 1993 und 1994 fast im Monatsrhythmus Anfragen von Personalberatungsbüros bekommen, die jemanden für Planungsbüros unterschiedlicher Städte gesucht haben. Ich hatte zwar Lust, noch einmal etwas anderes zu machen. Aber ich hatte von Kollegen gehört, die in die neuen Bundesländer gegangen sind, das ist eine große Herausforderung was Zeit und Familie angeht, da man sich komplett neu einstellen muss. Und dachte: Das machst du nicht. 1995 bin ich mit der Familie in den Herbsturlaub nach Süddeutschland gefahren und hatte einen Stapel Fachzeitschriften dabei. Als ich die auf dem Beifahrersitz durchgeblättert habe, fiel mir die Stellenausschreibung als Leiter Planungsamt in Potsdam ins Auge. Da dachte ich sofort: Das wäre doch was. Mich hat die Situation der Stadt gereizt. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Historie und Entwicklung. Der erste Eindruck: Die Stadt hat mich auf der Stelle süchtig gemacht.
Sie nannten damals als Grundvorstellung, Sie wollen „die Geschichte berücksichtigen, ohne moderne Entwicklungen zu hemmen“. Ist Ihnen das gelungen?
Ich würde nie sagen, mir ist das gelungen. Das Geschäft in der Stadtplanung ist schon lange nicht mehr auf eine Person zentriert, sondern in einem enormen Maße Teamarbeit. Ich würde sagen: Uns ist das gelungen. Natürlich wird immer wieder kontrovers diskutiert. Je nachdem, aus welchem Blickwinkel das kommt, ist es manchen zu viel Historie, manchen zu viel Bruch zu neuen Entwicklungen. Die entscheidende Qualität Potsdams ist es, dass das immer gut miteinander funktioniert. Beides hat seine Berechtigung.
Was sehen Sie als Ihren größten Verdienst für die Stadt Potsdam?
Ich würde eher nach den Highlights suchen, bei denen sich Entwicklung sichtbar gelohnt hat. Ein Bereich, der zuweilen einen etwas holprigen Weg hinter sich gebracht hat, ist die Speicherstadt. Ich bin davon überzeugt, wenn das in drei oder vier Jahren fertig ist, wird man sehen, welch enorme Qualität sich dort für die Stadt ergeben hat.
Die Heerschar an Anwälten, die uns in dem Verfahren auf der Gegenseite begleitet hat, ist schon heftig.
Andreas Goetzmann
Gibt es etwas, das Sie bereuen, oder im Nachhinein gern anders gemacht hätten?
Ein Block, bei dem man sicherlich sagen muss, da haben wir in erheblichem Maß Misserfolg eingesammelt, ist die Geschichte mit dem Uferweg am Griebnitzsee. Man kann nicht sicher sein, ob das Oberverwaltungsgericht nicht auch in einem dritten Anlauf einen Punkt finden wird, in dem es der Auffassung ist, dass wir die Eigentumsrechte nicht hinreichend gewürdigt haben. Das ist ein Stück frustrierend. Dennoch ist für die Stadtplanung der politische Wille in der Stadt maßgeblich. Da müssen wir auch ins Risiko gehen.
2004 hieß es in einem PNN-Text, Sie befänden sich in einer Sackgasse beim Thema Uferweg am Griebnitzsee. Mehr als 15 Jahre später gibt es den Weg immer noch nicht. Warum konnte die Stadt diesen Konflikt nie lösen?
Eigentumsrechte haben eine enorm hohe verbriefte Stellung. Der Eingriff in privates Eigentum mit einer solchen Planung stellt eine immens hohe Hürde dar. Wenn Sie als Breitensportler sich daran machen, Hochsprung über Höhen von 1,60 Meter zu machen, dann springen Sie immer sauber unter der Latte durch. Da braucht es immense Anstrengungen und Training, um über eine solche Hürde zu kommen. Und selbst die, die gut trainiert haben, reißen die Hürde von Zeit zu Zeit. Ich verstehe durchaus, wenn Potsdamer sagen, das kann doch nicht so schwer sein.
Was macht es so schwierig?
