Stadtwerke-Affäre in Potsdam: Abschiedsrunde
Nach zähem Ringen kann Oberbürgermeister Jakobs verkünden, dass Stadtwerke-Chef Böhme freigestellt ist. Endlich, heißt es bei der Belegschaft, die sich schon um ihre Jobs sorgt.
Potsdam - Die E-Mail aus seinem Büro kam kurz nach 15 Uhr bei den Mitarbeitern der Potsdamer Stadtwerke an. Darin erklärte Wilfried Böhme, dass er seine Funktionen als Geschäftsführer bei den Stadtwerken und beim Tochterunternehmen Energie und Wasser Potsdam (EWP) niederlegt, um Schaden vom Unternehmenskonzern abzuwenden. Das ist etwas blumig formuliert, denn der Schaden für das Unternehmen ist eigentlich schon da. „Die da oben bauen Mist, die unten müssen leiden“, sagte eine Mitarbeiterin über die Stimmung im Unternehmen. Die Kollegen hätten Angst, dass die Affären und Skandale auf sie durchschlagen. Weil die Potsdamer nämlich ihren Strom- und Gasanbieter wechseln könnten. Und dann die kleinen Mitarbeiter ihren Job verlieren könnten. Daher herrsche bei ihnen das blanke Entsetzen. Und nun der Rückzug Böhmes – zu Recht, wie die Angestellte findet.
Zu dieser Zeit, am Nachmittag, war aber noch gar keine Entscheidung getroffen über Böhmes Zukunft. Seit Tagen wehrte er sich mit aller Kraft gegen einen Rückzug. Auch am Freitag, als Böhme und Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) sich um 15.30 Uhr im Rathaus trafen. Den ganzen Tag über war eine Entscheidung erwartet worden, sie hatte sich schon Donnerstag angedeutet.
Oberbürgermeister Jakobs: Er werde sich nicht zu den Vorwürfen äußern
Denn die Vorwürfe sind erdrückend. Am 3. Juni war Jakobs nach eigenen Angaben erstmals über das ganze Ausmaß informiert worden – von der Innenrevision der Stadtwerke und einem Anwaltsbüro, das die Affäre im Unternehmensverbund untersucht. Nach einem Gespräch mit beiden am 6. Juni veranlasste er eine Tiefenprüfung des Falls. Immer wieder erklärte der Oberbürgermeister, dass er sich zu den Details, dazu, wie schwer die Vorwürfe wiegen, welches Ausmaß alles hat, nicht äußern werde. Die Prüfung sei nicht abgeschlossen.
Dabei reicht schon das, was bisher bekannt ist. Böhme wird Vetternwirtschaft vorgeworfen, das Finanzamt hat Steuerermittlungen eingeleitet. Unter Böhme gab es bei der EWP, wo er seit 2011 war, einen Werkvertrag mit einer Bauschlosserfirma, deren Inhaber Böhmes inzwischen in den Ruhestand gewechselter Schwager ist. Nach PNN-Informationen sollen zwischen 2011 und Mitte 2015 jeweils mehr als 5000 Euro pro Monat an die Firma des Schwagers mit Sitz auf einem Stadtwerke-Areal am Heizwerk gezahlt worden sein; die EWP war offenbar der einzige Kunde der Firma. Daher besteht Verdacht auf Scheinselbstständigkeit. Der Verdacht besteht, dass die von Böhme geführte EWP auf diese Weise Steuern und Sozialabgaben gespart hat, weil der Schwager nicht bei der EWP angestellt war. Es ist nicht der einzige Fall: Nach PNN-Informationen soll Böhme auch einen befreundeten Ingenieur ebenfalls mit einem Werkvertrag über 5000 Euro monatlich seit 2011 versorgt haben.
Böhme könnte nun ein Steuerstrafverfahren drohen
Wie Jakobs andeutete, habe Böhme dazu bewegt werden müssen, sich an das Finanzamt zu wenden. Böhme stellte dort eine sogenannte Berichtigungsanzeige. Hintergrund: Es besteht die Pflicht, die Steuererklärung zu berichtigen, wenn man nachträglich erkennt, dass die Steuererklärung unrichtig oder unvollständig war und daher zu wenig Steuern gezahlt wurden. Bei einer Berichtigungsanzeige müsse dann die Steuer nur nachträglich gezahlt werden, strafrechtliche Folgen hat das nicht. Das war auch Böhmes Ziel. Doch das Finanzamt war auf den Verdacht bereits aufmerksam geworden, bevor Böhme loslegte. Die Betriebsprüfung des Finanzamts war bereits im Gange. Böhme könnte nun ein Steuerstrafverfahren drohen.
Jakobs sah zerknirscht aus, als er um 19.15 Uhr im Rathaus vor der Presse verkündete, dass Böhme gehen muss. „Davon bleibt man nicht unbeeindruckt“, sagte Jakobs. „Ich habe schon eine schlaflose Nacht, bevor solche Entscheidungen getroffen werden müssen.“
Offiziell: Böhme hat seine Funktionen niedergelegt
Wobei die Wortwahl aufschlussreich ist: Offiziell hieß es, Böhme habe seine Funktionen niedergelegt – wegen des großen öffentlichen Drucks, auch der Presse. Auf Nachfrage allerdings sagte Jakobs: Böhme sei freigestellt. Zu welchen Konditionen und ob noch schärfere Maßnahmen folgen, sagte Jakobs nicht. Böhme wird im Oktober 65 Jahre alt, sein Vertrag läuft bis März 2017.
Auf die Frage, ob er sich das alles nicht hätte sparen können, die neuen Affären und Skandale, wenn er damals, beim Rausschmiss des Ex-Stadtwerkechefs Peter Paffhausen, reinen Tisch gemachte hätte und die ganze Riege der Paffhausen-Vertrauten – Böhme, den beurlaubten EWP-Chef Holger Neumann – gleich mit entlassen hätte, wird Jakobs deutlicher: Er spricht von einer neuen Kultur, die nötig sei, von einem klaren Schnitt, von mehr Kontrolle. Damit es zu solchen, nun festgestellten Unregelmäßigkeiten und Ungereimtheiten nicht mehr kommt. Auch nicht dazu, dass „bewusst bestimmte Regeln umgangen“ werden. Und wer wird das Stadtwerke-Fest Anfang Juli eröffnen? Jakobs’ Sprecher sagte, Finanzdezernent Burkhard Exner (SPD), der auch Aufsichtsratschef bei den Stadtwerken ist. Jakobs schaute irritiert und sagte: „Ich würde das aber gern machen.“
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