Mehr Grün, mehr Mülleimer: 850 Vorschläge für den Bürgerhaushalt
Geht es nach einigen Potsdamern, sollte die Stadt demnächst Katzen besteuern und Touristen mehr zur Kasse bitten. Für 450 Euro monatlich soll außerdem jemand über das Stadtgeschehen bloggen.
Potsdam - Die Potsdamer Bürger können die Zukunft ihrer Stadt mitgestalten: Bis Montagabend sind mehr als 850 Themenvorschläge für den Bürgerhaushalt der Jahre 2020/21 eingegangen. Darin votieren die Bürger gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche, sorgen sich um die Sauberkeit in den Parks und plädieren für mehr Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen – die lange Liste zeichnet ein detailreiches Bild der Gemütslage in der Stadt.
Wie sehr der Streit um den Wiederaufbau der 1732 eingeweihten, 1945 im Krieg erheblich beschädigten und 1968 auf einen Beschluss der SED gesprengten Garnisonkirche die Potsdamer bewegt, lässt sich in den Vorschlägen zum Bürgerhaushalt nachlesen. In 346 Zuschriften fordern Gegner des Wiederaufbaus die Stadt auf, kein Geld dafür bereitzustellen, 129 aber sprachen sich für den Aufbau aus. Für die Gegner ist die Kirche ein Symbol für Militarismus, die Befürworter des Wiederaufbaus wollen das Kulturdenkmal als „Schule des Gewissens“ und „Versöhnungszentrum“ etabliert wissen.
Gewünscht ist auch ein Radweg Im Bogen
Ein Team, dem Bürger, Stadtbedienstete und Politiker angehören, hat eine vorläufige Prioritätenliste aus den Vorschlägen zusammengestellt. Sie wird von Pro und Contra zur Garnisonkirche, nach der Finanzierung des Radwegs in der Straße Im Bogen (100 Zuschriften), einer Entlohnung im Ernst-von-Bergmann Klinikum nach Tarifvertrag (132) und der Bereitstellung von Geld für Wohngemeinschaften junger behinderter Menschen angeführt (94). Bis zum 2. August können Vorschläge im Rathaus, per Post oder per E-Mail an Buergerhaushalt@Rathaus.Potsdam.de abgegeben werden.
Besserer ÖPNV und Solarfähre gefordert
„Wir sehen bei der Auswertung, dass die gesellschaftliche Debatte um die Ökologie auch die Potsdamer beschäftigt“, sagt Frank Daenzer, Ansprechpartner der Stadt für den Bürgerhaushalt. Die Bürger fordern Mittel für einen besseren Nahverkehr, regen die Anschaffung einer solarbetriebenen Fähre in Hermannswerder als Ersatz für die oft defekte jetzige Fähre an und würden einen kostenlosen Nahverkehr begrüßen. Sogar ein autofreier Sonntag steht auf der Liste.
Viele Potsdamer wollen, dass ihre Stadt schöner wird. „Sie beschweren sich zu Recht darüber, dass es viel zu wenige Papierkörbe gibt, vor allem in den Parks“, sagt Maren Reinhardt, die als Bürgerin im Projekt- und Redaktionsteam mitarbeitet. Es sei zudem für viele nicht hinnehmbar, „dass junge Leute in Sanssouci ihre Decken ausbreiten und es sich mit Wein und Käse vor dem Schloss gutgehen lassen“. Im Welterbepark ist das Lagern auf Wiesen untersagt.
Etliche Potsdamer fordern eine zentrale Vergabestelle für Kitaplätze. Neu ist die Anregung, die althergebrachte Figur eines Stadtschreibers zu modernisieren. Die Stadt, so heißt es im Vorschlag 478, solle für ein oder zwei Jahre einen Stadtblogger engagieren, ihm eine Wohnung stellen und monatlich 450 Euro überweisen. Der Blogger solle das gesamte öffentliche Leben mit Texten und Videos dokumentieren, sein Tun könne „das Wir-Gefühl sowie die Identifikation mit Potsdam stärken“. Manche Potsdamer fordern höhere Abgaben. In der Liste findet sich ein Plädoyer für die Einführung einer Kohlendioxidsteuer, mit den Einnahmen sollen von den Fahrbahnen getrennte Radwege gebaut und Lastenräder subventioniert werden. Etliche Bürger sprechen sich für die Erhöhung der Hundesteuer aus, andere halten die Einführung einer Steuer für Katzen und Pferde für geboten. Mehr noch: Eine Abgabe für Motorboote und eine generelle Steuer für Touristen sollen das Stadtsäckel ebenso füllen wie eine Erhöhung der Grunderwerbs- wie auch der Grundsteuer.
Auch kuriose Vorschläge sind dabei
Der wohl radikalste Vorschlag wurde unter der Nummer 194 archiviert: Der Bürgerhaushalt, forderte ein Potsdamer, sollte vollends abgeschafft werden. Die für die Organisation der Befragung bereitgestellten 150.000 Euro „könnten an anderer Stelle besser verwendet werden“. Wofür, verriet der Bürger nicht.
Carsten Holm
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