Es spielt auch eine Rolle, dass wir es in der Ufersituation am Griebnitzsee mit Betroffenen zu tun haben, die alle Möglichkeiten haben, sich rechtliche Unterstützung zu besorgen. Die Heerschar an Anwälten, die uns in dem Verfahren auf der Gegenseite begleitet hat, ist schon heftig. Das ist schon etwas anderes, als eine Doppelverdienerfamilie, die bis zu Rente den Kredit für das Einfamilienhaus abzahlt. Die würden wahrscheinlich nicht ganz so hart und deutlich ihre Eigentumsrechte in Anspruch nehmen.
Potsdam wurde innerhalb weniger Jahre von der schrumpfenden zur wachsenden Stadt. Wie haben Sie diese Veränderung erlebt?
Ich bin innerlich davon angetan, wie das Pendel hier im Lauf der Zeit hin- und hergeschwungen ist. 1998/99 gab es beim Flächennutzungsplan eine rigide Kritik daran, wie man von so illusorischen Größenordnungen ausgeht, dass die Stadt auf 155.000 Einwohner wachsen könnte – wo doch die laufende Statistik zeigte, dass Potsdam mindestens 1000 Einwohner pro Jahr verliert. Nur fünf Jahre später wurde gefragt, ob Potsdam eigentlich auf die Wachstumsprozesse vorbereitet ist.
Schon 1996, im ersten Artikel der PNN über Sie, geht es um die Problematik „zu viele Autos und zu wenig Wohnungen“. Was haben Sie in diesem Bereich erreicht?
Das hat sich als Spannungsverhältnis immer mehr zugespitzt. Im Stadtentwicklungskonzept Verkehr 2014 steht die Kernaussage: Es muss uns gelingen, das Wachstum der Stadt so zu steuern, dass die Summe des motorisierten Individualverkehrs trotz wachsender Einwohnerzahl nicht weiter steigt. Die Stadt gibt das einfach nicht her, wir können die Radialen nicht erweitern. Es gibt eben nur die beiden realistischen Brücken. Ich bin gespannt, wie der Ansatz der Mobilitätssteuerung in Krampnitz am Ende tatsächlich funktioniert.
Es gibt viele Skeptiker in Bezug auf das Verkehrskonzept. Fehlt es denen an Fantasie?
Nein, ich denke nicht, dass es denen an Fantasie fehlt. Es fehlt ihnen an Erlebnis und Erfahrung. Ich würde ihnen empfehlen, sich mal Freiburg-Vauban anzuschauen. Das ist zwar kleiner als Krampnitz, aber es ist das Musterbeispiel einer Quartiersentwicklung. Sie laufen begeistert dort durch und sagen am Ende, komisch, ich habe gar kein Auto gesehen. Stattdessen stehen überall Kinderfahrräder und Dreiräder. Es hat sich ein völlig anderes Lebensgefühl und eine andere Qualität entwickelt. Ich bin überzeugt, dass Krampnitz eine Initialzündung sein kann.
Die Idee, wir müssen Ansiedlungen in Potsdam infrage stellen, um Verkehrsprobleme zu lösen, ist ein gedanklicher Kurzschluss, der an der Realität vorbeigeht.
Andreas Goetzmann
Welche Folgen hätte es für Potsdam, wenn Krampnitz nicht oder nur zu einem kleinen Teil umgesetzt werden würde?
Die verkehrlichen Probleme auf den Radialen würden durchgängig größer. Es würden nicht weniger Leute in der Region wohnen, aber sie wohnen dann ein Stückchen weiter draußen. Die Idee, wir müssen Ansiedlungen in Potsdam infrage stellen, um Verkehrsprobleme zu lösen, ist ein gedanklicher Kurzschluss, der an der Realität vorbeigeht. Denn bei uns bremsen bedeutet umlenken ins Umland – und der Verkehr bleibt auf denselben Radialen.
In der 1990er Jahren sind viele Menschen aus Potsdam abgewandert. Warum kippte die Entwicklung früher als in anderen Städten Ostdeutschlands?
Potsdam profitiert ungeheuer von der Anziehungskraft Berlins. Auch die enorme Wissenschaftsdichte ist ein wichtiger Faktor bei der Fernwanderung in den frühen 2000er Jahren. Es wanderten in erheblichem Maß Personen aus West- und Süddeutschland zu, die eine hohe Affinität zu dem Wissenschaftsstandort hatten. Dazu kommt die Attraktivität Potsdams als Wohn- und Freizeitstandort. Diese ist durch die Bundesgartenschau 2001 noch einmal besonders herausgestellt worden. Das war ein absoluter Glücksfall für die Stadt.
