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„Lang Lebe Ägypten!“: Der Wahlkampfslogan von Präsident Sisi ist ein Synonym für den totalen Kampf des Staates gegen Andersdenkende geworden.
© EPA/ALMASRY ALYOUM/dpa

Ägypten: Zwischen "Islamischem Staat" und Staatsterror

In Ägypten herrscht die Angst vor Terroranschlägen, juristischer Willkür und Polizeigewalt. Mitten in den urbanen Zentren explodieren Bomben, auf dem Sinai wütet der "Islamische Staat".

Kürzlich las die ägyptische Regierung wieder der halben Welt die Leviten, empörte sich darüber, dass zahlreiche Nationen und internationale Organisationen Protest eingelegt hatten – diesmal gegen ein Massenurteil von 230 Mal lebenslänglich, mit dabei auch der prominente Demokratieaktivist Ahmed Douma. Richter dieses Verdikts ist derselbe Mohammed Nagi Shehata, der auch die schwarze Justizposse gegen die drei Al-Dschasira-Korrespondenten zu verantworten hat, sowie im vergangenen Dezember 188 Todesurteile in Serie verhängte. Vier Wochen später reduzierte er die Zahl der Galgenkandidaten auf 183. Zwei bereits Gestorbene und zwei noch Lebende sowie ein Minderjähriger fanden Gnade in den Augen Shehatas, die er während seiner Prozesse stets hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt.

Man sei tief bestürzt über die Kritik aus dem Ausland, die einen totalen Mangel an Respekt für das ägyptische Justizsystem offenbarten, klagten Kairos Machthaber und priesen Shehata als einen ganz normalen Richter an einem ganz normalen Gericht. Im Übrigen habe Ägypten, wie jedes demokratische Land, eine Gewaltenteilung und eine unabhängige Justiz.

Ägyptens staatliche PR-Manager haben ihre Lektion gelernt. Man muss die Situation aggressiv im eigenen Sinne rahmen und die politische Deutungshoheit monopolisieren. Syriens Machthaber Baschar al Assad hat es beim Terrorthema vorgemacht, Bahrain verfährt nach derselben Devise. Alle diese Regime definieren die Machtkonflikte in ihren Ländern als apokalyptische Feldzüge gegen den Terror. Und so wundert es nicht, dass Ägyptens politischer Diskurs inzwischen sektenhaft-monomanische Züge trägt.

Die Nation der Pyramiden sieht sich stellvertretend für den Weltkreis der Zivilisationen in einem heroischen Armageddon gegen den Terror. Mit unerbittlichem Eifer bekämpft wird jeder, der demonstriert oder nur den Mund aufmacht. In diesem überhitzten Denken ist kein Platz für Selbstbegrenzung und Deeskalation.

Und am Nil vermischen sich immer stärker zwei tatsächliche Bedrohungen – die harte Terrorgefahr auf dem Sinai durch die neue Filiale des „Islamischen Staates“ (IS) und die vom Regime durch seine unmäßige Unterdrückungspolitik provozierte Gewalt. Zudem rückt die Gewalt immer weiter in die urbanen Zentren des Landes. Fast täglich explodieren Bomben: Vor einer Filiale der Fastfood-Kette Kentucky Fried Chicken im Süden Kairos detonierten am Sonntagmorgen drei Sprengsätze.

Polizei und Justiz agieren vor dem Hintergrund dieser Gewalt bewusst willkürlich.

Bei Demonstrationen wird nicht selten sofort geschossen. Abertausende sitzen als politische Häftlinge im Gefängnis, darunter führende Köpfe des Arabischen Frühlings.

Wenn das Ägypten unter Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al Sisi jedoch als eine Demokratie zählt, dann war auch Hosni Mubaraks Ägypten eine Demokratie, und der Volksaufstand vom 25. Januar 2011 gegen die Staatswillkür eine bizarre Donquichotterie. Für das Gewaltniveau in einer Nation wiederum sind nicht nur Regimekritiker, Demonstranten und oppositionelle Milieus verantwortlich, sondern auch die politische Führung. Wer wie in Ägypten sämtliche Andersdenkende kompromisslos an die Wand drückt und stranguliert, muss sich nicht wundern, wenn junge Leute in Extremistenkreise abtauchen.

Wer wie in Ägypten mit den Muslimbrüdern und ihren Anhängern ein Drittel der Bevölkerung pauschal zu Terroristen erklärt und sie zu Tausenden in seinen Gefängnissen foltert, muss sich nicht wundern, wenn täglich Bomben hochgehen. Eine solche Politik führt in die Sackgasse, demokratische Verhältnisse lassen sich damit genauso wenig erreichen wie zivile Ruhe und Sicherheit für die Bevölkerung. Denn der fundamentale Unmut bleibt und wächst, der sich vor vier Jahren im Arabischen Frühling schon einmal Bahn brach. Früher oder später wird sich das Volk am Nil erneut erheben. Doch dann – so ist zu befürchten – wird mehr Blut fließen als damals an den 18 weltbewegenden Tagen auf dem Tahrir-Platz.

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