In der wachsenden Stadt gibt es eine Konkurrenz um knappe Flächen für Wohnungsbau, Schulen, Sport und Grünflächen. Von allem gibt es gefühlt zu wenig. Wie kann eine Stadt damit umgehen?
Planung hat immer mit Abwägung zu tun. Abwägung bedeutet immer, dass man das eine bevorzugen und das andere zurückstellen muss. Man muss am Ende zu einer Entscheidung kommen. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne diskutieren, bis am Ende alle zufrieden sind. Ganz schnell zu entscheiden, führt aber auch nicht zu einem Ergebnis, weil Sie dann in einem noch größeren Maße Unzufriedenheit produzieren. Denn die Leute sind dann nicht nur unzufrieden, weil ihre Position nicht berücksichtigt wurde, sondern sie hatten noch nicht einmal Gelegenheit, diese zu äußern.
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In der Potsdamer Mitte gibt es Museen, den Landtag, Wohnungen, wahrscheinlich bald ein paar Geschäfte und Gastronomie. Was wünschen Sie sich noch für die neue Mitte?
Es wird noch einmal fünf oder zehn Jahre dauern, wenn die Blöcke III und IV fertig sind, bis sich das im Leben einwächst. In den ersten Jahren wird das noch ein bisschen künstlich und ungewohnt sein, dann bekommt es langsam ein bisschen Patina. Und man muss nach Möglichkeiten schauen, um den Alten Markt mehr mit Veranstaltungsleben zu füllen.
Wo sehen Sie den Platz des baulichen Erbes der DDR-Epoche in Potsdam?
An relativ vielen Stellen. Mir wird das oft zu sehr zugespitzt und instrumentalisiert auf die Pole Historie versus Moderne. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es eher darum geht, den Blickwinkel DDR-Erbe ins Feld zu führen, um einen anderen Anspruch – Reparatur des historischen Gefüges – an die Seite zu drängen. Ausgesprochen gut gelungen ist es an der Neustädter Havelbucht, das Erbe mit einzubinden. Es ist auch ein enormer Gewinn, dass es gelungen ist, das Minsk zu erhalten.
Wie sehen Sie die Entscheidung zum Staudenhof?
Bei der Diskussion um den Staudenhof muss man sich vergegenwärtigen, welcher stadträumliche Bruch hier dauerhaft perpetuiert würde, wenn ich das Gebäude dort lasse, aber die Umgebung auf das historische Gefüge anpasse. Das Gebäude stünde auf einem Hügel. Die Bruchkante wäre nicht an einer logischen Stelle. Der Übergang in der Straße zum Alten Markt ist viel selbstverständlicher.
Welchen Fragen sind in den nächsten Jahren die wichtigsten für die Potsdamer Stadtentwicklung?
Da wird kein neues Kapitel aufgemacht, sondern die nächsten Seiten sind weiter zu beschreiben. Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept war eine Art Ausblick auf die kommenden Jahre. Ich sehe eine große Chance in der Entwicklung des Bahnstrangs von Golm über Spandau Richtung Gesundbrunnen. Man wird über die Gestaltung eines ÖPNV-Verknüpfungspunkts Marquardt nachdenken müssen. An Bedeutung gewinnt die Frage, wie es uns gelingt, die Qualität zwischen den Siedlungsräumen zu erhalten und entwickeln, etwa beim weiteren Ausbau des Wissenschaftsparks Golm.
Die Sitzungen im Bauausschuss dauern oft vier Stunden bis in den späten Abend. Dazu kommen Vor- und Nachbereitung. Sie waren immer dabei. Was werden Sie am meisten vermissen?
Die tägliche engagierte Diskussion mit Kollegen, aber auch im Wechselverhältnis von Politik und Verwaltung wird mir fehlen. Die hat mein Leben in den letzten 20 Jahren ausgemacht. Lange Zeit war das Verhältnis von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Das war für mich in Potsdam eine gewöhnungsbedürftige Erfahrung. Aber das Verhältnis hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. Es kostet mich schon Disziplin, jetzt nicht mehr zu sehr ins Aktuelle reinzuschauen, das mich eigentlich nichts mehr angeht. Da muss ich mir selbst die Hand festhalten.
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